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Europa-Wahl: Kein Nord Stream 2? Weber spielt die Karte Ostsee-Pipeline

Europa-Wahl

Kein Nord Stream 2? Weber spielt die Karte Ostsee-Pipeline

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    Manfred Weber (CSU) hat angekündigt, die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 blockieren zu wollen.
    Manfred Weber (CSU) hat angekündigt, die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 blockieren zu wollen. Foto: Nicolas Armer, dpa

    Manfred Weber gilt als versierter Stratege. Es ist davon auszugehen, dass der CSU-Politiker verschiedene Rechenmodelle kennt, die sich mit seinen Chancen beschäftigen, als erster Deutscher seit 1967 europäischer Kommissionspräsident zu werden. Einiges deutet allerdings daraufhin, dass ihn in letzter Zeit Zweifel beschlichen haben, ob er sein Ziel erreichen kann. Vor diesem Hintergrund jedenfalls ließe sich seine auch für Parteifreunde überraschende Ankündigung erklären, als EU-Chef die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zu blockieren.

    Damit stellte sich Weber nämlich ganz klar gegen die Position der deutschen Bundesregierung, in einem Interview mit der polnischen Zeitung Polska Times. Die Botschaft selbst wie auch die Wahl des Mediums dürften Kalkül sein: Kaum etwas wäre derzeit schädlicher für Webers Ambitionen als der Eindruck, der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) – und ihr Spitzenkandidat im Europawahlkampf – werde als möglicher neuer Kommissionschef in erster Linie als Sachverwalter deutscher Interessen auftreten. Schließlich wird eine drohende oder schon manifeste deutsche Vorherrschaft nicht nur von rechten oder linken Populisten als Schreckgespenst an die Wand gemalt. Auch in osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten, und ganz speziell in Polen, sind derlei Ressentiments spürbar.

    Über mangelndes Echo kann sich Manfred Weber nicht beklagen

    Das weiß der Politstratege Weber natürlich – und sendet daher eine klare Botschaft. Er sei „nicht der deutsche Kandidat für die EU-Kommission, sondern der Kandidat der EVP“, versicherte der 46-jährige Niederbayer in einem Gespräch mit den polnischen Journalisten.

    Über mangelndes Echo kann sich Weber seither nicht beklagen. Noch während er in Athen weilte, wo der CSU-Mann am Dienstag offiziell den Startschuss für den Endspurt seines Wahlkampfes gab, gingen bei ihm zahllose Reaktionen auf den Vorstoß ein. Innerhalb der Großen Koalition fielen diese, vorsichtig formuliert, eher ablehnend aus. Deren Vertreter wissen zwar um die schwierige Arithmetik für Weber und verstehen grundsätzlich dessen Wahlkampfzwänge und sein Kalkül. Ihnen ist auch bewusst, dass Stimmen aus Osteuropa wichtig für ihn sein könnten – insbesondere, wenn die Briten bei der Europawahl doch noch mitwählen, was eher Webers Rivalen nutzen dürfte.

    Nord Stream 2: Warnungen vor wachsender Abhängigkeit von Russland

    Begeistert von Webers Aussage dürften die Koalitionäre in Berlin trotzdem nicht sein, allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel. In der Bundespressekonferenz war die Sprecherin der Bundesregierung daher geradezu peinlich bemüht, die vielen Fragen der Medienvertreter zu dem Thema zu beantworten, ohne viel zu sagen. Ihr Tenor lautete schließlich: Parteipolitisch getriebenes Handeln kommentieren wir nicht, wir halten das Projekt Ostsee-Pipeline nach wie vor für richtig. Allerdings warnen auch in Deutschland Experten vor einer wachsenden Abhängigkeit von russischem Gas.

    Wahlkampf in Athen: Manfred Weber, Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, hält in der griechischen Hauptstadt eine programmatische Rede.
    Wahlkampf in Athen: Manfred Weber, Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, hält in der griechischen Hauptstadt eine programmatische Rede. Foto: Tzortzinis, dpa

    Die Frage ist allerdings, ob das Vorhaben überhaupt noch zu stoppen ist. Schließlich ist die Pipeline, die jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas von Russland durch die Ostsee nach Deutschland transportieren soll, längst im Bau. Mehr als ein Drittel der Trasse ist bereits mit Rohren bestückt.

    Weniger diplomatisch als die Vertreter der Bundesregierung reagierten SPD-Politiker: „Wer Nord Stream 2 infrage stellt, macht sich von amerikanischem Fracking-Gas abhängig oder will die Atomkraft wieder beleben“, sagte SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch. US-Präsident Donald Trump hatte höchstpersönlich mit Strafmaßnahmen gedroht, wenn die Pipeline in Betrieb geht. Ohne Zweifel geht es Trump dabei nicht zuletzt um Absatzmärkte für amerikanisches Gas.

    Die EU hatte gerade erst ihre Gasrichtlinie geändert

    Vor wenigen Wochen erst hatte die EU ihre Gasrichtlinie angesichts des umstrittenen Vorhabens überarbeitet. In der nun beschlossenen Fassung räumt die EU-Kommission der Union mehr Mitspracherechte bei derartigen Projekten ein. Danach soll die Produktion von Erdgas in Zukunft vom Betrieb der Leitung getrennt werden. Bei Nord Stream 2 hat der russische Staatskonzern Gazprom alles in seiner Hand. Die Bundesregierung hatte diesen Gesetzesentwurf lange blockiert, dann aber doch zugestimmt, um Kritiker der Ostsee-Pipeline zu besänftigen.

    Dem will Weber offenbar ein Ende setzen. Und einfach als Wahlkampfgeplänkel abtun können die Berliner Politiker dessen Vorschlag nicht. Weber – der ohnehin nicht zur großspurigen Rhetorik neigt, sondern jede Aussage manchmal gar übervorsichtig abwägt – hat diesmal alle taktische Vorsicht aufgegeben. Er werde als Kommissionspräsident „alle möglichen Rechtsmittel“ anwenden, um Nord Stream 2 zu stoppen, sagte er. Und so ein Kommissionspräsident, Herr von vielen tausenden Beamten, darunter exzellenten Rechtsexperten, hat schon einige Mittel zur Verfügung.

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Manfred Weber will ein Kandidat für ganz Europa sein

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