Zwei Jahre nach Veröffentlichung der „MHG-Studie“ zum Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche in Deutschland hat die Deutsche Ordensobernkonferenz am Mittwoch Zahlen vorgelegt. Sie geben erstmals eine Ahnung vom Ausmaß sexueller Gewalttaten, die Ordensangehörige sowie -mitarbeiter begangen haben sollen. Demnach meldeten sich 1412 Personen bei den Ordensgemeinschaften als Betroffene. Ob ihre Vorwürfe zutreffen, wurde nicht geprüft.
Insgesamt 654 Ordensmitglieder seien als Täter beschuldigt worden, hieß es. 522 davon seien bereits gestorben. 95 der Beschuldigten seien bis heute Mitglied ihrer Gemeinschaft, 37 nicht mehr. Die Vorfälle reichen bis in die 50er – und wären längst verjährt. Weiter hieß es, dass 22 Prozent der Frauen- und knapp 69 Prozent der Männergemeinschaften mit Missbrauchsvorwürfen konfrontiert worden seien.
MHG-Studie von 2018 erfasste die Übergriffe in Internaten der Orden nicht
Im Unterschied zur MHG-Studie, die von der Deutschen Bischofskonferenz bei unabhängigen Wissenschaftlern in Auftrag gegeben worden war, handelt es sich im Falle der Orden lediglich um eine freiwillige Befragung, die sich an 392 Ordensobere richtete. Drei Viertel von ihnen sandten den entsprechenden Fragebogen zurück. In der Deutschen Ordensobernkonferenz – ein Pendant zur Deutschen Bischofskonferenz – sind 412 Obere, also Vorsteher, zusammengeschlossen. Sie vertreten rund 17.000 Ordensfrauen und -männer.
Berichten von Betroffenen zufolge kam es in einer Vielzahl von Fällen in Einrichtungen von Orden – Schulen, Internate oder Heime – zu Übergriffen. In der MHG-Studie aus dem Herbst 2018 sind diese jedoch nicht einmal annähernd erfasst, da dort nur Missbrauchsfälle „männlicher Ordensangehöriger im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ untersucht wurden. Ordensgemeinschaften „päpstlichen Rechts“ unterstehen nicht den Bischöfen. Die MHG-Studie, für die tausende Akten ausgewertet wurden, kam auf – mindestens – 3677 Kinder und Jugendliche, die zwischen 1946 und 2014 von 1670 Klerikern missbraucht worden seien.
Bischof Wilmer: Beschäftigung mit dem Thema Missbrauch ist bedeutsam
Der Missbrauchsskandal betreffe in „erheblichem Ausmaß“ die Ordensgemeinschaften, erklärte die Ordensobernkonferenz und bekannte sich zu ihrem „Versagen“ und zu ihrer Verantwortung. Schwester Regina Pröls von der Kongregation der St. Franziskusschwestern Vierzehnheiligen im oberfränkischen Bad Staffelstein zählt zum erweiterten Vorstand. „Die Zahlen sind sehr hoch und machen mich sehr betroffen“, sagte sie auf Anfrage. Sie wolle eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung und Forschern Zugriff auf Akten ermöglichen. Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer, selbst Ordensmann und bis 2018 Generaloberer der Herz-Jesu-Priester, sagte unserer Redaktion: „Es ist gut, dass sich die Ordensgemeinschaften dem Thema Missbrauch weiter mit großer Intensität stellen.“
Matthias Katsch von der Betroffenen-Initiative Eckiger Tisch dagegen warf den Orden vor, eine Aufarbeitung weiter verzögern zu wollen. Er forderte, dass in Verdachtsfällen alle Akten „jetzt gesichert und den Staatsanwaltschaften zur Verfügung gestellt werden“ müssten.
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