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Kommentar: Debatte um taz-Kolumne: Weniger Polemik, mehr Fakten!

Kommentar

Debatte um taz-Kolumne: Weniger Polemik, mehr Fakten!

Daniel Wirsching
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    Die taz in Berlin befindet sich inmitten einer hitzigen Mediendebatte.
    Die taz in Berlin befindet sich inmitten einer hitzigen Mediendebatte. Foto: Paul Zinken, dpa

    Dass CSU-Bundesinnenminister Horst Seehofer am Sonntagabend ausgerechnet im Kampagnenblatt Bild angekündigt hat, die taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah anzeigen zu wollen (wegen Volksverhetzung oder Beleidigung), muss man nicht gleich als „beschämenden Angriff auf die Pressefreiheit“ werten, wie das die linksalternative Zeitung am Montag tat. Es ist dennoch ein bedenklicher Vorgang, zeigt er doch, wie polarisiert Deutschland inzwischen ist – und wie hitzig (und ideologisch aufgeladen) über Dinge diskutiert wird, die an den wirklich dringend zu diskutierenden Problemen mitunter vorbeigehen, ja Aufmerksamkeit von ihnen abziehen.

    Statt über den Klimawandel zu diskutieren, wird wochenlang über eine missglückte WDR-Satire („Oma ist ’ne alte Umweltsau“) diskutiert. Und statt die (systemischen) Ursachen von Polizeigewalt und Rassismus hierzulande zu ergründen, wird ein unsäglicher, satirisch gemeinter taz-Beitrag mit dem Titel „All cops are berufsunfähig“ in den Rang einer Staatsaffäre gehoben. Yaghoobifarah hatte über die „Abschaffung der Polizei“ fabuliert und Polizisten als neues Betätigungsfeld „die Mülldeponie“ nahegelegt. Um das klar zu sagen: Die Kolumne, wegen der die Deutsche Polizeigewerkschaft Strafanzeige erstattete, beinhaltet indiskutable Sätze. Sie hätte so nicht erscheinen dürfen (wie jener Gastbeitrag in der New York Times, in dem ein republikanischer Senator nach der Tötung eines Schwarzen durch einen Polizisten den Einsatz des Militärs bei den Protesten in den USA forderte).

    Verfassungsminister Seehofer sollte auf die Selbstkontrolle der Presse vertrauen

    Gerade als Verfassungsminister sollte Seehofer allerdings um die unter Druck geratene Pressefreiheit und ihren Wert wissen – und die Kolumne der Selbstkontrolle der Branche überlassen. Dem Presserat liegen hunderte Beschwerden vor; die taz hat die Kolumne in mehreren Artikeln problematisiert und sich vom Wortlaut distanziert.

    Gerade in Zeiten zunehmender Polarisierung wird es zudem wichtiger, Debatten zu versachlichen, nicht anzuheizen – um des gesellschaftlichen Friedens Willen. Gut also, dass sich CSU-Generalsekretär Markus Blume für „die Form“ einer Kritik entschuldigte, die auf dem Twitter-Account der Partei zu finden war: die taz-Kolumnistin, vor ein Foto der G-20-Krawalle in Hamburg 2017 montiert, mitsamt der Zeile: „SIE will Polizisten als Abfall auf Müllhalde entsorgen!“ Auf diese Weise wirft man Journalisten den Hetzern zum Fraß vor. Um das Prinzip „Auge um Auge“ darf es hier aber nicht gehen.

    Wenn Blumes Parteifreund Seehofer nun davon spricht, dass eine Enthemmung der Worte unweigerlich „zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen“ führe, hat er recht. Der taz-Kolumnistin eine Schuld an der Randale in Stuttgart zu geben – wie man ihn in der Bild verstehen konnte – wäre daneben. So einfach darf es sich keiner machen. Was auch für Pauschal-Kritik am Journalismus gilt.

    Die entbrannte in den letzten Jahren meist an Kommentaren, Kolumnen, satirischen Stücken, allesamt meinungsbetonte Darstellungsformen. Sie ging einher mit der Forderung, Journalismus habe „neutral“ zu sein, und mit der Umwertung des Begriffs „Haltung“. „Haltungsjournalismus“ wurde zum Schimpfwort, wo doch Journalisten selbstverständlich eine Haltung haben: Sie sind dem Grundgesetz verpflichtet.

    Und die Neutralität? Völlige Neutralität im Journalismus, absolute Objektivität gibt es nicht und kann es nicht geben. Das beginnt schon mit der Auswahl dessen, über das berichtet wird. Wer absolute Objektivität populistisch einfordert, betreibt bewusst die Zersetzung der freien, grundgesetzlich geschützten Presse. Was „Lügenpresse“-Rufer ja eigentlich wollen, ist, dass ihre Ansichten unhinterfragt veröffentlicht oder bestätigt werden: Verlautbarungsjournalismus, Propaganda. Das jedoch hat mit seriösem Journalismus, zu dem wesentlich das Einordnen gehört, nichts zu tun.

    Warum es völlige Neutralität im Journalismus nicht geben kann

    Was Journalisten leisten können und ihr Anspruch sein muss, ist der Versuch, sich der „Wahrheit“ bestmöglich zu nähern. Das heißt nicht, dass sie unfehlbar sind, ganz und gar nicht. Ihre Fehler weiten sich bisweilen zum Systemversagen, siehe den „Fall Relotius“. Die Medienbranche hat allen Grund zu permanenter Selbstkritik und muss offen für konstruktive Kritik sein.

    Im neuen Reuters Institute Digital News Survey, einer Umfrage in 40 Ländern, findet sich die Feststellung: Die Erwartung, dass Journalisten neutrale, objektive Nachrichten produzieren sollten, ist in Deutschland mit am stärksten. Dabei geht es nicht um eine Berichterstattung, in der Aussagen schlicht nebeneinander gestellt werden und als gleichrangig erscheinen. Journalisten müssen „die andere Seite“ hören – Extrempositionen müssen sie keine Plattform bieten. Nein, gemeint ist, dass sie unparteiisch berichten sollten. Und genau darin steckt ein wertvoller Hinweis, nicht nur für taz und Bild: Weniger Polemik, mehr Fakten!

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