Haben wir denn gerade keine anderen Probleme? Der Satz ist häufig zu hören, wenn ein Hotel umbenannt wird – wie vor kurzem das „Drei Mohren“ in Augsburg –, wenn die Frage aufkommt, welches Denkmal noch „politisch korrekt“ ist oder ob eine Krippenfigur ausgetauscht werden sollte, weil sie einen dunkelhäutigen König mit schwülstigen Lippen zeigt. Geht es dann noch um die Frage, ob künftig Sprache immer „geschlechtergerecht“ sein solle, wird der Aufschrei oft noch lauter: Jetzt übertreiben Sie es aber!
Wir müssen einsehen, dass andere anders empfinden
Übertreiben wir also, wenn wir diesem Thema unseren Schwerpunkt in dieser Zeitung widmen? Ich glaube nicht. Natürlich entscheiden diese Fragen kaum über Leben und Tod, sie bescheren uns keinen Corona-Impfstoff und den Klimawandel wird es auch nicht aufhalten, wenn wir anders sprechen, andere Begriffe wählen oder auf Denkmäler anders blicken. Insofern könnte man schon von Luxusproblemen sprechen. Doch geht es bei derlei Debatten um etwas, das gar nicht Luxus ist, sondern systemrelevant – und durch die Corona-Krise ganz neu im Mittelpunkt steht. Denn die wichtigste Erkenntnis lautet: Wir müssen aufeinander acht Geben, und dafür müssen wir uns die Lage anderer hinein versetzen können.
Dazu gehört etwa die Einsicht, dass was uns ganz selbstverständlich oder unproblematisch erscheinen mag, andere ganz anders empfinden können. Vom „objektiven Empfängerhorizont“ spricht der Gesetzgeber – dabei geht es um die Frage, wie jemand etwas auffassen könnte. Aber im Leben geht es oft weit subjektiver zu, und weit persönlicher.
Wenn Politiker dekretieren, sie hätten Rassismus von Polizisten ja nicht erlebt, hat das fast komische Züge – natürlich kann jemand, der dunkle Haut und einen ausländischen Nachnamen hat, dies ganz anders erleben und empfinden. Auch die Frage „Wo kommen Sie denn her?“ mag harmlos gemeint sein. Doch wer als Deutscher einige Jahre in einem anderen Land gelebt hat und sich bestens integriert wähnt, könnte diese auch als Beleidigung empfinden. Wer wie „anders“ ist, empfindet jeder immer ganz persönlich.
Rassismus und Geschlechtergerechtigkeit: Ein respektvoller Dialog ist unumgänglich
Müssen wir deshalb übervorsichtig sein, gilt wirklich dieser Satz, dass man manches nicht mehr sagen darf? Natürlich nicht. Aber wie bei einem guten Gespräch funktioniert gesellschaftlicher Dialog nur wirklich, wenn man sich in die Perspektive des anderen hineinversetzt. Der Philosoph Martin Buber hat in seinen Schriften zur „Ich-Du-Beziehung" dargelegt, dass alles wirkliche Leben Begegnung sei. Er schrieb: „Wenn der eine sich für einen einfachen Menschen hält und der andere desgleichen, können sie einander begegnen. Wenn aber der eine sich für einen hohen Berg hält und der andere desgleichen, können sie einander nicht begegnen.“
Freilich gilt diese Aufforderung zum Dialog in beide Richtungen. Wer sich – völlig zu Recht– darüber aufregt, dass Frauen herabgesetzt, Ausländer pauschal beurteilt oder sexuelle Ausrichtungen von Menschen nicht ausreichend sensibel behandelt werden, kann nicht gleichzeitig pauschal „alte weiße Männer“ verspotten oder Polizisten auf Müllkippen entsorgen wollen. Nur weil jemand einer Gruppe angehört, die lange Privilegien genossen hat, ist er oder sie kein Freiwild.
Es hilft nicht weiter, wenn sich jemand einer Sache so sicher ist, dass jedes Mittel Recht scheint und aller Respekt überflüssig. Auch wir erleben in unserer Branche, dass Journalisten nicht mehr schreiben wollen, was ist – sondern was aus ihrer Sicht sein sollte. Doch Furor führt nur dazu, dass sich Fronten furios verhärten. Im Kern geht es immer um Respekt, und zwar in alle Richtungen.
Hören Sie sich dazu auch unsere Podcastfolge zum Thema Rassismus an:
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