Als die Corona-Krise begann, schien es, als müsse es einem zumindest um eine Kultursparte nicht besonders bange sein. Lesen – das galt als die Kulturtechnik dieser Stunden, Tage und Wochen. Was nämlich sonst tun, wenn doch Theater, Kinos, Restaurants und Bars geschlossen sind, wenn auch die Freunde alleine zu Hause sitzen und man durchs aktuelle Serienprogramm auch schon halb durch und etwas ermüdet ist. Her also mit all den guten Büchern!
Das Lesen ist in den vergangenen Wochen jedenfalls nicht zu kurz gekommen. Die Krise hat die gesamte Buchbranche dennoch schwer getroffen. Weil der entscheidende Nerv gekappt wurde. Mit der Schließung der Buchläden und der kurz darauf getroffenen Entscheidung von Amazon, das Ordern von neuer Ware erst einmal einzustellen, brach der Umsatz in den Verlagen um durchschnittlich 50 Prozent ein. Bücher, die eigentlich jetzt erscheinen sollten, wurden auf Sommer oder gleich Herbst terminiert. Ob vor allem die kleinen unabhängigen Verlage die entstandenen Verluste wegstecken können, wird sich erst noch zeigen. Und ob alle der rund 6000 Buchhandlungen in Deutschland durch dieses Jahr kommen, auch.
Die Corona-Krise war für viele Buchhändler ein emotionales Aufbauprogramm
Und dennoch. Die letzten Wochen haben auch etwas anderes zutage gefördert: nämlich die große Liebe der Leser nicht nur zu guter Literatur, sondern auch zu guten Buchhändlern. Eine Branche, deren Abgesang seit Jahren zumindest schon als leiser Sound im Hintergrund läuft, erlebt in Corona-Zeiten ein emotionales Aufbauprogramm. Die Buchhändler werden mit Solidaritätsbekundungen nahezu überschüttet, berichten von neuen Kunden, die in der Krise den Weg zu ihnen finden, von freiwilligen Lieferdiensten, von Zuspruch allenthalben. Wenn auch die Liebesbeweise natürlich nicht überall gleich so weit gingen wie die einer Lehrerin, die einfach mal die Ladenmiete für einen Monat übernahm, so ist es doch so, wie es eine Buchhändlerin ausdrückte: Es werde ihr gerade tagtäglich die Seele gestreichelt.
Wie systemrelevant die stationären Buchhandlungen sind, machte ausgerechnet Amazon erst so richtig offenbar, indem sich der Branchenriese entschied, priorisiert lieber erst mal Haushaltsartikel als Bücher zu verschicken. Beziehungsweise die Kunden nonchalant auf den hauseigenen Kindle-Shop zu lotsen. Jedenfalls machte es Amazon den Kunden so schwer wie möglich, noch ans gedruckte Buch zu kommen. Die Buchhändler dagegen bemühten sich aller widrigen Umstände zum Trotz ums Gegenteil: berieten, bestellten, verschickten online oder karrten die Literatur am besten gleich direkt zum Leser, mit Auto oder Lastenfahrrad, Lieferung direkt an die Haustüre (wie aber übrigens auch schon vor diesen verrückten Zeiten möglich). Hier bitteschön, das Buch zur Stunde, Boccaccios "Das Decamerone". Oder auch: Lutz Seiler, "Stern 111", zu Beginn der Krise eben noch mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnet.
Selbst das Niveau der Bestsellerliste steigt
Denn auch das hat die Krise gezeigt: Dass gute Bücher helfen, und zwar vielleicht ein bisschen mehr als auf Masse produzierte Durchschnittsware. Selten las sich eine Bestsellerliste so erlesen wie in den letzten Wochen. Angefangen von Lutz Seiler auf Platz eins, über den Dauerseller von Delia Owens "Der Gesang der Flusskrebse", in dem es vor allem um ein Leben in abgeschiedener Natur geht, bis hin zu Ingo Schulze mit "Die rechtschaffenen Mörder". Was wohl auch daran lag, dass die Marktmacht und Beratung in diesen Tagen bei denen lag, die gute Literatur lieben: den Buchhändlern! Ab heute auch wieder in ihrer Buchhandlung um die Ecke anzutreffen. Noch gibt es die fast überall.
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