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Kommentar: Ausgleich und Versöhnung passen nicht in Erdogans Weltbild

Kommentar

Ausgleich und Versöhnung passen nicht in Erdogans Weltbild

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    Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip.
    Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip. Foto: Umit Bektas/Archiv, dpa

    Die Türkei hat den Versuch eines neuerlichen Staatsstreichs der Militärs abgewehrt. Das ist gut so, denn die entschiedene Reaktion der Öffentlichkeit und von Teilen der Armee auf den Umsturzversuch zeigt, dass die Türken bereit sind, ihre Demokratie zu verteidigen, selbst wenn Panzer auf den Straßen rollen und Kampfflugzeuge im Tiefflug über die Dächer von Istanbul und Ankara donnern. Zugleich ist das Scheitern des Putschversuches ein Signal an Präsident Recep Tayyip Erdogan: Er sollte zurückkehren auf den Weg der politischen Reformen und seinen Marsch in den Ein-Mann-Staat beenden. Aber leider ist kaum damit zu rechnen, dass Erdogan diese Lehre aus den Ereignissen ziehen wird.

    Staatsstreich war zum Scheitern verurteilt

    Mehrfach haben die türkischen Generäle in den vergangenen Jahrzehnten gewählte Regierungen von der Macht verdrängt. Bei jeder dieser Interventionen handelten die Militärs geschlossen und konnten auf die Unterstützung zumindest eines Teils der Öffentlichkeit bauen.

    Diesmal war die Lage grundlegend anders. Es gab keine breite Bewegung für einen Umsturz in der Armee, geschweige denn in der Öffentlichkeit. Auch deshalb war der Staatsstreich von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Statt eine Reaktion gegen Erdogan auszulösen, traten die Putschisten eine Lawine der Solidarität zugunsten des Präsidenten los. Selbst Erdogan-Gegner stellten sich gegen die Umstürzler.

    Dieses Erlebnis könnte zur Geburtsstunde eines neuen Demokratieverständnisses in der Türkei werden. Erdogan könnte sich große Verdienste erwerben, wenn er jetzt, nachdem die Türken gemeinsam die undemokratische Machtübernahme einer Junta abgewehrt haben, auf seine Kritiker zugeht und sich um Versöhnung und Ausgleich bemüht.

    Doch die Chancen dafür stehen schlecht. Die Kämpfe zwischen regierungstreuen Truppen und Aufständischen waren noch nicht beendet, da rief Erdogan bereits zu neuen „Säuberungen“ auf, um Anhänger des im US-Exil lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen aus staatlichen Institutionen zu vertreiben. Innerhalb weniger Stunden wurden mehrere tausend Soldaten und Richter als mutmaßliche Anhänger Gülens festgenommen oder vom Dienst suspendiert. Gegner des Präsidenten hegten gar den Verdacht, Erdogan selbst könnte den Putschversuch in Szene gesetzt haben, um seine eigene Position weiter zu stärken.

    Kompromisse? Ohne Erdogan

    In den vergangenen Monaten war der Präsident mit immer größerem Druck gegen seine innenpolitischen Kritiker vorgegangen. Er hat alles dem Ziel untergeordnet, aus der Türkei eine Präsidialrepublik mit ihm selbst an der Spitze zu machen. Alles im Staat soll auf den Präsidenten zugeschnitten werden, demokratische Kontrollinstanzen gelten bestenfalls als störendes Beiwerk.

    Eine Suche nach Kompromissen und Ausgleich und die dafür nötigen Zugeständnisse an politische Gegner passen nicht in Erdogans Weltbild. Das Sendungsbewusstsein des 62-jährigen Staatschefs wird sich nach der überstandenen Gefahr weiter verstärken.

    Falls die Putschisten ihre Aktion in der Absicht gestartet haben sollten, Erdogans Herrschaft zugunsten von mehr Demokratie zu beenden, dann sind sie nicht nur mit der Machtübernahme an sich gescheitert: Sie könnten die autokratischen Tendenzen des Staatschefs noch weiter gefestigt haben. Der Blick in die Zukunft gibt deshalb nur wenig Anlass zur Hoffnung. Eine Rückkehr zum Reformkurs des vergangenen Jahrzehnts erscheint in der Türkei nach dem Putschversuch noch weniger wahrscheinlich als vorher. Erdogan wird sich auf seinem Weg nicht bremsen lassen.

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