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Klimaschutz: Klimaschutzgesetz greift zu kurz: Überraschungserfolg für die Klimaschützer

Klimaschutz

Klimaschutzgesetz greift zu kurz: Überraschungserfolg für die Klimaschützer

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    Eine Demonstration von Fridays for Future im September 2019 in Berlin.
    Eine Demonstration von Fridays for Future im September 2019 in Berlin. Foto: Büttner, dpa (Archiv)

    Die Wucht des Urteils dürfte selbst die so lautstarken jungen Aktivisten von Fridays for Future überrascht haben. Nur ein kleines Häuflein der Ortsgruppe Karlsruhe postierte sich am Donnerstagmorgen vor dem Bundesverfassungsgericht, kaum ahnend, dass im Inneren des Beton-Zweckbaus eine Entscheidung formuliert wurde, die kurz nach ihrer Verkündung parteiübergreifend als „historisch“ bewertet wurde.

    Überraschend und unerwartet deutlich stellten sich die Karlsruher Richter ausdrücklich hinter die jungen Klimaschützer und künftigen Bundesbürger, die noch gar nicht geboren sind: Kommenden Zukunftsgenerationen dürfe nicht die Hauptlast des Kampfes gegen den Klimawandel überlassen werden, sondern es müsse schnell gehandelt werden, lautet übersetzt die Botschaft der obersten deutschen Richter in den roten Roben.

    Verfassungsgericht: Klimaschutz braucht kurzfristige Maßnahmen

    Konkret geht es um das 2019 nach zähem Streit beschlossene Bundesklimaschutzgesetz der Großen Koalition. Darin strebt die Bundesrepublik gemäß den Zielen der Europäischen Union und der Vereinten Nationen bis 2050 die sogenannte Klimaneutralität an. Konkrete Maßnahmen mit CO2-Einsparungen für die Stromwirtschaft, Verkehr, Industrie und Gebäudeheizungen wurden aber nur bis 2030 festgelegt. Noch dazu sieht das Gesetz den größten Teil der Treibhausgaseinsparungen erst danach zwischen 2030 und 2050 vor – und lässt weitestgehend offen, wie das gelingen und geregelt werden soll.

    Mit dem Vorgehen, dass der vermutlich unangenehme Teil aufgeschoben und auf künftige Generationen vertagt werden soll, macht es sich die heutige Regierungsmehrheit nach dem Urteil zu einfach. „Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030“, kritisierten die Richter. Dies ist in ihren Augen verfassungswidrig.

    Das Verfassungsgericht bezieht sich dabei sogar auf die jungen Aktivisten von Fridays for Future, die sich dem Kläger-Bündnis angeschlossen haben, das die Entscheidung errungen hat. Die „zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden“ würden durch die Bestimmungen des Klimaschutzgesetzes in ihren Freiheitsrechten verletzt, so die Richter. Denn bis 2030 drohe das vorgesehene CO2-Budget weitgehend verbraucht zu sein, sodass sich kommende Generationen stark einschränken müssten. „Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind“, schreiben die Richter. Zudem heiße es in dem 1994 in die Verfassung aufgenommenen Umweltschutz-Staatsziel in Artikel 20a des Grundgesetzes ausdrücklich: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen.“

    Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer spricht von einem unfassbar großen Tag für viele

    Die Fridays-for-Future-Spitzenvertreterin Luisa Neubauer, die zu den Klägern zählte, feierte das Urteil: „Es ist ein unfassbar großer Tag für viele“, sagte sie. Ihre Bewegung sei lange „belächelt“ und „ausgelacht“ worden. Nun habe sie es aber vom obersten Gericht schwarz auf weiß, dass Klimaschutz auch eine Frage der Generationengerechtigkeit sei. Umweltverbände jubelten, sie hätten ein solches „bahnbrechendes“ und „epochales“ Urteil nicht erwartet.

    Dagegen bemühten sich Politiker von Union und SPD nach Kräften, den juristischen Tiefschlag wenige Monate vor der Bundestagswahl mit positiver Miene wegzustecken. „Dieses Urteil ist ein klarer Auftrag, dass ambitionierter Klimaschutz überall oben auf der Agenda stehen muss“, erklärte CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet. CSU-Chef Markus Söder forderte eine „Generalrenovierung der Klimaschutzgesetze auch in Bayern. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz schaltete in den Wahlkampfmodus und griff die Union an. Sie habe beim Streit um das Gesetz „genau das verhindert, was nun vom Bundesverfassungsgericht angemahnt wurde“.

    Nutzt das Urteil den Grünen im Wahlkampf?

    Für die Grünen bringt das Urteil möglicherweise weiteren Rückenwind im Wahlkampf. „Es ist schon irritierend, dass plötzlich das halbe Bundeskabinett dieses Urteil begrüßt, in dem ihr eigenes Klimaschutzgesetz als verfassungswidrig kritisiert wird“, sagt die Grünen-Umweltexpertin Lisa Badum unserer Redaktion. Das Klimaschutzgesetz müsse nun verschärft werden. „Dazu brauchen wir ein Klimaziel 2030 von mindestens minus 70 Prozent und ab 2030 Zwischenziele und ein CO2-Budget, um auf Paris-Pfad zu kommen“, sagt sie. „Wir müssen alle zukünftigen Gesetzesvorhaben, jede Autobahn oder Gaspipeline auf ihre Klimaschutzverträglichkeit prüfen, wie es bereits im Klimagesetz unter Artikel 13 vorgesehen ist“, betont sie.

    Die FDP fordert ein völlig neues Gesetz: „Das Bundesverfassungsgericht gibt uns die Chance für einen klimapolitischen Neuanfang“, sagt Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann. Seine Partei setzt dabei auf einen nationalen Zertifikatehandel: „Mit einem jährlich kleiner werdenden CO2-Deckel ist garantiert, dass alle Klimaziele sicher erreicht werden.“

    Auch der stellvertretende Unionsfraktionschef Andreas Jung fordert eine gründliche Reform. „Wir müssen jetzt konsequent nachlegen“, sagt der CDU-Politiker. „Was kurzfristig geht, muss noch von dieser Regierung auf den Weg gebracht werden.“ Doch die Union brauche im Wahlprogramm ganz konkret „ein strikt auf Innovationen abzielendes glaubwürdiges Gesamtkonzept zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels und der Klimaneutralität“, betonte er. Das seien die christlichen Parteien mit dem „C“ der Bewahrung der Schöpfung schuldig.

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