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Kommentar: Brexit: Eine Scheidung im Guten ist im Interesse Europas

Kommentar

Brexit: Eine Scheidung im Guten ist im Interesse Europas

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    Die britische Premierministerin Theresa May hat hoch gepokert – und sich grandios verzockt. Die ohne Not ausgerufenen Neuwahlen, die May eine noch sattere Mehrheit im Parlament bescheren sollten, sind zum Desaster für die Konservativen geraten. Die absolute Mehrheit ist futsch, die Labour Party von den Toten auferstanden. May muss, sofern sie die eigene Partei überhaupt am Ruder lässt, mit einer wackligen, hauchdünnen Mehrheit weitermachen, die keine Stabilität gewährleistet. May wollte ein starkes Mandat für die Brexit-Verhandlungen – nun geht sie geschwächt in den Clinch mit der Europäischen Union (EU).

    Die Regierungschefin, die ihren riesigen Umfragevorsprung mit einem lausig geführten Wahlkampf verspielte, hat eines der spektakulärsten politischen Eigentore der jüngeren Geschichte geschossen. Sie stürzt (noch?) nicht wie ihr Vorgänger Cameron, der die Briten aus parteitaktischen Gründen über einen Austritt aus der EU abstimmen ließ und nach seiner Niederlage gehen musste.

    Aber auch May steht nun als Verliererin da, die an Autorität eingebüßt hat und deren Qualitäten nicht im Entferntesten an jene der „eisernen Lady“ Margaret Thatcher heranreichen. Und das in einem Augenblick, da das in Süd und Nord, Jung und Alt, EU-Gegner und EU-Befürworter gespaltene Großbritannien den Absprung aus Europa wagt und dringend einer stabilen Regierung sowie einer mit großem Rückhalt ausgestatteten Führungsfigur bedürfte.

    Offenbar hat der Streit um die Konditionen des EU-Austritts den Ausgang der Wahl nicht entschieden. Die Ursachen der Schlappe Mays liegen woanders. Da waren die Terroranschläge mitten im Wahlkampf, die den Ruf der Konservativen als Garanten innerer Sicherheit beschädigten. Da war Mays wankelmütiges, taktisch ungeschicktes, roboterhaftes Auftreten, das den Herausforderer Corbyn – ein Linksaußen ältester Schule – im Licht einer authentischen, zumal junge Menschen begeisternden Persönlichkeit erstrahlen ließ.

    GB-Wahl 2017: Brexit kommt dennoch - aber wie genau?

    Das Comeback Labours ist dem Verdruss vieler Briten über die Sparpolitik geschuldet. Es wäre deshalb verkehrt, aus dieser Wahl ein Votum gegen den Brexit herauszulesen oder gar darauf zu hoffen, dass die Briten ihre historische Entscheidung demnächst korrigieren. Die Würfel sind gefallen; auch Labour will den Abschied aus der EU. Es geht nur noch darum, wie sich der nun noch komplizierter gewordene Scheidungsprozess vollzieht.

    Die Etappen bis zum Brexit im März 2019

    Mit der offiziellen Brexit-Erklärung setzt Großbritannien die komplexen Verhandlungen über seinen EU-Austritt in Gang. Der Fahrplan bis zum März 2019:

    31. März 2017: EU-Ratspräsident Donald Tusk will den anderen 27 EU-Staaten einen Vorschlag für »Leitlinien» für die Verhandlungen machen.

    5. April 2017: Das Europaparlament will eine Resolution mit seinen Vorstellungen zu den Prioritäten in den Brexit-Verhandlungen verabschieden.

    29. April 2017: Ein Sondergipfel der 27 EU-Staats und Regierungschefs beschließt die Verhandlungsleitlinien. Binnen 48 Stunden will die EU-Kommission ihre Empfehlung zur Eröffnung der Verhandlungen verabschieden.

    Mai 2017: Die EU-Europaminister verabschieden detailliertere Richtlinien für die Inhalte der Gespräche und erteilen dem Brexit-Beauftragten der EU-Kommission, Michel Barnier, ein offizielles Verhandlungsmandat.

    Mai/Juni 2017: Die eigentlichen Austrittsverhandlungen beginnen.

    Bis Ende 2017: Barnier will bis Jahresende möglichst drei Fragen klären: den Umgang mit EU-Bürgern in Großbritannien und Briten in der EU, den Status der Grenze zu Nordirland sowie die Höhe der Zahlungen, die London noch an die EU leisten muss.

    Oktober 2018: Die Verhandlungen über den gesamten Austrittsvertrag sollen abgeschlossen sein, um eine rechtzeitige Ratifizierung durch das Europaparlament und das britische Parlament zu ermöglichen.

    29. März 2019: Die britische EU-Mitgliedschaft endet offiziell. Die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen und insbesondere ein Handelsabkommen dürften sich aber noch mehrere Jahre hinziehen. Übergangsregelungen sind deshalb wahrscheinlich. (Text: afp)

    May steuert auf den „harten“ Brexit zu, will raus aus dem Binnenmarkt und der Zollunion und damit auch die Kontrolle über die Zuwanderung aus der EU gewinnen. Brüssel hält mit Milliardenforderungen dagegen und besteht bei einer Fortführung enger Handelsbeziehungen auf dem Recht von EU-Bürgern, sich in Großbritannien niederzulassen. Im Moment ist schwer zu beurteilen, ob May bei ihrer harten Linie bleibt oder auf eine sanftere Brexit-Variante umschwenkt, die auch künftig eine enge Bindung an die EU erlaubt. Die verlorene Wahl dürfte allerdings die nötige Bereitschaft zum Kompromiss befördern.

    London und Brüssel bleiben nur zwei Jahre, um einen geordneten Ausstieg auszuhandeln und den wirtschaftlichen Schaden der Trennung zu begrenzen. Eine Scheidung im Guten ist im Interesse der EU und Deutschlands, das einen wichtigen Verbündeten im ständigen Stellungskampf gegen die Front der südlichen Länder verliert. Der Ausstieg der Briten ist in vielerlei Hinsicht (insbesondere auch sicherheitspolitisch) ein schwerer Verlust für die krisengebeutelte EU, die dringender denn je einen Neustart benötigt. Umso wichtiger ist es, die alten Bande nicht völlig abreißen zu lassen.

    Premierminister seit dem EU-Beitritt Großbritanniens

    Die Premierminister seit dem Beitritt Großbritanniens 1973 zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Vorgängerin der Europäischen Union (EU):

    Edward Heath (1970-1974, Konservative): setzt den EWG-Beitritt Großbritanniens durch.

    Harold Wilson (1974-1976, Labour): in seiner Amtszeit scheitert das erste Referendum für einen Austritt aus der Staatengemeinschaft.

    James Callaghan (1976-1979, Labour): der Pragmatiker hat mit riesigen Wirtschaftsproblemen zu kämpfen.

    Margaret Thatcher (1979-1990, Konservative): die "Eiserne Lady" krempelt das Land um und setzt den "Briten-Rabatt" in Europa durch.

    John Major (1990-1997, Konservative): handelt aus, dass sich London weder an die Sozialbestimmungen des Maastricht-Vertrags halten noch an einer Gemeinschaftswährung teilnehmen muss

    Tony Blair (1997-2007, Labour): akzeptiert, dass der "Briten-Rabatt" in der EU abgeschmolzen wird.

    Gordon Brown (2007-2010, Labour): in seine Amtszeit fällt die große Finanz- und Wirtschaftskrise.

    David Cameron (2010-2016, Konservative): tritt zurück, nachdem die Briten in einem Referendum für den EU-Austritt stimmten.

    Theresa May (seit Juli 2016, Konservative): erklärt im März 2017 offiziell den Austritt ihres Landes aus der EU.

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