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Klimaschutz: Rückkehr der Klimakanzlerin: Angela Merkel legt nach

Klimaschutz

Rückkehr der Klimakanzlerin: Angela Merkel legt nach

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    Damals 2007: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Ex-Umweltminister Sigmar Gabriel vor Gletscher in Grönland.
    Damals 2007: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Ex-Umweltminister Sigmar Gabriel vor Gletscher in Grönland. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Als Klimakanzlerin hatte Angela Merkel eigentlich schon abgedankt. Zwar bekannte sich Merkel in hochfliegenden Zielen zur Rettung des Planeten, aber in der Regierungspraxis erreichte die Klimaschutzpolitik nicht die dafür nötige Flughöhe. Die schlagendsten Beispiele: Erst 2038 müssen hierzulande die letzten Kohlekraftwerke vom Netz und seit einigen Jahren werden viel weniger Windräder an Land aufgestellt, als gebraucht werden. Doch wenige Monate vor dem Ende der Ära Merkel streift sich die 66-Jährige das Kostüm der Klimakanzlerin noch einmal über.

    Für das Comeback nutzt sie eine Bühne, die sie selbst gebaut hat. Am Donnerstag wird die CDU-Politikerin auf dem internationalen Petersberger Klimadialog sprechen, den sie 2010 selbst ins Leben rief. Aufmerksamkeit ist garantiert, weil sich auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres und der britische Premier Boris Johnson angekündigt haben.

    Deutschland soll wieder Klimaschutz-Primus werden

    Die Gespräche laufen bereits auf der Fachebene und die, die dicht dran sind, erwarten zwei Dinge: Merkel wird ärmeren Ländern mehr Geld aus Deutschland zusagen, um die Folgen der Erderwärmung wie Dürren, Überschwemmungen und schlechte Ernten besser verkraften zu können. Und sie wird bekanntgeben, dass sich Deutschland in den letzten Zügen ihrer Kanzlerschaft wieder zum Musterschüler im Klimaschutz aufschwingt.

    Dürre und Hunger, hier in Kenia. Die Folgen des Klimawandel in Afrika sind schon heute wirkmächtig.
    Dürre und Hunger, hier in Kenia. Die Folgen des Klimawandel in Afrika sind schon heute wirkmächtig. Foto: Stephen Morrison, epa/dpa

    Die SPD wollte ihr den großen Aufschlag nicht alleine überlassen und präsentierte daher schon am Mittwoch eigene Eckpunkte, die sich aber mit den Vorstellung aus Merkels Lager weitgehend decken. „Nun hat das Bundesverfassungsgericht einen neuen Schub möglich gemacht“, sagte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Damit hatte er einen Punkt, denn die Kanzlerin hat den Klimaschutz nicht aus freien Stücken neu entdeckt.

    Das Bundesverfassungsgericht hat sie durch sein wegweisendes Urteil zum bestehenden Klimagesetz dazu gedrängt. Weil der Wahlkampf begonnen hat und die Grünen in den Umfragen CDU und CSU hinter sich lassen, ist die juristische Schlappe am Ende eine Chance, wieder Boden gut zu machen. Und Merkel ist entschlossen, sie zu ergreifen.

    In der Bundestagsfraktion von CDU und CSU wird intensiv an der konsequenten Senkung des Kohlendioxid-Ausstoßes gearbeitet. Bis 2045 – so die Zielstellung – soll Deutschland klimaneutral sein. Das heißt, die Industrienation soll dann unter dem Strich kein CO2 mehr in die Atmosphäre schicken. Das wäre fünf Jahre eher, als bisher angestrebt. Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) will das in seinem Bundesland sogar schon 2040 erreichen.

    Die CO2-Steuer soll rasch angehoben werden

    Dafür werden Schritte diskutiert, die vor einem halben Jahr in der Union noch undenkbar waren. So soll die seit Jahresbeginn gültige CO2-Steuer rasch angehoben werden. Schon nächstes Jahr soll der Ausstoß einer Tonne CO2, die beim Heizen und Autofahren entsteht, 45 Euro kosten. Derzeit kostet sie 25 Euro. Zwei eigentlich geplante Zwischenschritte entfielen. Dadurch sollen die Leute dazu gebracht werden, sich eine neue Heizung einbauen zu lassen oder ein Elektro-Auto anzuschaffen. Die Einnahmen aus der CO2-Abgabe sollen die Steuerzahler zurückbekommen, indem die Ökostromumlage schrittweise abgeschafft und die Stromsteuer gesenkt werden.

    Autofahren und Heizen sollen durch eine höhere CO2-Steuer teurer werden.
    Autofahren und Heizen sollen durch eine höhere CO2-Steuer teurer werden. Foto: Marcus Führer, dpa

    Außerdem liegt als Vorschlag auf dem Tisch, alle öffentlichen Gebäude mit einer Solaranlage auszustatten und ab 2035 keine Neuwagen mehr mit Benzin- oder Dieselmotor zuzulassen. Die Autos sollen in anderthalb Jahrzehnten entweder von einem Akku, durch Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe angetrieben werden. „Wir werden das Heft des Handelns in die Hand nehmen“, sagte die Klimaschutzbeauftragte der Unionsfraktion, Anja Weisgerber, unserer Redaktion. Damit die Bürger den tiefgreifenden Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft mitmachten, dürften sie finanziell nicht überfordert werden. „Für uns steht die Akzeptanz der Menschen im Mittelpunkt“, meinte Weisgerber (CSU).

    Um vor dem Verfassungsgericht nicht ein zweites Mal zu verlieren, sollen konkrete Wegmarken eingezogen werden. Im Jahr 2030 wird nach den Überlegungen die doppelte 65 gelten. 65 Prozent Anteil von Windkraft, Solarenergie und Biomasse an der Stromerzeugung und 65 Prozent weniger CO2-Ausstoß im Vergleich zum Basisjahr 1990. Das sind 10 Prozentpunkte mehr als bisher.

    Dass strengere Klimaschutzvorgaben bei CDU und CSU überhaupt mehrheitsfähig sind, liegt nicht nur an Verfassungsrichtern und dem Hoch der Grünen. Mit Georg Nüßlein und Joachim Pfeiffer haben zwei wesentliche Energiepolitiker der vergangenen Jahre keinen Einfluss mehr. Nüßlein stürzte über die Maskenaffäre, Pfeiffer zieht sich nach Veröffentlichungen über seine Nebentätigkeiten nach der Wahl aus dem Bundestag zurück.

    Klimaschutzgesetz soll kommende Woche ins Kabinett

    Daher kann es nun schnell gehen. Schon kommende Woche soll das nachgeschärfte Klimaschutzgesetz im Kabinett beschlossen werden. Rasch auf das Urteil aus Karlsruhe zu reagieren, „steht uns gut an", sagte Merkel laut Teilnehmern in der letzten Fraktionssitzung.

    Beim Koalitionspartner SPD rennt sie damit offene Türen ein. Die Genossen wollten schon 2019 den CO2-Ausstoß entschiedener senken, blieben aber am Widerstand in der Union hängen. Die Sozialdemokraten werden darauf achten, dass die Belastungen sozial abgefedert werden und Mieter zum Beispiel nicht die Solaranlage von Vermietern finanzieren.

    Den Grünen Geht der Vorstoß der Großen Koalition nicht weit genug. Sie fordern einen Kohleausstieg im Jahr 2030.
    Den Grünen Geht der Vorstoß der Großen Koalition nicht weit genug. Sie fordern einen Kohleausstieg im Jahr 2030. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Die Grünen betrachten den neuen Ehrgeiz der Regierenden beim Kampf gegen die Erderwärmung interessiert. Es ist offen, ob er sie bei der Wahl im September Stimmen kosten wird. Sie setzen darauf, dass die Wähler beim Original ihr Kreuz machen und halten die neuen Ansätze bei Union und SPD höchstens für Anfänge. „Erfolgreicher Klimaschutz fängt nicht irgendwann später an, sondern jetzt und sofort“, sagte die klimapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Lisa Badum, unserer Redaktion. Sie forderte einen Kohleausstieg bis spätestens 2030, die Entfesselung erneuerbarer Energien und einen gerecht verteilten CO2-Preis von 60 Euro ab 2023.

    Deutschland müsse die ärmeren Länder außerdem mit mindestens 8 Milliarden Euro unterstützen, um die Folgen des Klimawandels zu lindern. „Deutschland trägt dabei als großes Industrieland historische Verantwortung“, erklärte Badum. Wie bisher aus den Fachgesprächen des Petersberger Dialogs zu hören ist, will die Kanzlerin 6 Milliarden versprechen.

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