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Kommentar: Der französische Albtraum ist verflogen – doch ist er vorbei?

Kommentar

Der französische Albtraum ist verflogen – doch ist er vorbei?

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    Anhänger des Kandidaten Macron küssen sich am 07.05.2017, nachdem seine Konkurrentin Le Pen ihre Niederlage bei der Präsidentenwahl eingeräumt hat, vor dem Louvre in Paris Frankreich. Macron konnte die Stichwahl um das Präsidentenamt in Frankreich gegen Le Pen für sich entscheiden. Foto: Thibault Camus/AP/dpa +++c dpa - Bildfunk+++
    Anhänger des Kandidaten Macron küssen sich am 07.05.2017, nachdem seine Konkurrentin Le Pen ihre Niederlage bei der Präsidentenwahl eingeräumt hat, vor dem Louvre in Paris Frankreich. Macron konnte die Stichwahl um das Präsidentenamt in Frankreich gegen Le Pen für sich entscheiden. Foto: Thibault Camus/AP/dpa +++c dpa - Bildfunk+++ Foto: Thibault Camus

    Die Erleichterung ist groß, dass die rechtsextreme Marine Le Pen auch in den nächsten fünf Jahren ihr Gift nicht vom Élysée-Palast aus verspritzen kann. Dort wird nun der sozialliberale Emmanuel Macron einziehen. Und es stimmt ja, ein Wahlsieg der Kandidatin des Front National wäre für die EU existenzgefährdend gewesen, hätte die Finanzmärkte geschockt und für Deutschland unabsehbare Folgen gehabt. All das ist jetzt vom Tisch. Der klare Wahlsieger Emmanuel Macron wird – schon aus einem gesunden Selbsterhaltungstrieb heraus – ein unbequemer Partner für Deutschland werden. Aber mit den Verwerfungen, die ein Sieg von Le Pen ausgelöst hätte, ist das nicht vergleichbar.

    Siegesgewiss zeigt sich Emmanuel Macron mit seiner Frau Brigitte nach ihrer Stimmabgabe im nordfranzösischen Le Touquet.
    Siegesgewiss zeigt sich Emmanuel Macron mit seiner Frau Brigitte nach ihrer Stimmabgabe im nordfranzösischen Le Touquet. Foto: Thibault Camus (dpa)

    Und doch bleibt uns ein kühler Blick auf unsere Nachbarn nicht erspart. Denn Marine Le Pen hat immerhin rund ein Drittel der Stimmen erhalten. Eine Frau, die damit kokettiert, dass sie weiß, wie ihre Landsleute ticken. Da mag was dran sein. Doch ihr Konzept ist es, Neid zu schüren. Sie bringt Arbeiter gegen Unternehmer in Stellung, Franzosen gegen Migranten, die Landbevölkerung gegen Stadtbewohner. Sie macht mit der Angst der Franzosen Politik. Sie befeuert die Furcht vor Globalisierung, Arbeitslosigkeit und Zuwanderung. Das ist nicht präsidial, sondern schäbig.

    Was Macron als Präsident plant

    Europa Macron strebt an, die Eurozone in einer engen Partnerschaft mit Deutschland zu reformieren. Die Eurozone mit 19 Ländern soll einen eigenen Haushalt, ein Parlament und einen Finanzminister bekommen. Diese Pläne sind zwar alles andere als neu, wurden aber bisher nicht in die Tat umgesetzt.

    Einwanderung Er will lokale Integrationsprogramme schaffen. Am aktuellen Flüchtlingskurs will er festhalten. Asylanträge sollen in höchstens sechs Monaten bearbeitet werden.

    Sicherheit Macron will 10.000 neue Polizisten einstellen und 15.000 Gefängnisplätze schaffen. Er plant, die Arbeit der Geheimdienste im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu bündeln.

    Verteidigung Der Mitte-Links-Politiker steht zur Nato. Er will die Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent der Wirtschaftskraft steigern.

    Atomkraft Macron steht zum Ziel, den Atomanteil am Strommix bis 2025 von 75 auf 50 Prozent zu senken, und zur Schließung von Fessenheim.

    Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik Der Ex-Wirtschaftsminister will das Land wettbewerbsfähiger machen, das Arbeitsrecht lockern, 120 000 Stellen im öffentlichen Dienst abbauen und in fünf Jahren 60 Milliarden Euro einsparen.

    Doch warum hat sie dann so viel Erfolg? In Frankreich spricht man jetzt vom Ende aller Gewissheiten, vom Verschwinden der traditionellen Parteien, ja des ganzen Systems. Von vielen, nicht von allen, wird diese Erosion geradezu freudig begrüßt. Es soll möglichst kein Stein auf dem anderen bleiben in der Fünften Republik. Dahinter steckt mehr als nur eine Spur Fatalismus.

    Doch mit der beißenden Kritik an einer selbstgerechten Politikerkaste ist es nicht getan. Denn ein entscheidendes Element fehlt, um mit Zuversicht auf die Zukunft dieses schönen Landes blicken zu können. Es bedarf einer Veränderung der Mentalität, eines neuen Bewusstseins. In den vielen Interviews, die französische und ausländische Journalisten auf den Straßen des Landes geführt haben, hörte man oft: „Ja klar, wir brauchen dringend Reformen.“ Gleichzeitig gab es Anerkennung für Deutschland, das sich aus einer schwierigen Lage mit so mutigen wie schmerzhaften Reformen befreit hat.

    Besitzstände werden mit Zähnen und Klauen verteidigt - auch in Frankreich

    Marine Le Pen verlässt nach ihrer Stimmabgabe das Wahllokal.
    Marine Le Pen verlässt nach ihrer Stimmabgabe das Wahllokal. Foto: Michael Springler (dpa)

    Eine Aufbruchstimmung gab es schon 2002. Damals zeigte eine „republikanische Front“ dem lupenreinen Faschisten und Vater von Marine, Jean-Marie Le Pen, in der Stichwahl mit 82 Prozent für den konservativen Jacques Chirac die Rote Karte. Seitdem ist leider nicht viel passiert. Im Gegenteil, die Verteidiger eines weltoffenen Landes sind in die Defensive geraten. Jede gesellschaftliche Gruppe verteidigt mit Zähnen und Klauen die eigenen Besitzstände. Und das mit einer Rigorosität, die in Westeuropa ihresgleichen sucht. Hinzu kommen eine verbindliche 35-Stunden-Woche und ein wachstumsfeindlich überhöhter Kündigungsschutz.

    Schon der „kleine Napoleon“ Nicolas Sarkozy hatte vollmundig angekündigt, diese Bremsklötze abzuräumen. Er ist damit nach seiner Wahl im Jahr 2007 krachend gescheitert – trotz einer klaren Mehrheit in der Nationalversammlung. Gescheitert an Millionen Franzosen, die gegen die Reformen auf die Straße gingen. Und zwar mit einer Wucht, die in Deutschland völlig unbekannt ist.

    Sollte auch Macron nicht in der Lage sein, das gespaltene Land zu erneuern, wird Marine Le Pen bei der nächsten Wahl im Jahr 2022 auf ein noch größeres Reservoir von Wütenden und Frustrierten bauen können. Emmanuel Macron hat nur eine Chance: Er muss die Franzosen davon überzeugen, Reformen auch dann zu akzeptieren, wenn sie wehtun.

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