Militärisch betrachtet ist der Einsatz der Nato in Afghanistan ein Fiasko. Fast 4000 Soldaten der westlichen Allianz und Zigtausende von Soldaten der afghanischen Armee haben am Hindukusch ihr Leben gelassen, die Taliban sind so stark wie nie und die Friedensgespräche mit der Regierung festgefahren. Der Kampf gegen Armut, Gewalt und Korruption hat etwas Verzweifeltes, wenn nicht gar Aussichtsloses angenommen. Wie schon nach der gescheiterten Invasion der Sowjets in den achtziger Jahren versinkt das Land auch nach fast 20 Jahren an der Seite des Westens im Chaos.
Die Regierung in Kabul ist zu schwach
Trotzdem wäre es ein kapitaler Fehler, wenn Amerikaner, Deutsche oder Niederländer ihre Truppen im Frühjahr wie ursprünglich geplant nach Hause holen. Im Moment ist es alleine die Präsenz der Nato, die die Taliban im neutralen Doha noch am Verhandlungstisch hält - ganz abgesehen davon, dass es schon eine politische Zumutung ist, mit Islamisten ihres Kalibers überhaupt verhandeln zu müssen. Die Regierung in Kabul aber hat weder die Kraft noch die Autorität, diesen Konflikt selbst zu entschärfen. Sie muss schon froh sein, wenn sie den Taliban am Ende eine Art friedliche Koexistenz abringen kann – einen Frieden, der diesen Namen auch verdient, wird es in Afghanistan womöglich auf Jahrzehnte hinaus noch nicht geben.
Der Westen steht damit vor einer schweren strategischen Entscheidung: Soll er das Land sich selbst überlassen, weil auch Billionen von Dollar und Hunderttausende von Soldaten es bisher nicht vor dem schleichenden Zerfall retten konnten? Soll er es riskieren, das Afghanistan noch einmal zu einer Brutstätte des globalen Terrors wird, ein Rückzugsraum für einen neuen Osama bin Laden? Oder versucht er, finanziell wie militärisch, die völlige Preisgabe des Landes an die Taliban doch noch zu verhindern? Ein rascher Rückzug der letzten Nato-Truppen wäre ja nichts anders als ein Freibrief für die selbst ernannten Gotteskrieger, sich Afghanistan ganz unter den Nagel zu reißen und ein Regime von rücksichtsloser religiöser Härte zu etablieren. Damit hätte auch der Westen, um im Jargon der Militärs zu bleiben, wie einst die Sowjetunion vor den Verhältnissen in Afghanistan kapituliert. Tausende von Soldaten wären umsonst gestorben, unter ihnen auch 59 deutsche.
In Afghanistan sind noch knapp 1100 deutsche Soldaten stationiert
Gemeinsam rein, gemeinsam raus: Auch wenn die Bundeswehr mit ihren knapp 1100 Mann im Norden des Landes bereits auf gepackten Kisten sitzt und Donald Trump im vergangenen Jahr ohne Rücksprache mit den Alliierten ganze Bataillone nach Hause beordert hat, braucht die Nato noch Geduld mit Afghanistan – und Afghanistan umgekehrt noch Hilfe bei der Ausbildung seiner eigenen Sicherheitskräfte, beim Wiederaufbau des Landes und seinen vorsichtigen demokratischen Gehversuchen. Dass die Taliban damit drohen, wieder verstärkt die westlichen Truppen anzugreifen, spricht ja Bände – sie sehen ihre Felle davonschwimmen. US-Präsident Joe Biden hat es mit dem Abzug der Truppen bei Weitem nicht so eilig wie sein Vorgänger und wird alles Weitere vom Verlauf der Gespräche in Doha abhängig machen.
Doch selbst wenn an deren Ende eine Art Friedensvertrag zwischen der Regierung und den Taliban stehen sollte: Wer, wenn nicht eine neutrale militärische Instanz, überwacht anschließend, ob der Vertrag auch eingehalten wird? Mag sein, dass die Nato ihr Mandat mit Doha als erfüllt betrachtet, an ihre Stelle aber müsste dann eine Blauhelmmission der Vereinten Nationen treten – ein Einsatz, der Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern kann und dem sich im Falle eins Falles auch die Bundeswehr nicht komplett verweigern könnte.
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