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Kommentar: Der Nordstream-Deal hilft niemandem – außer Putin

Kommentar

Der Nordstream-Deal hilft niemandem – außer Putin

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    Rohre für den Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland werden im Hafen Mukran auf der Insel Rügen gelagert.
    Rohre für den Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland werden im Hafen Mukran auf der Insel Rügen gelagert. Foto: Stefan Sauer, dpa

    Rund um die umstrittene Gaspipeline Nordstream 2 ranken sich viele Mythen. Der häufigste lautet, es handele sich um ein rein privatwirtschaftliches Projekt, das mit Geopolitik und Russlands Machtambitionen natürlich gar nichts zu tun habe.

    Nun, da Angela Merkel und US-Präsident Joe Biden einen „Big Deal“ zu Nordstream 2 geschlossen haben, kommt ein neuer Mythos dazu. Er geht so: Merkel hat als Verhandlerin noch einmal alles gegeben – und so für Ausgleich mit Russland gesorgt, die Interessen der Ukraine gewahrt, die deutsche Energieversorgung auf eine sichere Grundlage gestellt und Biden geholfen, die Allianz mit Deutschland strategisch neu aufzustellen.

    Die Ukraine wird dadurch nicht wirklich sicherer

    Auch dieser Mythos hat den Haken, den Mythen nun einmal an sich haben: Sehr wenig daran stimmt. Die Einigung sorgt vielleicht dafür, dass wir keine milliardenteure Röhren-Ruine auf dem Meeresboden bestaunen müssen. Auch können sich Washington und Berlin neuen Zielen zuwenden, etwa dem Umgang mit China. Aber: Der Konflikt mit Russland bleibt, die Ukraine ist nicht wirklich sicher vor russischen Repressalien, dem Klimaschutz erweist die Pipeline einen Bärendienst – und Joe Biden wird der „Deal“ das Handeln nicht erleichtern, sondern erschweren.

    Der Reihe nach: Russland hat sich stets verbeten, ihm Geopolitik qua Energiepolitik zu unterstellen. In Wahrheit betreibt Präsident Wladimir Putin genau das. Energiepolitik ist für ihn Machtpolitik (und für sein Umfeld oft genug auch persönliche Bereicherungspolitik). Dass ein deutscher Ex-Bundeskanzler auf der Lohnliste von Gazprom steht, passt dazu bestens. Die Ukraine – dessen Grenzen Putin gerade wieder öffentlich angezweifelt hat – soll Sicherheitsgarantien und Ausgleichsfonds erhalten. Die bleiben aber höchst vage und dürften die Milliardeneinnahmen aus dem bisherigen Gastransit, der nun voll an der Ukraine vorbei läuft, kaum ersetzen. Zum Mechanismus, die Pipeline abzudrehen, wenn Russland die Ukraine zu sehr unter Druck setzt, konnte Berlin sich nicht durchringen. Das Druckmittel, dass Russland auf Gasexporte mehr angewiesen ist als wir umgekehrt auf Importe, vergab man also ziemlich leichtfertig. Entsprechend groß ist die Wut in der Ukraine und weiten Teilen Osteuropas.

    Eigentlich müsste der Import von Erdgas sinken

    Tatsache ist zudem: Wir brauchen diese Pipeline mittelfristig nicht wirklich. Bestehende Transportrouten hätten gereicht. Um Nordstream 2 wirklich auszulasten, müsste der Gasimport erheblich steigen. Das liegt im Interesse von Gazprom und Co., nicht aber unserem, im Gegenteil. Der Import von Erdgas müsste vielmehr gewaltig sinken, wollen wir unsere Klimaziele erreichen. Nordstream 2 wird 55 Milliarden Kubikmeter fossile Brennstoffe in den Energiekreislauf einspeisen – der sich aber, um Klimaneutralität bis 2045 zu schaffen, davon befreien muss. Die Suche nach Energie-Alternativen könnte langsamer werden, wenn die bequeme Gasröhre ja da ist.

    Hilft die Einigung wenigstens unserem Verhältnis mit den USA, nach den schlimmen Trump-Jahren? Biden, der Deutschland gut kennt, will einen Neuanfang mit Berlin. Doch der wird seit Monaten von Nordstream 2 überschattet, und wird diesen weiter überschatten. Denn selbst in seiner eigenen Partei laufen einflussreiche Politiker Sturm gegen Bidens „Einknicken vor Merkel“, wie sie es nennen. Die außenpolitische Glaubwürdigkeit der neuen US-Regierung ist so daheim bereits massiv angekratzt – zumal völlig unklar bleibt, welche Gegenleistung Biden von Deutschland erwarten kann. Etwa einen härteren Kurs gegen China?

    Dieser „Big Deal“ hilft also niemandem. Oh, doch: Freuen kann sich immerhin Wladimir Putin.

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