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Kommentar: Corona offenbart Schwächen der Gesundheitspolitik

Kommentar

Corona offenbart Schwächen der Gesundheitspolitik

Michael Pohl
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    Deutsche Kliniken kämpfen schon lange mit großen Problemen.
    Deutsche Kliniken kämpfen schon lange mit großen Problemen. Foto: Fabian Sommer, dpa

    Überall in Deutschland treffen die Belegschaften in den Kliniken Vorbereitungen und trainieren für den Ernstfall – in der bitteren Gewissheit, dass er binnen weniger Tage oder Wochen Realität wird. Die Frage ist nur, wie gewaltig die Welle an schwerst erkrankten Corona-Patienten über die Pflegemitarbeiter und Ärzte samt ihren technischen Versorgungskapazitäten hereinbricht. Niemand kann diese Frage derzeit beantworten. Auch nicht die besten Computermodelle der Virologen. Der Blick auf die Corona-Katastrophe in Italien ist ein Blick in einen Abgrund. Und vor diesem Schrecken ist auch Deutschland alles andere als sicher.

    Immer wieder betonen Gesundheitspolitiker und Verbandsvertreter, dass Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme der Welt habe. Global betrachtet mag das stimmen, in den Vergleichen unter den 36 stärksten Industriestaaten der Welt ist Deutschland nur gehobener Durchschnitt – bei der Versorgung mit Krankenpflegepersonal nicht mal das. Auch das wohlhabende Norditalien hielt sein gutes regionales Gesundheitssystem für eines der weltbesten.

    Coronavirus: Deutschland hat einen kleinen Vorsprung

    Es besteht also kein Anlass zu Hochmut. Gründe, die zaghaften Optimismus aufkommen lassen, gibt es dennoch. Zum einen ist es die Ansicht der Virologen, dass Deutschland – gewarnt durch den frühzeitigeren Ausbruch in Italien – das Ausmaß der Bedrohung in einem noch früheren Stadium erkennen konnte. Dadurch gibt es einen kleinen Vorsprung im Wettlauf um den Ausbau erforderlicher Intensivbetten und Beatmungsgeräte.

    Aber auch die Infrastruktur bringt durch die große Zahl und regionale Nähe der Krankenhäuser in Deutschland Vorteile mit sich. Diese Zahl wurde von fast allen politischen Seiten als teure Überversorgung kritisiert. Dass sie dennoch überlebt hat, liegt nicht an politischem Weitblick, sondern im Gegenteil an ebenfalls viel kritisierter Kleinstaaterei bis auf Kreisebene.

    Die Beharrungskräfte sind dabei so immens, dass sie seit vielen Jahren zu einer Art gesundheitspolitischer Unregierbarkeit im Krankenhauswesen geführt haben, die sich nun unbeabsichtigt als Vorteil erweist. Das Gegenteil lässt sich übrigens beim Katastrophenschutz beobachten: Hier hat der Bund nach der Wiedervereinigung zum zentralistisch geführten Kahlschlag ausgeholt und wenig übrig gelassen.

    Corona-Krise: Das Engagement ist überdurchschnittlich

    Entscheidend im Kampf gegen die Corona-Krise, wie erfolgreich die politischen Schutzmaßnahmen sich auch immer erweisen, wird eine andere positive Beharrungskraft sein: das große Berufsethos und das weit überdurchschnittliche Engagement, mit dem Pflegekräfte und Ärzte in den Krankenhäusern arbeiten. Beider Leidenschaft für den Beruf hat sich längst zur Leidensfähigkeit gewandelt. Der Alltagsbetrieb in deutschen Kliniken basierte schon vor Corona im Wesentlichen auf der Bereitschaft der Mitarbeiter(innen) zur Selbstausbeutung. Das ist hoch anzurechnen, aber fast immer alles andere als hoch bezahlt.

    Profitorientierung muss überdacht werden

    Die Corona-Krise sollte deshalb noch lange als markerschütternde Katastrophensirene laut in den Ohren der Verantwortlichen in Politik und Gesundheitssystem heulen: Sie müssen die Probleme des deutschen Krankenhauswesens völlig neu überdenken. Die extrem profitorientierte Regulierung mit dem Fallpauschalensystem hat die Probleme nicht gelöst. Das abgrundtiefe Misstrauen zwischen Politik, Krankenhäusern, Krankenkassen und Verbandsvertretern wächst noch immer, wie jetzt der Streit um die Corona-Notfinanzierung gezeigt hat. Nach der Krise sollte der Zeitpunkt für einen gesundheitspolitischen Neuanfang kommen. Und dabei geht es weniger um eine viel zitierte „Chance“, sondern um eine schlichte Notwendigkeit.

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