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Kommentar: Der Kleinkrieg um die Große Koalition schadet Deutschland

Kommentar

Der Kleinkrieg um die Große Koalition schadet Deutschland

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    Wenn Union und SPD für eine Groko argumentieren, erklären sie selbstlos, sie wollten das Beste für das Land. Aber: Der Kleinkrieg um die Koalition schadet Deutschland.
    Wenn Union und SPD für eine Groko argumentieren, erklären sie selbstlos, sie wollten das Beste für das Land. Aber: Der Kleinkrieg um die Koalition schadet Deutschland. Foto: Maurizio Gambarini, dpa

    Wächst jetzt zusammen, was zusammen gehört? Das pathetische Getöse, mit dem Union und SPD seit Wochen die Notwendigkeit einer weiteren Großen Koalition begründen, erinnert ein wenig an Willy Brandts berühmten Satz aus dem Wendeherbst 1989. Zwei Parteien, uneins in der Sache zwar, aber einig im Ziel, aus Verantwortung für das Land natürlich, das eine stabile Regierung braucht und schon viel zu lange wie paralysiert wirkt: Selten waren Koalitionsverhandlungen so bedeutungsschwanger aufgeladen wie die zweite Runde der Gespräche, die CDU, CSU und

    Union und SPD verfolgen egoistische Motive

    Tatsächlich verfolgen alle drei Parteien weniger altruistische, sondern handfeste egoistische Motive – nur sagen mag das niemand so laut. Der Streit um die Nachbesserungen an den Sondierungsergebnissen, die der SPD-Parteitag am Wochenende eingefordert hat, ist so gesehen nur ein Stellvertreterstreit. Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz haben ihre Gründe, warum sie die privaten Krankenkassen schützen oder schleifen wollen, warum sie für befristete Arbeitsverträge sind oder dagegen und warum sie den Familiennachzug streng reglementieren oder eher locker handhaben wollen. Am Ende aber geht es für alle drei auch um ein ungleich profaneres Ziel - ihr politisches Überleben.

    In der SPD ist Schulz schon jetzt ein König ohne Reich, eine nachgerade tragische Figur, hoffnungsvoll gestartet und dann umso tiefer gefallen. Im Tagesgeschäft gibt inzwischen Andrea Nahles den Takt vor– strategisch, emotional, medial. Die Fraktionsvorsitzende hat dem Parteivorsitzenden in Bonn mit einer fulminanten Rede den Parteitag und fürs erste auch sein Amt gerettet. In dem Moment, in dem die Große Koalition scheitert, ist auch Martin Schulz gescheitert.

    In der CDU ist Angela Merkel zwar angezählt, sitzt verglichen mit dem SPD-Chef aber noch fest im Sattel. Ihre Partei hat ihre programmatischen Ansprüche praktisch auf null heruntergeschraubt und verfolgt in den Koalitionsverhandlungen vor allem ein Ziel: das Kanzleramt zu verteidigen. Deshalb wird die CDU zu Zugeständnissen bereit sein, die die CSU so kaum akzeptieren kann – etwa in der Asylpolitik. Ein neuer Hauskrach in der Union ist also schon absehbar.

    Die radikalste Lösung wären Neuwahlen

    In der CSU hat Horst Seehofer nichts mehr zu verlieren. Die Koalitionsverhandlungen sind für seine Partei nur eine Etappe auf dem Weg zur Landtagswahl im Herbst. Hier steht für die Christsozialen ungleich mehr auf dem Spiel als jetzt in Berlin, nämlich ihr Nimbus der Unbesiegbarkeit. Weitere Zugeständnisse in der Flüchtlingsfrage verbieten sich für Seehofer damit von selbst. Seine Macht ist schon geronnen, umso erbitterter wird er nun seinen vielleicht letzten großen Konflikt austragen.

    Wie Union und SPD vor diesem Hintergrund den Gemeinschaftsgeist entwickeln wollen, den jede Koalition braucht, um erstens gemeinsam, zweitens erfolgreich und drittens eine ganze Legislatur lang zu regieren, lässt sich im Moment nicht einmal erahnen. Die Situation ist verfahren wie lange nicht mehr. Mag sein, dass die drei Parteien sich nach einem zermürbenden Kleinkrieg um die letzten noch offenen Fragen irgendwie zusammenraufen, auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner und mit umso größerem Pathos. Die radikalste aller Lösungen aber wagen sie nicht einmal zu denken. Neuwahlen – und einen Neuanfang mit neuem Personal. Ohne Merkel. Ohne Schulz. Ohne Seehofer. Oder, frei nach Willy Brandt: Die Zukunft wird nicht gemeistert von denen, die am Vergangenen kleben.

    Alle aktuellen Entwicklung zur Regierungsbildung finden Sie hier in unserem News-Blog.

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