Wenn wir darüber nachdenken, was die richtige Reaktion auf die furchtbaren islamistischen Anschläge mitten in Europa ist, sollten wir uns zunächst klarmachen, was die Mörder erreichen wollen. Ihre Ziele sind immer die gleichen: Schrecken verbreiten. Hass erzeugen. Einen Glaubenskrieg entfachen. Die liberale westliche Welt spalten.
Wir können nicht verhindern, dass wir es angesichts der grausamen Taten in Frankreich, in Dresden oder Wien mit der Angst zu tun bekommen. Die Angst ist menschlich. Dunkle Erinnerungen werden wach an die blutige Serie im Sommer 2016, als Islamisten innerhalb weniger Tage in Nizza, Würzburg und Ansbach zuschlugen. Damals nutzten sie das Durcheinander der Flüchtlingskrise, in der Europa besonders verwundbar war. Heute macht die Corona-Pandemie die ganze Welt verwundbar. Die Menschen sind verunsichert, manche sind wütend, andere traurig. Der Zusammenhalt bröckelt, der Winter erscheint unendlich lang. Viele fragen sich in ihrer erzwungenen Einsamkeit: Wo sind wir überhaupt noch sicher?
Terror in Europa: Wir dürfen Hass nicht mit Hass beantworten
Es sind zermürbende Tage, die wir gerade erleben. Umso anstrengender, aber eben auch umso wichtiger ist es, die Terroristen nicht an ihr Ziel kommen zu lassen. Sie machen uns Angst, ja. Aber wir dürfen ihren Hass nicht mit Hass beantworten. Und wir dürfen nicht hinnehmen, dass sie unsere Idee von Freiheit zerstören und unsere Gesellschaft, die gerade ohnehin so viel aushalten muss, zerreißen.
Terror mit islamistischem Hintergrund in Europa
Seit dem Attentat auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" Anfang 2015 gab es in verschiedenen europäischen Ländern Angriffe mit islamistischem Hintergrund - eine Auswahl:
Paris, Januar 2015: Bei einem Attentat auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" und einen jüdischen Supermarkt sterben 17 Menschen.
Paris, November 2015: Bei einer koordinierten Anschlagsserie ermorden Extremisten 130 Menschen, die meisten davon in der Konzerthalle "Bataclan".
Brüssel, März 2016: Mit mehreren Bomben töten Attentäter am Flughafen und in einer Metrostation 32 Menschen.
Nizza, Juli 2016: Am französischen Nationalfeiertag rast ein Attentäter mit einem Lkw in eine Menschenmenge. Mindestens 86 Menschen werden getötet.
Berlin, Dezember 2016: Kurz vor Weihnachten fährt ein Attentäter mit einem Lastwagen auf dem Breitscheidplatz in einen Weihnachtsmarkt - zwölf Menschen sterben.
Stockholm, April 2017: Ein gekaperter Lastwagen rast in einer Einkaufsstraße erst in eine Menschenmenge und dann in ein Kaufhaus. Fünf Menschen werden getötet.
Manchester, Mai 2017: Bei einem Bombenanschlag nach einem Popkonzert des Teenie-Stars Ariana Grande reißt ein Selbstmordattentäter 22 Menschen mit in den Tod, darunter auch Kinder.
London, Juni 2017: Angriff mit einem Lieferwagen auf Passanten auf der London Bridge gefolgt von Messerangriffen im nahe gelegenen Marktviertel. Acht Menschen sterben.
Barcelona, August 2017: Ein Attentäter fährt auf der Flaniermeile Las Ramblas einen Lieferwagen in die Menschenmenge und tötet 14 Menschen. Zwei weitere Menschen sterben im Umfeld des Attentats.
Straßburg, Dezember 2018: Auf dem Weihnachtsmarkt tötet ein Angreifer fünf Menschen.
Dresden, Oktober 2020: Ein Mann greift in der Innenstadt zwei Touristen mit einem Messer an, einer stirbt. Die Bundesanwaltschaft ermittelt, sie geht von einem islamistischen Hintergrund aus.
Nizza, Oktober 2020: Bei einer Messerattacke in einer Kirche kommen drei Menschen ums Leben.
Wien, November 2020: Ein Attentäter schießt in einem Ausgehviertel um sich. Es werden mindestens vier Menschen getötet.
Zugleich müssen wir uns aber auch im Klaren darüber sein, dass die Gefahr durch selbst ernannte Gotteskrieger im Namen Allahs nicht gebannt ist. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" und ihre Anhänger mögen geschwächt sein. Ihr Siegeszug im Nahen Osten ist gestoppt, aber endgültig geschlagen sind sie nicht. Das radikale Gedankengut lebt weiter. Und ein Teil der Netzwerke offenbar auch.
Der Staat muss konsequenter gegen extremistische Gefährder vorgehen
Auf den ersten Blick waren es Einzeltäter, die in den vergangenen Tagen an verschiedenen Orten in Europa gemordet haben. Wer sich im Untergrund radikalisiert, bleibt für die Ermittler lange unsichtbar. Was wir durchaus sehen können, ist allerdings, wie diese Menschen zu Tätern werden, woher ihr Wahnsinn und ihre Gewaltbereitschaft kommen und wer den Hass gezielt schürt.
Oft sind das radikale Prediger, die den Sicherheitsbehörden durchaus bekannt sind. Hier muss der Staat konsequenter durchgreifen. Der Mörder von Wien war wegen versuchter Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorbestraft, er wollte nach Syrien ausreisen, um sich dort den IS-Kämpfern anzuschließen. Wie kann so jemand unbemerkt in den Besitz einer automatischen Waffe und so viel Munition kommen? Wer wusste von seinen Plänen?
Aus den grausamen Taten Einzelner darf kein Glaubenskrieg werden
Auch in Deutschland leben mindestens 600 islamistische Gefährder. Was die verantwortlichen Politiker jetzt tun sollten: Dafür sorgen, dass diese Leute so streng wie möglich überwacht und, wenn das machbar ist, auch abgeschoben werden. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Europa intensivieren, denn der Terror kennt keine Grenzen. Was Politiker nicht tun sollten: den Islam oder Muslime generell unter Verdacht stellen. Denn genau das gehört zur perfiden, zur hinterhältigen Strategie der Mörder. Sie spekulieren darauf, dass die angegriffenen Nationen sich aufhetzen lassen. Dass aus den wahnhaften Taten Einzelner ein Krieg der Weltanschauungen, der Religionen entsteht.
Darauf kann es nur eine Antwort geben: Je mehr diese Irren uns unsere Art zu leben nehmen und unsere Gesellschaft spalten wollen, desto stärker müssen wir zusammenhalten.
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