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Kindergärten: Personalmangel bei Erzieherinnen bringt die Kinderbetreuung ans Limit

Kindergärten

Personalmangel bei Erzieherinnen bringt die Kinderbetreuung ans Limit

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    Viele Einrichtungen wie Krippen oder Kindergärten leiden unter dem großen Fachkräftemangel. An manchen Tagen geht es nur noch darum, den Betreuungsbedarf abzudecken.
    Viele Einrichtungen wie Krippen oder Kindergärten leiden unter dem großen Fachkräftemangel. An manchen Tagen geht es nur noch darum, den Betreuungsbedarf abzudecken. Foto: Arno Burgi, dpa

    Heute ist ein guter Tag im Kindergarten Villa Kunterbunt in Bad Wörishofen. Gerade ist Spielstunde. Die Mädchen und Buben bauen mit Bauklötzchen, malen kritzelige Bilder, hopsen ins Bällebad und toben miteinander. Die 35 Kinder lachen und kreischen, singen und summen – und manchmal fließen auch ein paar Tränen, wenn sich jemand seinen Kopf an der Tischkante anstößt.

    Wenn eines der Kinder weint, ist sofort eine Erzieherin zur Stelle, nimmt es in den Arm und tröstet es, bis ein erstes zaghaftes Lächeln die Tränen vertrieben hat. Die Erzieherinnen, Kinderpflegerinnen und Praktikantinnen beaufsichtigen die Buben und Mädchen, helfen beim Anziehen und bringen ihnen bei, sich richtig die Hände zu waschen – in Zeiten von Corona eine besonders wichtige Aufgabe.

    Hunderttausende Erzieherinnen könnten sofort eingestellt werden

    Es gibt aber eben auch schlechte Tage. Tage, an denen sich zum Beispiel eine Kollegin krankmeldet, eine andere im Urlaub ist, eine Erzieherin gekündigt hat und eine Stelle zwischenzeitlich unbesetzt bleibt. Dann sind nur noch Kindergartenleiterin Anette Bader und ein paar Kolleginnen übrig. "Mit so wenig Personal ist es sehr schwierig, den Tagesablauf aufrechtzuhalten", sagt Bader. An solchen Tagen bleibe kaum Zeit zum Spielen, Trösten und Kuscheln. "Das ist schlimm für uns", erzählt sie, "und die Lage spitzt sich immer mehr zu. Wir haben einfach nicht genug Leute, der Personalmangel bei den Erzieherinnen ist massiv." Und er wird immer größer. "Von Jahr zu Jahr tun wir uns schwerer, Fachkräfte zu finden und alle Stellen zu besetzen."

    Der Einschätzung von Kindergartenleiterin Anette Bader würden sich vermutlich fast alle ihrer Kolleginnen und Kollegen anschließen. Darauf weist eine aktuelle Befragung unter 2800 Leiterinnen und Leitern von Kindertagesstätten hin, die Anfang März beim Deutschen Kitaleiterkongress in Düsseldorf vorgestellt wurde. Demnach sagen 78,5 Prozent, dass es 2019 noch schwieriger geworden sei, offene Stellen zu besetzen. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) schätzt, dass bis 2025 mehr als 310.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt werden, die Gewerkschaft Verdi geht sogar von 500.000 aus. Ähnlich schätzt es auch Björn Köhler ein, Mitglied im Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Er sagt: "Der Bedarf ist so hoch, dass bundesweit sofort 100.000 neue Erzieherinnen eingestellt werden könnten."

    Landes- und Bundespolitiker wissen um die Situation. Der Bundestag wird deshalb an diesem Freitag über zwei Gesetzesentwürfe zur Finanzierung der Kinderbetreuung beraten. Der Bund möchte eine gute frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung sicherstellen und will deshalb Länder und Kommunen bei ihren Ausbaubemühungen mit Finanzhilfen unterstützen.

    "Der Job liegt praktisch auf der Straße"

    Der Erzieherinnen- und Erziehermangel bringt fast schon kuriose Begleiterscheinungen mit sich. Dinge, wie es sie in anderen Berufen so kaum gibt. Die Stadt Bad Wörishofen im Unterallgäu sei ununterbrochen auf der Suche nach Fachkräften, sagt etwa Martin Aicher, Personalchef im Rathaus. "Wir können das ganze Jahr eine Stellenausschreibung auf unserer Internetseite stehen lassen." Wenn sich jemand bewerbe, dann werde der Interessent sofort zum Gespräch eingeladen. Die Zeit, bis zum Ende der Bewerbungsfrist zu warten, könne man sich nicht erlauben, sagt Aicher. Doch selbst wenn ein Bewerber eingeladen werde, habe dieser häufig schon eine andere Anstellung gefunden. "Dieser große Fachkräftemangel macht uns viel Arbeit und kostet Nerven. Und es gibt Entwicklungen, die die Situation noch schlimmer machen."

    Anette Bader und Martin Aicher fallen auf Anhieb zahlreiche Beispiele dafür ein: etwa die große Nachfrage nach Betreuungsplätzen in der Krippe und im Kindergarten. Seit 1. August 2013 haben nach dem Kinderförderungsgesetz alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege. Ab 2025 kommt außerdem der Anspruch auf einen Platz in der Ganztagsbetreuung dazu. "Wir beobachten, dass immer mehr Eltern, vor allem Mütter, mehr arbeiten gehen und die Kinder deshalb noch mehr betreut werden müssen", sagt Anette Bader. Aber wie soll man diese Nachfrage bedienen, wenn man weder genügend Plätze noch ausreichend Personal hat?

    Bader und Aicher sprechen auch die hohe Fluktuation an. "Wenn irgendetwas nicht passt, braucht eine Erzieherin nur bei einer anderen Einrichtung anrufen – und sofort hat sie eine neue Stelle. Der Job liegt praktisch auf der Straße", sagt Bader. Und auch der hohe Frauenanteil ist ein Problem. "Bei uns arbeiten viele junge Frauen, die selbst schwanger werden", sagt die Kindergartenleiterin. Für Mitarbeiterinnen, die ein Kind erwarten, werde sofort ein Berufsverbot erteilt. Denn die Gefahr, dass sich Schwangere mit Kinderkrankheiten anstecken, sei groß. "Sie sind von heute auf morgen einfach weg."

    Aber was könnte die Lösung sein für diese lange Liste an Problemen? Anette Bader und Martin Aicher sind überzeugt: Die Politik hätte noch viel früher etwas unternehmen müssen. Und: Die Ausbildung müsse attraktiver werden.

    Fünf Jahre Ausbildung und kein entsprechendes Gehalt. Das sei doch Wahnsinn!

    Wer etwa in einer Krippe arbeiten möchte, hat verschiedene Möglichkeiten, um den Beruf zu erlernen. Die meisten entscheiden sich für die Ausbildung zur Kinderpflegerin, die zwei Jahre dauert, und anschließend für die Weiterbildung zur Erzieherin, die noch einmal drei Jahre dauert. Die Ausbildungen können Berufsanfänger separat machen und dann die Weiterbildung anschließen – oder aber an einer Fachakademie durchgehend studieren, dann ist diese Vorbildung quasi integriert. "Aber es ist eine schulische Ausbildung an einer Fachakademie", erklärt Björn Köhler von der GEW. "Das bedeutet, dass die angehenden pädagogischen Fachkräfte in dieser Zeit – abgesehen von einem Praktikantengehalt – nichts verdienen, sondern manchmal sogar Schulgeld bezahlen müssen." Das sei für viele junge Menschen einfach unattraktiv, sagt Martin Aicher aus Bad Wörishofen: "Fünf Jahre Ausbildung und kein entsprechendes Gehalt. Das ist im Vergleich zu einer Ausbildung im Handwerk doch Wahnsinn! Vor allem bei einer Berufsgruppe, die so dringend gebraucht wird."

    So viel verdienen Erzieherinnen und Erzieher

    Ausbildung: Der Einstieg erfolgt über mindestens Mittlere Reife mit einer zweijährigen beruflichen Vorbildung. Die anschließende dreijährige Erzieherinnenausbildung findet an einer Fachakademie für Sozialpädagogik statt, inklusive Berufspraktikum. Während der zweijährigen, stärker theoretisch orientierten Schulzeit verdienen die angehenden Erzieherinnen nichts.

    Ausbildung: Das Berufspraktikum ist mit 1602,02 Euro brutto tariflich festgelegt. Es gilt der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes. Zudem gibt es die Möglichkeit, ein elternunabhängiges „Meister-BAföG“ zu beantragen, das größtenteils zurückgezahlt werden muss.

    Modellversuch Opti-Prax: Das Programm gibt es seit 2016. Es ist eine bezahlte, stärker Theorie-Praxis-verzahnte Ausbildung zur Erzieherin in drei Jahren. Die Auszubildenden verdienen im ersten Jahr 1140,69 Euro brutto, im zweiten 1202,07 Euro und im dritten Jahr 1303,38 Euro brutto.

    Externenprüfung: Personen mit Mittlerer Reife und Berufsausbildung oder Abitur beziehungsweise einem Studienabschluss, die nach der Familiengründung wieder beruflich einsteigen oder sich neu orientieren wollen, können sich für die Externenprüfung bewerben. Sie müssen sich den Unterrichtsstoff selbst aneignen und sich alleine auf die Prüfungen in allen Pflichtfächern vorbereiten.

    Einstiegsgehälter: Kinderpflegerinnen im öffentlichen Dienst verdienen im ersten Jahr ohne Berufserfahrung 2476,93 Euro brutto. Bei Erzieherinnen liegt der Betrag bei 2829,77 Euro brutto. Bringen sie schon Berufserfahrung mit, verdienen sie 3036,91 Euro brutto.

    Das ist ein Problem, das auch Sigrid Christeiner gut kennt. Sie ist Leiterin der Fachakademie für Sozialpädagogik Maria Stern in Nördlingen und bildet jedes Jahr dutzende junge Menschen für den Erzieherberuf aus. Sie weiß, wie stark pädagogische Fachkräfte gesucht werden. "Jedes Jahr bekomme ich sehr viele Anfragen aus München, Augsburg und dem gesamten Umland für unsere Absolventinnen."

    Gegen den wachsenden Mangel an Fachkräften in der Kinderbetreuung will auch das bayerische Sozialministerium etwas unternehmen. Die ehemalige Sozialministerin Kerstin Schreyer hat im vergangenen Jahr einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt. Damals sagte sie: "Mit unserer Strategie möchten wir eine leistungsgerechte Bezahlung erreichen, die Ausbildung attraktiver machen und die Rahmenbedingungen in Kitas verbessern." Bereits seit 2016 gibt es in Bayern den Modellversuch OptiPrax – eine bezahlte Ausbildung zur Erzieherin und zum Erzieher in drei Jahren. "Das Programm wird gut angenommen, mittlerweile auch von jungen Männern", sagt Christeiner. "Trotzdem bin auch ich eine Verfechterin der klassischen Ausbildung."

    Sigrid Christeiner erlebt, dass sich ihre Studierenden fachlich und persönlich stark weiterentwickeln. "Es wäre so schade, wenn man ihnen diese Möglichkeit nehmen und etwas wegkürzen würde." Dieser Meinung ist auch Kathrin Maier, Leiterin des Caritas-Kinderhauses Edith Stein im Münchner Stadtteil Messestadt Riem. "Bewerberinnen mit der dreijährigen Ausbildung bringen nicht die gleichen Voraussetzungen mit. Sie sind zwar früher da, aber man muss sie im Arbeitsalltag nachqualifizieren", sagt sie.

    Das Caritas-Kinderhaus gibt es seit 2007. Mitten in einer Neubausiedlung steht das zweistöckige Gebäude mit großem Garten. Zwei Krippen- und zwei Kindergartengruppen gibt es – die Pandas, die Eulen, die Dachse und die Seepferdchen. "Wir haben eigentlich Platz für eine weitere Krippen-Gruppe", erklärt Gabriele Kaufmann, stellvertretende Fachbereichsleiterin für Kindertageseinrichtungen bei der Caritas, "aber die konnten wir bisher nicht eröffnen, weil wir kein Personal finden." Das sei vor allem für die Eltern bitter, denen die Betreuungsplätze fehlen. 170 Voranmeldungen liegen derzeit für sieben Krippenplätze vor. "Wir könnten das Haus sofort vollmachen, aber kriegen einfach nicht das Personal zusammen."

    Wenn die Erzieherinnen kündigen, tut das vor allem den kleinen Kindern weh

    Ein paar Mal sei man schon fast so weit gewesen, die neue Gruppe zu eröffnen. Aber kurz vorher seien immer wieder Erzieherinnen aus den Bestandsgruppen gegangen. "Diese Wechsel machen den Kindern zu schaffen, vor allem den ganz kleinen in der Krippe", sagt Kathrin Maier. "Sie haben die Person lieb gewonnen, freuen sich jeden Morgen auf sie. Und dann kündigt sie und ist einfach weg. Das tut den Kleinen sehr weh."

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    Viele Eltern dagegen frustriere der Personalmangel, berichtet Maier. Denn wenn Erzieherinnen kurzfristig kündigen, könne das verbleibende Personal diese Fehlzeiten nicht immer abfangen. Manche Gruppen müssten früher oder, wenn der Personalmangel und der Krankenstand besonders groß sind, sogar vorübergehend geschlossen werden. Die Mehrzahl der Mütter und Väter müsse aber in Vollzeit arbeiten, um sich in München die Miete und die hohen Lebenshaltungskosten leisten zu können. "Viele Eltern sind unzufrieden und lassen ihren Unmut schon mal an meinen Mitarbeiterinnen aus", sagt Maier. Diesem Druck können wiederum manche Erzieherinnen nicht standhalten – und suchen sich ein anderes Kinderhaus. "Die hohe Fluktuation wird von meinem Stammpersonal geschultert, es arbeitet am Limit. Jeder hier hat mehr als ein Viertel seiner normalen Arbeitszeit als Überstunden."

    Diese Belastung versucht Gabriele Kaufmann so gut wie möglich zu verringern. "Wir als Träger nehmen den Leitungen zentrale Arbeiten ab. Zum Beispiel bei der Verwaltung, Abrechnung oder Personalfindung, damit sich die Kita-Mitarbeiterinnen auf ihre pädagogischen Aufgaben konzentrieren können", erklärt sie. Dazu zählen mittlerweile auch ganz grundsätzliche Aufgaben wie Sprachentwicklung, Schulung der Feinmotorik oder Essen in einer Tischgemeinschaft. "Ich bin Erzieherin geworden, um mit den Kindern etwas zu entwickeln, um sie aufwachsen zu sehen", sagt Kinderhausleiterin Kathrin Maier. "Aber heute wird man immer wieder zurückgeschmissen. Es geht oftmals nur noch darum, irgendwie den Betreuungsbedarf abzudecken." Sie ist hörbar frustriert.

    Dabei sei der Erzieherberuf so schön, schwärmen Kathrin Maier und Gabriele Kaufmann: Man habe viele Gestaltungsmöglichkeiten, könne kreativ sein – und das Gefühl, junge Menschen bei ihrer Entwicklung zu begleiten, sei einfach unbeschreiblich. "Wir wollen jeden Tag mit Freude versuchen, das pädagogische Niveau hochzuhalten. Für die Kinder – aber auch für die Mitarbeiter. Das ist der Anspruch, den wir an uns stellen", sagt Maier.

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