Wenn man sich selbst nicht ganz sicher ist, welche Partei am besten zu einem passt, kann der Wahl-O-Mat helfen. Einfach einen digitalen Fragebogen zu aktuellen politischen Streitfragen ausfüllen und schon spuckt der Computer aus, mit welcher Partei man die größte Übereinstimmung hat. Als wir Kevin Kühnert vor der Landtagswahl im vergangenen Herbst in Günzburg trafen, haben wir diesen Test mit ihm gemacht. Eher zum Spaß, zugegebenermaßen.
Denn was sollte beim Chef der SPD-Jugend auch anderes herauskommen als die SPD? Nun ja. Ganz vorne landete die Linke mit über 88 Prozent Deckungsgleichheit. Die SPD folgte mit knapp 79 Prozent erst auf dem dritten Platz, noch hinter den Grünen. Ist Kühnert also vielleicht einfach nur in der falschen Partei?
Diese Frage stellen sich selbst einige seiner Genossen, seit Kühnert in einem Interview mit der Zeit die „Kollektivierung“ von Unternehmen wie BMW gefordert hat. „Was für ein grober Unfug. Was hat der geraucht? Legal kann es nicht gewesen sein“, kommentiert der streitlustige Parteifreund Johannes Kahrs. Andere äußern sich zurückhaltender, meinen aber ungefähr das Gleiche. Und die politische Konkurrenz schnappatmet ohnehin. „Das kann ich alles gar nicht ernst nehmen“, sagt zum Beispiel Andreas Scheuer von der CSU, um sich dann doch recht ernsthaft über das „verschrobene Retro-Weltbild eines verirrten Fantasten“ zu echauffieren. Und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder fordert – sicher ist sicher – vom sozialdemokratischen Bundesfinanzminister ein Signal, „dass die SPD nicht sozialistisch denkt“. Aber was bedeutet „sozialistisch“ überhaupt?
Fakt ist: Schon 1959, also vier Jahrzehnte vor Kühnerts Geburt, hat sich die SPD mit ihrem Godesberger Programm von Begriffen wie Klassenkampf oder Planwirtschaft verabschiedet. Im aktuellen Grundsatzprogramm ist eine Vergesellschaftung von Betrieben kein Thema. Die Parteijugend mit ihren gut 70000 Mitgliedern steht allerdings traditionell weiter links – nicht umsonst haben die „Jungsozialisten“ ihren Namen bis heute behalten. Sie selbst bezeichnen sich als „sozialistischen, feministischen und internationalistischen Richtungsverband“. Insofern kann keine Rede sein von „Kevin allein zu Haus“. Kühnert vertritt innerhalb der Jusos keine irre Einzelmeinung, wenn er die Kollektivierung von Unternehmen „auf demokratischem Wege“ für richtig hält.
Schon mit #NoGroKo trieb Kevin Kühnert die SPD vor sich her
In der SPD selbst liegen die Dinge allerdings ein bisschen anders. Kühnerts Forderung, die Verteilung der Profite müsse „demokratisch kontrolliert werden“, würden noch viele Genossen unterschreiben. Dass er den „kapitalistischen Eigentümern“ ihre Betriebe wegnehmen will, geht dann aber doch den meisten zu weit. Kaum einer in der SPD wird widersprechen, wenn der 29-Jährige gegen den Mietwahnsinn in deutschen Städten Front macht. Aber sein Vorschlag, jeder solle „maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt“, löst bei den meisten Parteifreunden Kopfschütteln aus. „Er spricht über eine gesellschaftliche Utopie“, versucht SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil zu retten, was zu retten ist.
Nun gehört es zum Kerngeschäft eines Juso-Chefs, radikale Thesen zu vertreten. Auch die meisten von Kühnerts Vorgängern, zu denen die heutige SPD-Vorsitzende Andrea Nahles und Altkanzler Gerhard Schröder gehören, werden heute nicht mehr so gerne auf alle Positionen angesprochen, die sie während ihrer Zeit an der Juso-Spitze für unverhandelbar hielten. Dass der Aufschrei nun besonders laut ist, hängt aber damit zusammen, dass Kühnert schon länger versucht, die SPD neu zu erfinden – und sie damit vor sich hertreibt.
Die von ihm initiierte #NoGroKo-Kampagne gegen die Neuauflage der Großen Koalition zum Beispiel brachte die Partei an den Rande des Nervenzusammenbruchs. Und der gebürtige Berliner ist eben nicht nur Anführer der jungen Wilden und häufiger Gast in Talkshows. Gemeinsam mit SPD-Vize Manuela Schwesig entwickelt er gerade auch ein Konzept, wie sich die Partei den Sozialstaat der Zukunft vorstellt. Es geht also durchaus ums Grundsätzliche.
Der Juso-Chef Kühnert sieht die neue Mitte der SPD links
Kühnert ist fest überzeugt davon, dass die SPD ihren Absturz nur dann stoppen kann, wenn sie sich ganz klar von der Union abgrenzt. Mit anderen Worten: Die Sozialdemokraten sollen ihre neue Mitte links finden. Bleiben nur zwei Fragen: Wie links darf es denn sein? Und ist der Juso-Chef tatsächlich in der richtigen Partei?