Papst Franziskus lässt den Hamburger Erzbischof Stefan Heße im Amt. Das teilte die Apostolische Nuntiatur in Berlin im Auftrag des Heiligen Stuhls am Mittwochmittag mit. Heße war im sogenannten "Gercke-Gutachten", das der umstrittene Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki in Auftrag gegeben hatte, für seinen Umgang mit Missbrauchsfällen schwer belastet worden.
Der 55-jährige Kirchenmann, der 2006 Personalchef im Kölner Generalvikariat war und 2012 Generalvikar wurde, habe insgesamt elf Pflichtverletzungen begangen. In seiner Amtszeit als Leiter der Hauptabteilung Seelsorge-Personal bearbeitete er demnach sieben Fälle nicht ordnungsgemäß. Zugute gehalten wurde ihm, sich „auf den teilweise unzureichenden Rechtsrat des Offizials Dr. Assenmacher und der Justitiarin“ verlassen zu haben. Heße bestritt Vorwürfe und schloss lange einen Rücktritt aus. Kurz nach der Vorstellung des "Gercke-Gutachtens" Mitte März bot er schließlich dem Papst den Rücktritt an und bat um sofortige Entpflichtung.
Der Papst sieht bei Heße offensichtlich nur einen "Mangel an Aufmerksamkeit" Missbrauchsopfern gegenüber
In der Pressemitteilung heißt es nun, "nach eingehender Prüfung" habe der Heilige Stuhl "Mängel in der Organisation und Arbeitsweise des Erzbischöflichen Generalvikariates sowie persönliche Verfahrensfehler Mons. Heßes festgestellt". Die Untersuchung habe jedoch nicht gezeigt, dass diese mit der Absicht begangen wurden, Fälle sexuellen Missbrauchs zu vertuschen. Das Grundproblem habe, "im größeren Kontext der Verwaltung der Erzdiözese, im Mangel an Aufmerksamkeit und Sensibilität den von Missbrauch Betroffenen gegenüber" bestanden.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, erklärte „Mit der heutigen Entscheidung des Papstes endet für das Erzbistum Hamburg und für Erzbischof Dr. Stefan Heße eine schwierige Zeit der Ungewissheit. Das ist gut so, und dafür bin ich dankbar." Heße werde in Hamburg bleiben und damit auch weiterhin Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz sein. "Ich wünsche dem Erzbistum und seinem Erzbischof einen guten Neustart in gemeinsamer Verantwortung, der von gegenseitigem Vertrauen getragen ist." Bätzing fügte an: "Bei allen, die nun möglicherweise irritiert sind, werbe ich um das Zutrauen, dass die Entscheidung des Papstes aufgrund von Beratung wohl überlegt und begründet ist.“
In der Tat lässt die Entscheidung des Papstes großen Raum für Spekulationen und wurde weit über Hamburg hinaus mit Befremden zur Kenntnis genommen. Kurz vor der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz, die vom 20. bis 23. September in Fulda stattfindet, lässt sie sich als Signal deuten - und möglicherweise auch als Hinweis darauf, wie die Entscheidung des Papstes über die Zukunft des Kölner Kardinals Woelki ausfallen könnte.
Wird der Papst im Falle des Kölner Kardinals Woelki ähnlich argumentieren wie bei Heße?
Woelki waren im "Gercke-Gutachten" keine Pflichtverletzungen attestiert worden, allerdings führte sein Umgang mit Missbrauchsfällen zuvor bereits zu massiver Kritik auch aus Reihen hochrangiger Kleriker seines Erzbistums. Anfang Juni schickte Franziskus zwei Bischöfe zu einer Apostolischen Visitation nach Köln, um die Vorwürfe und die pastorale Situation vor Ort untersuchen zu lassen.
Auf diese Visitation nimmt der Heilige Stuhl nun Bezug. Das Wirken Heßes sei im Zusammenhang mit ihr behandelt worden. Ausdrücklich wurde die Ablehnung seines Rücktrittsgesuchs damit begründet, dass Heße "seine in der Vergangenheit begangenen Fehler in Demut anerkannt und sein Amt zur Verfügung gestellt" habe. Das wiederum erinnert an den Münchner Kardinal Reinhard Marx, der dem Papst ebenfalls seinen Amtsverzicht anbot - und ebenfalls im Amt belassen wurde.
Reformbewegung "Wir sind Kirche" spricht von einer "Amnestie" und einer "höchst problematischen" Entscheidung
Christian Weisner von der reformorientierten Katholiken-Bewegung "Wir sind Kirche" bezeichnete die Entscheidung des Papstes im Falle Heßes als "höchst problematisch". "Sie wird nicht dazu beitragen, die tiefe Verunsicherung bei den Katholikinnen und Katholiken in Deutschland zu beenden. Denn die jetzt so kurz vor der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischöfe mitgeteilte Entscheidung Roms ist das Ergebnis eines höchst intransparenten Untersuchungsverfahrens", sagte Weisner unserer Redaktion. Weder der Auftrag noch der Bericht der beiden Visitatoren, die eine nur sehr kurze Zeit in Köln waren, seien bekannt. "Die jetzige Entscheidung Roms stellt faktisch eine Amnestie für Erzbischof Stefan Heße dar." Der Hinweis auf den "größeren Kontext der Verwaltung der Erzdiözese“ mag Weisner zufolge stimmen, lasse jedoch fragen, "wofür Menschen in kirchlichen Leitungsdiensten dann überhaupt noch zur Verantwortung gezogen werden".
Mit Blick auf Woelki sagte Weisner unserer Redaktion: "Kardinal Rainer Maria Woelki, so ist zu befürchten, wird die heutige Entscheidung als Bestätigung seines Kurses verstehen, der nur die juristischen Verstöße bewertet, jede moralische Verantwortung der Kirchenleitung jedoch außer Acht lässt."
Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) übt scharfe Kritik: "Schlag ins Gesicht"
Am Mittwochnachmittag kritisierte auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), das oberste Laiengremium der katholischen Kirche in Deutschland, wie die Entscheidung im Falle Heßes begründet wurde. Wer so begründe, habe nicht verstanden, dass genau in diesem Mangel an Aufmerksamkeit und Sensibilität das Problem bestehe, erklärte ZdK-Vizepräsidentin Karin Kortmann. „Das hatte faktische Fehlentscheidungen zur Folge, Verfahrensfehler, die auch der Vatikan in seinem heutigen Bescheid sieht“, so Kortmann weiter. „Es ist ein Schlag ins Gesicht für Betroffene von sexueller Gewalt, wenn aus diesen Fehlentscheidungen keine persönlichen Konsequenzen folgen.“
Die andere ZdK-Vizepräsidentin Claudia Lücking-Michel sprach davon, dass Rom die Frage nach der Glaubwürdigkeit eines Amtsträgers verdränge. „Ich bin schockiert darüber, dass im Vatikan offenbar weiter verleugnet wird, dass sichtbare und spürbare Veränderungen in der Kirche nötig sind, um das verloren gegangene Vertrauen wieder zu erlangen. In Führungspositionen kann da nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen werden.“
Das erklärt Erzbischof Stefan Heße in einem Brief an die Gläubigen
Erzbischof Stefan Heße selbst erklärte in einem Brief an die Gläubigen seines Bistums, er habe mit seinem Rücktrittsgesuch Verantwortung übernommen. Denn: Er sei "über viele Jahre in verantwortungsvollen Aufgaben in Köln Teil des Gesamtsystems" gewesen. Dem Papst danke er "für seine klare Entscheidung". Es werde nun um einen "Neu-Anfang" gehen müssen. Es sei ihm, so Heße, "ein großes Bedürfnis, um diejenigen zu werben, die durch die Entscheidung des Papstes irritiert sind, diese in Frage stellen und/oder sich nicht leicht damit tun".