Der Druck auf den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko steigt nahezu täglich. Die Freiheitsrevolte im Land ist längst zu einer Massenbewegung angeschwollen. Eine Ausweitung der Arbeitsniederlegungen zum Generalstreik dürfte das Regime nicht lange überleben. In dieser Lage hat Lukaschenko nur noch zwei Möglichkeiten: Kapitulation oder Eskalation. Denn für die dritte Variante, Gespräche mit der Opposition am Runden Tisch, ist es bereits zu spät. Einen nationalen Dialog kann es nur noch ohne den Langzeitpräsidenten geben.
Aufgabe und Flucht allerdings schließt Lukaschenko aus. Mehrfach erklärte er in den vergangenen Tagen, er werde von der Macht nicht freiwillig lassen. Wer ihn stürzen wolle, müsse ihn schon töten. So gesehen spricht leider einiges für eine weitere Eskalation in Belarus, und das heißt: für einen Militäreinsatz. Zuletzt schickte Lukaschenko bereits Fallschirmjäger in mehrere Provinzen des Landes.
Alexander Lukaschenko hat nur noch zwei Möglichkeiten: Kapitulation oder Eskalation
Außerdem hat er sich bei Kremlchef Wladimir Putin rückversichert, dass Russland jede Form der Konfliktlösung unterstützt, auch eine militärische. Sogar von der Möglichkeit einer Intervention von außen war die Rede. Wahrscheinlicher jedoch ist die baldige Verhängung des Ausnahmezustands im Innern, abgesichert vom eigenen belarussischen Militär, das dem Diktator bislang treu ergeben ist. Dieses Szenario ergibt sich auch fast zwingend aus der Vorgeschichte.
Erster Akt: Nach 26 Jahren an der Macht hielt es der Alleinherrscher für schlicht undenkbar, dass die Menschen im Land seine Führung infrage stellen könnten. Also setzte er eine Wahl an, um sich fünf weitere Jahre im Präsidentenamt zu sichern. Die populärsten Gegenkandidaten ließ er einkerkern oder ins Exil treiben. Am Ende blieben drei Frauen übrig, die ihn herausforderten. Er ignorierte sie, weil er sie so wenig ernst nahm wie das gesamte Volk, das er gern als „Schafherde“ bezeichnet.
Zweiter Akt: Als sich die Menschen über alle Maßen für die Frauen begeisterten, die in so einer ganz anderen, respektvollen Sprache redeten, ließ er die Wahl gnadenlos fälschen. Schon im Vorfeld hatte er allen, die zum Protest bereit waren, mit einem Blutvergießen gedroht. Auch diesen Plan exekutierte der Diktator. Er hetzte seinen wehrlosen Landsleuten die berüchtigte Sonderpolizei Omon auf den Hals, ließ knüppeln, schießen und foltern. Doch damit fachte er die Empörung erst recht an. Die Wut der Menschen kochte so hoch, dass ihre Angst verschwand. Die Proteste nahmen zu. Sogar die systemrelevanten Staatsbediensteten streikten.
Belarus: Viel spricht dafür, dass sich die Situation noch einige Tage weiter aufschaukelt
Dritter Akt: Lukaschenko änderte die Taktik und gab ein wenig nach. Er ließ die meisten Inhaftierten frei und vorerst nicht mehr prügeln. Am vergangenen Wochenende karrten seine Schergen dann tausende Unterstützer des Regimes in die Hauptstadt Minsk, damit sie für den Herrscher demonstrierten. Aber das wirkte erst recht wie das letzte Aufgebot. Die Inszenierung beeindruckte niemanden mehr in Belarus. Und das galt auch für Lukaschenkos Satz, er werde lieber sterben, als das Land seinen Gegnern zu überlassen.
Vierter Akt, die Gegenwart: Damit ist nun klar, dass sich die revolutionäre Stimmung in Belarus und der erwachte Freiheitswille mit den klassischen Mitteln aus dem Diktatoren-Handbuch nicht mehr unterdrücken lassen. Also bleibt nur noch Flucht – oder eben die Verhängung des Ausnahmezustands samt Militäreinsatz, den die Verfassung für den Fall von „Unruhen, die mit Gewalt einhergehen“, ausdrücklich vorsieht. Viel spricht dafür, dass sich die Situation noch einige Tage weiter aufschaukelt und es dann zum Schwur kommt.
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