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Kommentar: Amerikaner sind unzufrieden: Zukunft von Biden ungewiss

Kommentar

Amerikaner sind unzufrieden: Zukunft von Biden ungewiss

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    In den ersten acht Monaten seiner Amtszeit ist der Zauber des Neuanfangs verblasst: US-Präsident Joe Biden setzt nun zum Kampf an.
    In den ersten acht Monaten seiner Amtszeit ist der Zauber des Neuanfangs verblasst: US-Präsident Joe Biden setzt nun zum Kampf an. Foto: Evan Vucci, dpa

    Auf die Flitterwochen folgt der nüchterne Alltag. Was im normalen Leben gilt, zeigt sich auch in der Politik. Dem künftigen deutschen Bundeskanzler steht diese Erfahrung noch bevor. Joe Biden hat sie bereits hinter sich. Der US-Präsident musste in den acht Monaten seit seinem Amtsantritt einen Ansehensverlust erleiden, der beunruhigend ist. Als hoffnungsvoller Elder Statesman mit Erfahrung und Empathie war der 78-Jährige ins Weiße Haus gewählt worden. Inzwischen sind nach neuesten Umfragen gerade noch 43 Prozent der Amerikaner mit seiner Arbeit zufrieden. So bescheiden stand außer Donald Trump zu diesem Zeitpunkt seit dem Zweiten Weltkrieg kein Präsident da.

    Euphorie um Joe Biden ist verflogen - Corona , Afghanistan-Abzug und U-Boot-Deal sorgen für Unmut

    Die Gründe für die Ernüchterung sind vielfältig, und viele liegen außerhalb von Bidens Einflussbereich: Die Delta-Variante hat die erhoffte Überwindung der Corona-Pandemie verzögert. Hartnäckige Impfgegner und zynische republikanische Gouverneure vor allem im Süden der USA erschweren die landesweite Eindämmung des Virus zusätzlich. Ohnehin haben sich die meisten Republikaner inzwischen vollständig auf Blockade und Destruktion verlegt: Weder eine Polizeireform noch eine gesetzliche Garantie des Wahlrechts oder eine grundlegende Überarbeitung der Einwanderungsgesetze wird es mit ihnen geben.

    US-Präsident Joe Biden erhielt auf dem Campus des Weißen Hauses eine dritte Impfdosis, eine sogenannte Auffrischungsimpfung.
    US-Präsident Joe Biden erhielt auf dem Campus des Weißen Hauses eine dritte Impfdosis, eine sogenannte Auffrischungsimpfung. Foto: Evan Vucci, AP, dpa

    Doch wahr ist auch: Mit dem ebenso unabgesprochenen wie chaotischen Afghanistan-Abzug, der kalten Brüskierung Frankreichs beim U-Boot-Deal und der inhumanen Abschiebepraxis an der Grenze zu Mexiko hat Biden ohne Not viele Sympathien verspielt. Schon vergleichen ihn Kommentatoren mit seinem Vorgänger Donald Trump. Mit solchen Parallelen sollte man vorsichtig sein: Sie setzen einzelne Aspekte einer nationalistischen Politik mit einer protofaschistischen Ideologie gleich und verharmlosen damit die existenzielle Gefahr der Demokratiezersetzung, die der Möchtegern-Autokrat Trump systematisch betreibt.

    Amerikaner sind acht Monaten nach Wahl mit US-Präsident Joe Biden unzufrieden

    Gleichwohl hat Biden ein Problem, wenn inzwischen eine deutliche Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung mit seiner Arbeit unzufrieden ist. Dringend braucht der Präsident einen Erfolg und ein erfolgreiches politisches Projekt. Sein billionenschweres Infrastruktur- und Sozialpaket mit Geldern für Verkehrswege, Klimaschutz und Kinderbetreuung hätte das Zeug dazu. Es wird in der Bevölkerung positiv gesehen und könnte belegen, dass die Washingtoner Politik tatsächlich das Alltagsleben auch im Mittleren Westen verbessern kann. Doch seit Wochen hängt das Projekt im Kongress fest.

    Schuld sind keineswegs nur die Republikaner, sondern auch rechte und linke Demokraten, die sich nicht einigen können. Es geht um Umfang, Inhalte und Verfahren der ambitionierten Gesetzgebung, aber auch um ideologische Glaubenskämpfe und vor allem – wie oft in der amerikanischen Politik – um die ganz persönlichen Interessen einzelner Senatoren und Abgeordneten.

    Demokraten brauchen Befreiungsschlag vor Zwischenwahlen für das Parlament 2022

    Nun will die Führung der Demokraten offenbar noch in dieser Woche den Showdown wagen und eine Entscheidung erzwingen. Das Risiko ist hoch, die Zeit drängt: Schon im nächsten Jahr stehen die Zwischenwahlen für das Parlament an, bei denen die Demokraten ihre knappe Mehrheit verlieren könnten. Bereits während des Wahlkampfes in den Monaten zuvor geht praktisch nichts mehr. So werden der Oktober und der November, in denen Deutschland als wichtigste europäische Macht weitgehend mit der Regierungsbildung und also mit sich selbst beschäftigt sein dürfte, wohl zu Schicksalsmonaten für Joe Biden.

    Misslingt sein gesetzgeberischer Befreiungsschlag, steht seine restliche Amtszeit unter denkbar schlechten Vorzeichen. Gut möglich, dass dann Trumps Verbündete endgültig Oberwasser bekommen. Damit stünde nicht nur die amerikanische Demokratie am Abgrund. Schon jetzt arbeiten die Republikaner in vielen Bundesstaaten an Manipulationen des Wahlrechts, die eine freie und faire Stimmabgabe einschränken könnten. Eine zweite Amtszeit des skrupellosen Rechtspopulisten oder eines seiner noch extremeren Epigonen würde die westliche Welt in ihren Grundfesten erschüttern.

    So verständlich manche Unzufriedenheit mit Bidens bisheriger Amtszeit daher ist: Dieses Horror-Szenario sollten die Kritiker bei der Artikulierung ihrer Enttäuschung stets bedenken. Trotz manchen Frusts können die Europäer nur hoffen, dass der Präsident auf der anderen Seite des Atlantiks am Ende erfolgreich sein wird.

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