Die katholische Kirche in Deutschland hat das Problem des sexuellen Missbrauchs durch Priester noch nicht im Griff. Zu diesem Ergebnis kommen die Macher der von der Deutschen Bischofskonferenz beauftragten Studie zum sexuellen Missbrauch durch Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige, die am Dienstag in Fulda vorgestellt wurde. Es bestehe eine "dringende Pflicht zum Handeln", erklärte Roswitha Müller-Piepenkötter, die im Beirat der Studie saß, in ihrem Redemanuskript.
Studienmacher: Missbrauchsskandal muss noch aufgearbeitet werden
Demnach besteht für Jungen und Mädchen nach wie vor eine Gefahr des Missbrauchs durch Priester. Es sei davon auszugehen, dass "auch für die nahe Vergangenheit und für die Zukunft mit solchen Fällen zu rechnen ist", erklärte Müller-Piepenkötter.
Die Studienmacher fordern, den 2010 eingeleiteten Weg der Aufarbeitung des Missbrauchskandals in wichtigen Punkten radikal zu ändern. So müssten die Verantwortlichen in den Bistümern sich konkret und im Einzelfall zu ihrer Verantwortung bekennen und Fehlverhalten schonungslos offenlegen. Auch müssten die Strukturen und Hierarchien der Kirche überprüft werden.
Im Jahr 2010 war der Missbrauchsskandal auch in Deutschland bekannt geworden, die nun vorgestellte Studie soll den Skandal aufarbeiten. Für das Forschungsprojekt lagen 38.156 Personal- und Handakten von Geistlichen aus den Jahren 1946 bis 2014 vor.
Daraus ergeben sich Missbrauchsvowürfe gegen 1670 Kleriker, was einem Anteil von 4,4 Prozent der geprüften Geistlichen entspricht. Besonders ausgeprägt sind die Vorwürfe gegen Gemeindepriester, bei denen 5,1 Prozent sich des Missbrauchs schuldig gemacht haben sollen.
Missbrauch in der Kirche - Kardinal Marx bittet um Entschuldigung
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, hat die Opfer des massenhaften sexuellen Missbrauchs unter dem Dach der Kirche in aller Form um Entschuldigung gebeten. "Allzulange ist in der Kirche Missbrauch geleugnet, weggeschaut und vertuscht worden. Für dieses Versagen und für allen Schmerz bitte ich um Entschuldigung", erklärte Marx am Dienstag in Fulda bei der Vorstellung einer Studie, die den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch katholische Kleriker in den vergangenen Jahrzehnten umfangreich dokumentiert.
Marx fügte an: "Ich schäme mich für das Vertrauen, das zerstört wurde; für die Verbrechen, die Menschen durch Amtspersonen der Kirche angetan wurden; und ich empfinde Scham für das Wegschauen von vielen, die nicht wahrhaben wollten, was geschehen ist und die sich nicht um die Opfer gesorgt haben." Das gelte auch für ihn selbst. "Wir haben den Opfern nicht zugehört. All das darf nicht folgenlos bleiben." Er konstatierte: "Viele Menschen glauben uns nicht mehr. Und ich habe dafür Verständnis."
Der Leiter der von der Deutschen Bischofskonferenz beauftragten Studie zum sexuellen Missbrauch durch Geistliche hat sich "erschüttert" von den Ergebnissen gezeigt. Er habe an sich als forensischer Psychiater eine professionelle Distanz, sagte der Mannheimer Professor Harald Dreßing am Dienstag bei der Vorstellung der Studie in Fulda. Aber sowohl das Ausmaß als auch der Umgang der Kirchenverantwortlichen mit den Taten hätten ihn erschüttert.
Studienleiter von Ergebnissen erschüttert
Dreßen sagte, die genaue Zahl der Täter werde sich nicht ermitteln lassen. Die von den Studienmachern angegebene Zahl von 1670 Klerikern sei nur die aus den vorliegenden Akten ermittelbare "untere Schätzgröße" für eine Zahl der Täter. "Wir müssen viel mehr von einem deutlich größeren Dunkelfeld ausgehen." Es gehe hier um die "Spitze eines Eisbergs, dessen tatsächliche Größe wir nicht kennen".
Dreßen sagte, in der Kirche gebe es weiterhin spezifische Strukturen, die den sexuellen Missbrauch begünstigten. Es gehe um einen "Missbrauch der Macht". Es gehe aber auch um den Umgang mit Themenfeldern wie Sexualität und Homosexualität, dem Zölibat und der Beichte.
Wie der Studienmacher sagte, zog die Kirche noch immer nicht die nötigen Konsequenzen aus dem Bekanntwerden des Missbrauchskandals im Jahre 2010. "Es handelt sich nicht um ein historisches Phänomen, das in der Vergangenheit abgeschlossen wurde." Weitere Prävention und Aufklärung seien dringend notwendig. (afp/dpa)