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Kommentar: Der Zeitgeist bahnt der "Ehe für alle" den Weg

Kommentar

Der Zeitgeist bahnt der "Ehe für alle" den Weg

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    Eingehüllt in eine Regenbogenflagge steht ein Paar vor dem Brandenburger Tor in Berlin. In einer historischen Entscheidung hatte der Bundestag mit Ja zur Ehe für alle gestimmt.
    Eingehüllt in eine Regenbogenflagge steht ein Paar vor dem Brandenburger Tor in Berlin. In einer historischen Entscheidung hatte der Bundestag mit Ja zur Ehe für alle gestimmt. Foto: Michael Kappeler (dpa)

    Es ist ein großer Tag für Schwule und Lesben. Es ist ein historischer Erfolg für die Grünen. Und es ist eine gesellschaftspolitische Zäsur: Das Rechtsinstitut der Ehe, seit Jahrhunderten in unserem Kulturraum der Verbindung von Mann und Frau vorbehalten, wird für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Die mit großer Mehrheit getroffene Entscheidung des Bundestags hebelt das traditionelle, im Einklang mit dem Grundgesetz stehende Verständnis von Ehe aus und vollzieht per einfachem Gesetz, was dem vorherrschenden Zeitgeist entspricht. Damit ist eine der letzten konservativen Bastionen gefallen.

    Grüne, SPD und Linkspartei jubeln

    Der uralte Streit endet mit einem Triumph von Grünen, SPD und Linkspartei, denen die völlige Gleichstellung homosexueller Paare mit Eheleuten auf den letzten Metern der Legislaturperiode gelungen ist – im Handstreich gegen eine Union, die überrumpelt wurde und in diesem letzten Gefecht auf verlorenem Posten stand. Es ist bedauerlich, dass diese bedeutsame Entscheidung am Ende hopplahopp und im Schatten machtpolitischer Spiele zustandekam. Doch das Wehklagen der Union über den „Vertrauensbruch“ des Koalitionspartners SPD ist fehl am Platze.

    Es war ja die Kanzlerin, die nach langjähriger Blockade die Tür für eine Abstimmung geöffnet hat. Erst ihre plötzliche Erkenntnis, jeder Abgeordnete sollte hier nach seinem Gewissen entscheiden, ermöglichte Rot-Rot-Grün diesen Coup. Ob sich Merkel nun zur Unzeit verplaudert hat oder nicht: Die Kanzlerin wollte das Thema mit ihrem von CSU-Chef Seehofer abgesegneten Kurswechsel abräumen und zugleich ein Hindernis für Koalitionsverhandlungen beseitigen.

    Das Unbehagen hat nichts mit Homophobie zu tun

    Merkel ist – wie schon mehrfach demonstriert – keine Frau, sie sich dem Zeitgeist und einer klaren gesellschaftlichen Mehrheit in den Weg stellt. Sie hat sich kühl von einer klassischen konservativen Position verabschiedet, um nur ja nicht den Anschluss zu verlieren. Wer will, mag dies prinzipienlos nennen. Aber hätten Merkel und Seehofer nun, da eine große Mehrheit der Deutschen die „Ehe für alle“ begrüßt, eine längst verlorene Schlacht weiterführen sollen? Und es gibt ja, jenseits wahltaktischen Kalküls, gute Argumente für die mit dem gemeinsamen Adoptionsrecht verbundene Gleichstellung, zumal die Gleichbehandlung (etwa in Fragen des Steuer- und Erbrechts) längst gewährleistet ist. Man wüsste gern, wie Karlsruhe darüber denkt. Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Staates; das höchste Gericht hat die Ehe wiederholt als Verbindung von Mann und Frau definiert, weil ja nur daraus – das macht den Unterschied aus – Kinder hervorgehen können. Trotzdem ist es sehr fraglich, ob die Verfassungsrichter im Fall einer Klage den Gesetzgeber zurückpfeifen. Auch sie haben ja die Realitäten im Blick: die Vielfalt der Lebensentwürfe, den Wertewandel, die Abkehr vieler vom traditionellen Bild der Ehe. Es wird nicht eine „normale“ Ehe weniger geben, nur weil Homosexuelle auch heiraten dürfen. Eigentlich könnte es ja gerade konservativ denkende Menschen mit Genugtuung erfüllen, dass die Ehe eine Renaissance erlebt – auch in jenem Milieu, wo sie lange als Relikt christlich-patriarchalischen Denkens geschmäht wurde.

    Es war seit langem klar, dass sich die Mehrheit irgendwann durchsetzen würde. Ein Unbehagen bleibt. Das hat nichts mit Homophobie, sondern mit dem Gefühl vieler Menschen zu tun, dass die Fundamente der Gesellschaft ins Rutschen geraten und zuviel an Bewährtem über Bord geworfen wird. Diese Haltung verdient nicht nur „Respekt“. Sie sollte, um des inneren Zusammenhalts der Gesellschaft willen, von den politischen Mehrheiten auch ernster als bisher genommen werden.

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