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Kommentar: Beim Klima reden wir wie Heilige und handeln wie Vandalen

Kommentar

Beim Klima reden wir wie Heilige und handeln wie Vandalen

Margit Hufnagel
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    Das Kohlekraftwerk Mehrum in Niedersachsen. Das Thema Klimaschutz dominierte die Debatten im zu Ende gehenden Jahr.
    Das Kohlekraftwerk Mehrum in Niedersachsen. Das Thema Klimaschutz dominierte die Debatten im zu Ende gehenden Jahr. Foto: Julian Stratenschulte, dpa (Symbol)

    Sprache ist ein feiner Seismograf, wenn es darum geht, die Bewegungen innerhalb der Gesellschaft zu erfassen. Sie prägt unser Denken und offenbart veränderte Wertvorstellungen. Jede Generation erfindet ihre eigenen Worte, um den Zustand der Welt greifbar zu machen. In den 70er Jahren kamen Begriffe wie Ölkrise und Bürgerinitiative auf, in den 80er Jahren waren es Neonazi und Privatfernsehen. Auch das nun zu Ende gehende Jahr 2019 hat eine sprachliche Schöpfung hervorgebracht: Flugscham – das schlechte Gewissen, mit einer Flugreise dem Klima zu schaden.

    Wie kaum ein anderes Thema prägen der Umweltschutz und die Folgen, die wir für unser Leben ziehen müssen, die Debatten. Klimaschutz ist das politische Megathema des Jahres geworden. Das Bewusstsein hat sich verändert, aus theoretischem Wissen wurde ein praktischer Auftrag für unseren Alltag. Dass die Schwingungen der Umweltbewegung über die überschaubaren Kreise von Aktivisten hinausreichen und in der Mitte der Gesellschaft zu verspüren sind, ist einer jungen Frau zu verdanken: Greta Thunberg, Schwedin, 16 Jahre. Das Time-Magazin hat sie zur "Person des Jahres" gekürt, sie wurde empfangen von Barack Obama und dem Papst, hält den Mächtigen dieser Welt den Spiegel vor.

    Greta Thunberg wurde zur Time-"Person of the Year".
    Greta Thunberg wurde zur Time-"Person of the Year". Foto: Time Magazine/AP, dpa

    Fridays for Future: Aus Idealismus muss Handeln werden

    Für die einen ist Greta Heilsbringerin, für andere Hassfigur – gerecht wird man der jungen Frau wohl mit keiner der beiden Zuschreibungen. Doch was ihr keiner absprechen kann: Greta ist zur Anführerin einer Jugendbewegung geworden, die Millionen auf die Straßen bringt und so schnell nicht verstummen wird. Und die in diesem Jahr bewiesen hat, dass es sich lohnt, für die eigenen Überzeugungen einzustehen. Ohne den Druck der Masse wären selbst die kleinen Schritte, die die Politik unternommen hat, nicht zustande gekommen. Doch so stolz die "Fridays for Future"-Bewegung sein kann – nun muss sie zeigen, dass aus Idealismus Handeln erwachsen kann. Denn auch das verdeutlichen Worte wie Flugscham: Das Wissen um die schädlichen Auswirkungen unserer Gewohnheiten ist da – sie zu ändern, ist deutlich schwieriger.

    Während Deutschland über den Klimaschutz spricht, erreicht die Zahl der SUV-Zulassungen einen Rekord. Die Zahl der Flugreisen wächst genauso wie die der verkauften Silvesterböller. Der Fleischkonsum verharrt auf hohem Niveau. Jedes Jahr ein neues Handy, ständig neue Kleidung. Wir sprechen wie Heilige und handeln wie Vandalen. Und das ist auch wenig verwunderlich: Gewohnheiten zu ändern ist ein gewaltiger Kraftakt, vor allem dann, wenn es darum geht, auf Annehmlichkeiten zu verzichten. Und deshalb ist auch der Reflex fatal, den Regierungen mangelnden Ehrgeiz in Fragen der Klimapolitik vorzuwerfen.

    Politik ist immer Kompromiss

    Natürlich: Politik ist eine Schnecke, Entscheidungen fallen bisweilen quälend langsam. Und doch ist der demokratische Prozess der einzige Weg, den wir einschlagen können. Die Aufgabe der Parteien ist es, das Ganze im Blick zu behalten – und dazu gehört neben dem Umweltschutz sehr wohl auch der Wohlstand. Nur wenn es gelingt, Ökologie und Ökonomie ins Gleichgewicht zu bringen, wird eine dauerhafte Veränderung möglich sein. Eine Klima-Diktatur könnte strenge Regeln erlassen, die sich alleine den Erkenntnissen der Forschung unterwirft. Doch was ist mit den sozialen Aspekten? Was ist mit Ländern in Afrika und Asien, die sehnsüchtig auf unseren Überfluss blicken? Politik ist immer Kompromiss. Wer Dinge bewegen will, braucht gute Argumente. Der Klimawandel liefert hunderte davon. Nur das Ringen darum werden wir uns nicht ersparen können. Es lohnt sich.

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