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Kommentar: Bürokraten, die Geschichte schreiben - der Friedensnobelpreis 2020

Kommentar

Bürokraten, die Geschichte schreiben - der Friedensnobelpreis 2020

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    Der Kampf gegen den Hunger in der Welt ist die Aufgabe des Welternährungsprogramms der UN. Die Mitarbeiter wurden nun mit dem Friedensnobelpreis 2020 ausgezeichnet.
    Der Kampf gegen den Hunger in der Welt ist die Aufgabe des Welternährungsprogramms der UN. Die Mitarbeiter wurden nun mit dem Friedensnobelpreis 2020 ausgezeichnet. Foto: Lynn Bo Bo/EPA, dpa (Symbol)

    Es gibt das stolze Diktum von den „Männern, die Geschichte schreiben“ (als der Satz in Mode kam, war weibliche Mitbestimmung noch nicht in Sie zeichneten mit ihrem Friedensnobelpreis gerne schillernde Individuen aus – manchmal gar Männer, die lange Zeit nicht gerade als Friedensfürsten aufgefallen waren, etwa Henry Kissinger. Oder die noch gar keine Gelegenheit gehabt hatten, viel Frieden zu stiften, wie der damals erst frisch zum US-Präsidenten gewählte Barack Obama. Auch dieses Jahr standen große Namen für die wohl renommierteste politische Auszeichnung der Welt zur Auswahl, darunter Donald Trump oder Klima-Aktivistin Greta Thunberg

    Der Friedensnobelpreis geht 2020 an Menschen, die täglich (Über-)Lebensfragen angehen

    Doch so wie moderne Historiker immer stärker auf gesellschaftliche Strukturen und den Einfluss von Akteuren abseits des Rampenlichts achten, hat sich auch das Nobelkomitee weiterentwickelt. Seine Ehrung für die Mitarbeiter des Welternährungsprogrammes der Vereinten Nationen bietet wenig Glamourfaktor, weil sich damit kein öffentliches Gesicht verbinden lässt. Aber sie zeichnet Menschen aus, die jeden Tag die (Über-)Lebensfragen unserer Menschheit angehen – und mitten in der Corona-Krise geforderter sind denn je.

    Denn Corona ist eine zutiefst ungerechte Krise. Das Virus schert sich nicht um sozialen Ausgleich. Es trifft gnadenlos vor allem jene, die schon ganz unten sind. Auch hierzulande leiden Menschen mit prekären Existenzen oft am stärksten, doch zumindest droht in Deutschland niemandem der Hungertod. Das sieht in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern ganz anders aus, wo zuletzt schon Kriege oder immer stärker spürbare Folgen des Klimawandels für neue Verelendung gesorgt hatten. Mehrere hundert Millionen Menschen weltweit könnten durch die Pandemie in extremen Hunger abrutschen, fürchten Experten – weil viele Tagelöhner nichts mehr verdienen, weil Grenzen abgeriegelt werden, weil Tourismuseinnahmen wegbrechen. Dazu kommen die Schläge am Finanzmarkt: Rund 100 Milliarden Euro zogen Investoren binnen kurzer Zeit aus armen Ländern ab, zugleich stocken die Überweisungen von Migranten in ihre Heimatstaaten. Laut dem Internationalen Währungsfonds könnten rund 170 Länder mit 90 Prozent der Weltbevölkerung wegen der Krise schlechter dastehen als zu Beginn des Jahres.

    Die Menschen im Welternährungsprogramm sind Bürokraten – und systemrelevant

    Die Menschen im Welternährungsprogramm stemmen sich dagegen. Sie bleiben im Schatten, sie sind Bürokraten, über die viele Menschen gerne spotten. Aber sie sind höchst systemrelevant. Sie schaffen es, sich täglich zu motivieren, obwohl in ihrer Welt vieles immer schwer bleibt – und noch schwerer werden könnte, wenn die Welt bis zum Jahr 2050 geschätzt zehn Milliarden Menschen ernähren muss.

    Sie sind vom Komitee aber nicht nur ausgezeichnet worden, weil sie sich gegen die Geißel Hunger stemmen, sondern auch weil sie für „Multilateralismus“ brennen. Dessen Wert muss man in der Ära Trump immer betonen, aber auch in Zeiten von Corona. Nur ein Beispiel: Getreidespeicher sind insgesamt weltweit prall gefüllt, stehen aber vor allem in wenigen Staaten. Wer bekommt wie viel davon wie schnell und zu welchem Preis?

    Durch Corona stellen sich ganz neue Verteilungsfragen. Diese dürfen nicht zu einem neuen globalen Verteilungskampf führen. Den zumindest zu mildern, geht nur gemeinsam. Kein einzelner Mann oder Frau kann das schaffen, es braucht auf der ganzen Welt viele Hände und Köpfe. Deswegen ist der Friedensnobelpreis 2020 für die (unbekannten) Mitarbeiter des Welternährungsprogramms so ein wichtiges Signal.

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