Der Maulwurf ist auch nicht zu beneiden. Mal wieder ist er zum Synonym für Geheimnisverrat und politische Wichtigtuerei geworden. Und schuld daran ist die Union, in deren Reihen es offensichtlich Leute gibt, die es mit der Verschwiegenheit in den Sondierungsgesprächen nicht ganz so genau nehmen. Das Ergebnis dieser Durchstechereien: Grüne und FDP haben eine Gemeinsamkeit mehr entdeckt, beide sind gleichermaßen genervt davon, dass nun öffentlich diskutiert wird, was doch eigentlich nicht-öffentlich besprochen wurde.
Sollte das Ziel des Maulwurfs gewesen sein, damit ein Jamaika-Bündnis zu sabotieren, hat es vorerst geklappt. Grüne und Liberale haben am Mittwochvormittag bereits bekannt gegeben, erstmal über eine Ampel-Koalition mit der SPD verhandeln zu wollen. CDU und CSU sondieren jetzt also höchstens noch, wo die undichte Stelle ist.
Aus digitalen Sitzungen kann man leicht mal eine Nachricht rausschicken
Wenn Politikerinnen oder Politiker sensible Informationen an die Medien ausplaudern, gibt es zuallererst ein recht banales Motiv und das ist persönlicher Geltungsdrang. Wer etwas weiß, was andere nicht wissen, ist wichtig. Oder fühlt sich zumindest so. Die Pandemie mit ihren digitalen Sitzungen hat es grundsätzlich noch einfacher gemacht, quasi live Informationen nach außen zu tragen. Merkt ja keiner, wer unter dem Tisch schnell eine Nachricht ins Smartphone tippt.
Im Fall der Jamaika-Sondierungen dürfte es aber nicht nur um Wichtigtuerei gegangen sein. Es ist kein Geheimnis, dass es in allen drei Parteien Leute gibt, die ein Bündnis - aus unterschiedlichen Gründen - sehr skeptisch sehen. Wer Interna an Journalisten durchsteckt, weiß natürlich, dass damit die Vertrauensbasis in den Gesprächen bröselt. Und genau das könnte ein Motiv gewesen sein. Für Grüne und FDP liefert es eine Argumentationshilfe, warum man lieber erstmal mit der SPD reden will. Für diejenigen in der Union, die den glücklosen Kanzlerkandidaten Armin Laschet loswerden wollen, wäre das Aus für Jamaika der Startschuss für den geforderten personellen Neuanfang.
Will der Maulwurf verhindern, dass Armin Laschet doch noch Kanzler wird?
Auf den ersten Blick mag es unlogisch erscheinen, dass es ausgerechnet Leute in CDU und CSU sein sollen, die verhindern wollen, dass Laschet (oder ein anderer Unionspolitiker) doch noch Kanzler wird. Doch auch hier gibt es wieder zwei Motive: Entweder der Maulwurf will selbst noch etwas werden. Oder er hält es für den falschen Weg, auf Biegen und Brechen regieren zu wollen, obwohl man die Wahl so desaströs verloren hat.
Für Grüne und FDP ist klar, dass es jemand aus der Union sein muss, der da plaudert. Am Montag twitterte Johannes Vogel von der FDP: "Es gab vergangenes Wochenende drei Sondierungsgespräche, an denen ich für die FDP auch teilgenommen habe. Aus zweien liest und hört man nix. Aus einem werden angebliche Gesprächsinhalte an die Medien durchgestochen. Das fällt auf, liebe Union - und es nervt!" Am Dienstagabend legte Michael Kellner von den Grünen quasi wortgleich nach. War es das Ziel des Maulwurfs, potenzielle Gesprächspartner zur Weißglut zu bringen? Dann hat er es erreicht.
Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass es Liberalen und Grünen ganz recht sein kann, einen Grund mehr zu haben, um mit der SPD über eine Ampel zu verhandeln - was zumindest für die FDP ja nicht gerade ein Wunschbündnis wäre. Dennoch ist es wahrscheinlicher, dass die undichte Stelle bei der Union liegt. Denn zu Jamaika-Abneigung, Geltungsdrang und persönlichen Karriereoptionen kommt noch ein weiterer Faktor hinzu: fehlende Disziplin.
In CDU und CSU fehlt es nach dem Wahldebakel an Disziplin
SPD, Grüne und FDP sind die Wahlsieger, es gibt also keinen Grund, Unruhe im eigenen Laden zu stiften. Da fällt es leichter, geschlossen aufzutreten. In CDU und CSU hingegen geht es drunter und drüber. Hinter den Kulissen tobt längst die Schlacht um die Deutungshoheit über das Wahldesaster und die Fragen, wer schuld daran ist, welche Konsequenzen zu ziehen sind und wer den Karren aus dem Dreck ziehen könnte. Mögliche Laschet-Nachfolger bringen sich in Position, es geht um gekränkte Eitelkeiten, vielleicht auch um Rachegelüste.
Sollten FDP und Grüne sich mit der SPD in den kommenden Wochen einig werden, wird man keine Maulwürfe mehr brauchen, dann bricht der Streit um die Zukunft der Union auf offener Bühne aus.