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Kommentar: Denkmäler: Der Vorschlaghammer trifft es manchmal am besten

Kommentar

Denkmäler: Der Vorschlaghammer trifft es manchmal am besten

Margit Hufnagel
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    Das Bismarck-Nationaldenkmal in Berlin wurde mit dem Schriftzug „Decolonize Berlin“ besprüht.
    Das Bismarck-Nationaldenkmal in Berlin wurde mit dem Schriftzug „Decolonize Berlin“ besprüht. Foto: Christoph Soeder, dpa

    Irgendwann ist ihm einfach der Kragen geplatzt. Als vor einigen Jahren schon einmal mit großem Eifer um die Umwidmung von Straßennamen gerungen wurde, versuchte der damalige Neuköllner Bezirksbürgermeister Buschkowsky die Sache mit vermeintlichem Pragmatismus abzuwürgen: „Straßenbenennungen schreiben das Geschichtsbuch nicht um und eignen sich nicht für Klugscheißer mit Wikipedia-Wissen. Sie sind in erster Linie Ordnungsmerkmal und Orientierungshilfe im Alltagsraum.“ Wie falsch der hochgeschätzte Politiker mit dieser Aussage doch lag! Denn wer auf Straßenschildern, mit Denkmälern oder in Schul-Patenschaften herausgehoben wird, steht auch für die Ideale, die wir pflegen.

    Beim Thema Antisemitismus ist Deutschland aus gutem Grund sensibel

    Doch wie tückisch die Diskussion ist, zeigt ein aktueller Fall in Berlin. Dort wollte man die Mohrenstraße aus dem Stadtbild tilgen und liebäugelte stattdessen mit dem russischen Komponisten Glinka. Allerdings war auch dessen Leben nicht ohne Tadel, er gilt nicht nur als Nationalist, sondern als Antisemit. So manchem Zeitgenossen dürfte diese Geisteshaltung damals in den Knochen gesteckt haben – anti-jüdische Propaganda war im 19. Jahrhundert keineswegs ungewöhnlich. Und doch stellt sich eben die Frage, wie flexibel unser Wertegefühl sein kann. Gerade wenn es um das Thema Antisemitismus geht, ist Deutschland aus gutem Grund sensibel und muss die Lebensleistung der Menschen von damals mit dem Maßstab von heute vermessen. Das gilt für andere Staaten im gleichen Umfang: Wenn in den USA das Denkmal eines Sklavenhändlers steht, hilft am besten die Abrissbirne. In Afrika werden völlig zu Recht Statuen großer Kolonialherren getilgt. Manchmal ist der Vorschlaghammer einfach das treffendste Argument.

    Um Rassismus geht es auch in einer Folge unseres Podcasts "Augsburg, meine Stadt". Hier können Sie ihn hören.

    Das war halt damals so? Das reicht nicht aus!

    Gesellschaften müssen ihre Geschichte immer wieder neu verhandeln: Schulterzuckend zur Kenntnis zu nehmen, dass das eben andere Zeiten waren damals, reicht schlicht nicht aus. Das kann ein schmerzhafter, ja mitunter auch nervtötender Prozess sein, denn ohne vorhergehende Debatte wird so etwas nicht ablaufen. Nicht immer muss am Ende die radikalste aller Lösungen stehen. Manche Denkmäler sind im Museum besser aufgehoben als auf dem Marktplatz. Dort lässt sich einordnen, warum jemand auf den Sockel gestellt wurde und wie sich der Blick inzwischen geändert hat.

    Wir verehren Menschen wir nicht wegen, sondern trotz ihrer Schwächen

    Denn eines ist klar: Nur weil ein Denkmal nicht mehr steht oder eine Straße umbenannt wurde, ist die Geschichte nicht ausgelöscht – und schon gar nicht sind es die Probleme, die sich bis heute daraus ergeben. Rassismus löst sich nicht in Luft auf, nur weil es kein Mohren-Hotel, keine Mohren-Apotheke, keine Mohrenstraße mehr gibt. Darüber sprechen müssen wir trotzdem. Das hat nichts mit Sprachpolizei oder überzogener politischer Korrektheit zu tun – sondern mit Reflexion. Und die kann auch zu dem Ergebnis kommen, dass wir jemanden eben nicht wegen, sondern trotz seiner Schwächen verehren.

    Martin Luther ist so einer. Er war ohne jeden Zweifel ein Antisemit, an der Kirche in Wittenberg ist bis heute die „Judensau“ zu sehen. Und doch war er es eben auch, der sich mit dem Klerus anlegte und dem Glauben einen Weg in eine neue Epoche ebnete. Oder Bismarck. Ein Kolonialist und Monarchist. Aber er war eben auch ein Staatsmann, der eine ganze Epoche geprägt hat und dessen Sozialgesetze bis heute nachwirken. Oder Thomas Jefferson. Er hielt sich Sklaven. Aber er schuf auch ein modernes Land mit einer freiheitlichen Verfassung, von der die Europäer zu dieser Zeit nur träumen konnten. Wie arm wäre unser Land, wenn es zu diesem differenzierten Blick nicht fähig wäre.

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