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Koalition: Am Rande des Abgrundes

Koalition

Am Rande des Abgrundes

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    Der Kandidat blickt in Richtung der Frau, die ihn noch vor 20 Monaten nicht als Bundespräsidenten wollte: Joachim Gauck, Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Philipp Rösler (FDP) bei der gemeinsamen Pressekonferenz am Sonntagabend in Berlin.
    Der Kandidat blickt in Richtung der Frau, die ihn noch vor 20 Monaten nicht als Bundespräsidenten wollte: Joachim Gauck, Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Philipp Rösler (FDP) bei der gemeinsamen Pressekonferenz am Sonntagabend in Berlin. Foto: Jörg Carstensen, dpa

    Angela Merkel hat ein gutes Gedächtnis – aber sie ist keine nachtragende Frau. „Sie brauchen sich um die Koalition, ihren Bestand und überhaupt um die Bundesregierung keine Sorgen zu machen“, beschwichtigt ihr Sprecher Steffen Seibert. Auch wenn es in der zweiten und dritten Reihe der Union noch vernehmbar knirscht, weil die FDP ihr Joachim Gauck als Präsidentschaftskandidaten regelrecht aufgezwungen hat: Das Ziel, einen gemeinsamen Bewerber mit Sozialdemokraten und Grünen zu finden, sei schließlich erreicht worden. „Insofern ist das ein gutes Ergebnis.“

    Berlin, am Tag danach. Philipp Rösler, der Vizekanzler, genießt seinen Triumph schweigend. Der FDP-Vorsitzende spürt, dass er seinen Koalitionspartner jetzt nicht noch weiter reizen darf. Michael Kretschmer, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, spricht bereits von einem schweren Vertrauensbruch, den die Liberalen mit ihrem einseitigen Plädoyer für Gauck begangen hätten. Wolfgang Bosbach, der meinungsfreudige Rheinländer, droht: „Man sieht sich im Leben immer zweimal.“ Grünen-Chef Cem Özdemir will am Sonntagabend gar schon erste Spuren des Machtverfalls im Gesicht der Kanzlerin entdeckt haben – „auch wenn sie gut geschminkt war“.

    Es ist eine Situation, wie die Koalition sie noch nicht erlebt hat. Auch um den Preis, dass das gemeinsame Bündnis bricht, entscheiden sich die Freien Demokraten am Sonntag für Gauck, den die KanzlerinpartoutnichtalsPräsidenten will. „Für uns“, sagt ein Mann mit Einfluss in der FDP, „war das eine Frage der Ehre.“ Dreimal habe man in den vergangenen acht Jahren klaglos die Kandidaten der Union gewählt, erst zweimal Horst Köhler, dann zuletzt Christian Wulff, sekundiert ein Präsidiumsmitglied der Liberalen im Gespräch mit unserer Zeitung. „Und seien wir ehrlich: Wirklich erfolgreich waren die alle nicht.“ Vor allem für Wulff hätten viele Delegierte der FDP seinerzeit nur „mit der Faust in der Tasche“ gestimmt. Die Frage, ob nun womöglich die Koalition platzt, beantwortet der Mann am frühen Sonntagabend unmissverständlich: „Nötigenfalls ja.“

    Da hat Angela Merkel noch nicht mit der SPD und den Grünen gesprochen. Gegen den früheren Umweltminister Klaus Töpfer und den ehemaligen Berliner Bischof Wolfgang Huber, das weiß sie, sperrt die FDP sich – also hat sie nur noch die Möglichkeit, schnell einen anderen Kandidaten zu finden oder eben Gauck zu akzeptieren. Kurz vor dem abendlichen Treffen mit der Opposition wissen selbst führende FDP-Politiker noch nicht, wie die CDU-Vorsitzende sich entscheiden wird. „Alles wird gut“, simst einer von ihnen zurück. Sicher sein kann er sich da allerdings auch noch nicht.

    Tags darauf sehen die Dinge schon wieder etwas entspannter aus. Die Kanzlerin schaltet auf Deeskalation – nachdem sie Rösler am Abend zuvor angeschrien, getobt und ihrerseits mit dem Ende der Koalition gedroht haben soll: „Wollt ihr das?“ Nun allerdings lobt Gerda Hasselfeldt, die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, in den höchsten Tönen Gaucks tiefe Verwurzelung im christlichen Glauben, seinen Mut und seine Zivilcourage. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe will ebenfalls nicht nachkarten, räumt aber immerhin ein, die Gespräche mit der FDP seien alles andere als einfach gewesen. Entwicklungsminister Dirk Niebel aber wehrt ab: „Wir haben nicht gepokert, sondern eine klare Position bezogen.“ Die FDP habe sich bemüht, den Knoten zu zerschlagen und den Weg für einen Präsidenten zu ebnen, der über jeden Zweifel erhaben sei und bei großen Teilen der Bevölkerung Vertrauen genieße.

    Wie gut die Koalition nach dem Kraftakt vom Wochenende noch funktioniert, wird sich schon in wenigen Tagen zeigen. Am Montag soll der Bundestag die nächsten Milliardenhilfen für Griechenland absegnen, am 4. März treffen sich die Partei- und Fraktionsvorsitzenden von CDU, CSU und FDP zum nächsten Koalitionsgipfel, bei dem es unter anderem um heikle Themen wie die für Anfang nächsten Jahres versprochenen Steuerentlastungen, den Umgang mit Urheberrechten, das Speichern von Daten auf Vorrat, die Solarförderung, die Pflegereform und eine Pkw-Maut gehen wird. Vor allem für die tief gefallene FDP steht dabei viel auf dem Spiel. Das Versprechen von Parteichef Rösler, er werde jetzt liefern, dürfte mit der Wahl von Joachim Gauck zum neuen Staatsoberhaupt noch nicht ganz erfüllt sein.

    Wer den Schaden hat, braucht allerdings auch in der Politik für den Spott nicht zu sorgen. Während die SPD sich mit kritischen Breitseiten in Richtung Koalition am Montag deutlich zurückhält, teilt vor allem Grünen-Chef Özdemir kräftig aus. Selbst in den finstersten Zeiten des Kalten Kriegs, höhnt er, hätten sich Amerikaner und Sowjets mehr vertraut als Union und FDP. Dabei sind es am Ende die Grünen, die Angela Merkel in der entscheidenden Stunde aus der Patsche helfen. Klar ist, dass auch sie den Kandidaten Gauck akzeptiert, will die Kanzlerin ihm dies natürlich auch persönlich mitteilen.

    Die Frage, ob sie auch noch die aktuelle Handynummer des früheren Bürgerrechtlers hat, ist allerdings nicht so leicht zu beantworten. Am Ende bestätigt ihr Jürgen Trittin: Sie stimmt.

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