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Kommentar: CDU und SPD tun nach den Wahlen so, als wäre nichts passiert

Kommentar

CDU und SPD tun nach den Wahlen so, als wäre nichts passiert

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    Die Wahlerfolge der AfD zu ignorieren ist nicht der richtige Weg, meint Walter Roller in seinem Leitartikel.
    Die Wahlerfolge der AfD zu ignorieren ist nicht der richtige Weg, meint Walter Roller in seinem Leitartikel. Foto: Wolfgang Kumm, dpa

    Gelassenheit ist eine Tugend, im privaten wie im politischen Leben. Und natürlich besteht nicht der geringste Grund, nun eine Gefahr für die Demokratie an die Wand zu malen. Aber die Ruhe, mit der CDU und SPD auf das Erdbeben bei den jüngsten Landtagswahlen reagieren, grenzt schon an Realitätsverweigerung. Die beiden Volksparteien machen weiter, als ob nichts geschehen wäre. Keine Spur von Selbstkritik. Kein Hinweis darauf, dass die Botschaft des Wahlsonntags angekommen ist. Man gibt sich der (trügerischen) Hoffnung hin, dass die neue Konkurrenz bald wieder in der Versenkung verschwinden werde – und lügt sich in die eigene Tasche.

    Die CDU-Spitze deutet den Niedergang in ihrer einstigen Hochburg Baden-Württemberg spitzfindig in eine glanzvolle Bestätigung für die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin um – woraus natürlich zwingend folgt, dass es am Kurs Merkels nichts zu korrigieren gibt. Die SPD sonnt sich im Glanz der rheinland-pfälzischen Wahlsiegerin Dreyer und geht darüber hinweg, dass die Sozialdemokratie in zwei Ländern pulverisiert wurde und weit hinter der AfD gelandet ist. Diese Schönfärbereien sind umso erstaunlicher, als ja in CDU und SPD nach diesen Wahlen alle Alarmglocken läuten müssten. Beiden sind viele Wähler davongelaufen, beiden droht ein Schrumpfungsprozess und das Ende der strategischen Mehrheitsfähigkeit.

    Die AfD bündelt den Protest der Gesellschaft

    Von allen gültigen Stimmen, die abgegeben wurden, sind nur noch 28,5 Prozent auf die CDU und 18,7 Prozent auf die SPD entfallen. Die Protestpartei „Alternative für Deutschland“, die schon erledigt schien, kam aus dem Stand auf satte 15,5 Prozent. Sie ist damit fast so stark wie die SPD und halb so stark wie die CDU. Das ist ein schwerer Schlag ins Kontor der Volksparteien, der das herkömmliche Parteiensystem in seinen Grundfesten erschüttert. Die AfD stößt in den Raum zwischen der Mitte und dem extremen rechten Rand vor, den die modernisierte Merkel’sche CDU preisgegeben hat. Fasst sie dort Fuß, dann bekommt es die Union erstmals mit einer ernst zu nehmenden Konkurrenz von rechts zu tun. Drei Viertel der Deutschen erwarten Bundestagseinzug der AfD

    Seehofers Warnung vor einem „Sinkflug“ der Union ist begründet, weil die nationalkonservativ denkenden Wähler dann eine demokratische Alternative haben. Noch ist es nicht so weit. Noch besteht die Möglichkeit, dass sich die AfD selbst zerlegt und so sehr radikalisiert, dass sie für Demokraten nicht wählbar ist. Auch muss sich erst erweisen, was die AfD in den Parlamenten außer populistischen Parolen zu bieten hat. Aber die etablierten Parteien begingen einen schweren Fehler, wenn sie die AfD für einen vorübergehenden Spuk hielten. Selbst wenn es Merkel demnächst gelingen sollte, die Flüchtlingskrise mit einer „europäischen Lösung“ zu entschärfen: Die Masseneinwanderung und die Probleme der Integration bleiben auf Jahre hinaus ein Reizthema deutscher Politik. Auch hat der Auftrieb für die AfD nicht nur mit der Willkommenspolitik der offenen Grenzen zu tun, die von einer Mehrheit der Deutschen abgelehnt wird. Dahinter kommt auch das Unbehagen über Europa, die Euro-Rettungspolitik und das „System“ insgesamt zum Vorschein.

    Die AfD bündelt den Protest, der sich bis weit in die Mitte der Gesellschaft aufgestaut hat. Dem ist nicht dadurch beizukommen, dass die Partei oder gar ihre Wähler pauschal in die rechtsradikale Ecke gestellt werden. Diese Methode funktioniert nicht mehr. Vonnöten ist, neben einer harten argumentativen Auseinandersetzung in der Sache, die Lösung von Problemen. Solange viele Bürger das Gefühl haben, die Regierenden kümmerten sich nicht um ihre Sorgen, ist mit weiteren AfD-Erfolgen zu rechnen.

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