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Katholische Kirche: Kardinal Marx über Missbrauchsskandal: "Ich schäme mich"

Katholische Kirche

Kardinal Marx über Missbrauchsskandal: "Ich schäme mich"

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    Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, am Dienstag in Fulda.
    Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, am Dienstag in Fulda. Foto: Harald Oppitz, epd

    Man sieht dem Münchner Kardinal Reinhard Marx die Anspannung an. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz sitzt auf einem Podium vor Journalisten aus ganz Deutschland. Er blickt zu Boden. Dann beginnt am Dienstagmittag in Fulda die mit Spannung erwartete Pressekonferenz zu einer Missbrauchsstudie im Auftrag der deutschen Bischöfe, die seit Wochen für Entsetzen und Empörung sorgt.

    Missbrauchsstudie zeichnet verheerendes Bild von Kirche

    Schon vorab waren die wichtigsten Ergebnisse durchgesickert, sie zeichnen ein verheerendes Bild von der katholischen Kirche. Demnach werden nach Auswertung der Personal- und Handakten von bundesweit 38.156 Geistlichen 1670 von ihnen beschuldigt, zwischen 1946 und 2014 insgesamt 3677 Kinder und Jugendliche, überwiegend minderjährige Jungen, missbraucht zu haben.

    Auch nach dem Jahr 2010, betont Professor Harald Dreßing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, seien Erstbeschuldigungen dokumentiert. Er präsentiert eine Folie, auf der steht: "Sexueller Missbrauch durch katholische Kleriker ist ein anhaltendes Problem."

    Er sagt, dass das Ausmaß des Missbrauchs innerhalb der katholischen Kirche selbst ihn erschüttert habe, und er sei seit mehr als 30 Jahren als Wissenschaftler tätig. Er sagt, dass die Zahlen, die er mit Forschern der Universitäten Mannheim, Heidelberg und Gießen erhob und auswertete, nur "die Spitze eines Eisbergs" seien. Und dass die kirchlichen Strukturen Missbrauch begünstigten. "Dazu gehören der Missbrauch klerikaler Macht, aber auch der Zölibat und der Umgang mit Sexualität, insbesondere mit Homosexualität". Auch die Rolle der Beichte müsse überdacht werden.

    Kardinal Marx hört Dreßings Ausführungen zu – mal mit verschränkten Armen, mal mit geschlossen Augen, mal mit Blick gen Decke, mal mit dem Kopf in seine linke Hand gestützt. Es geht um nichts weniger als um die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche.

    So reagiert der Augsburger Bischof Zdarsa auf den Missbrauchsskandal

    Marx weiß das. Und so räumt er, noch bevor Dreßing seinen Vortrag beginnt, die Fehler der Kirche unumwunden ein, auch seine eigenen. "Ich schäme mich für das Vertrauen, das zerstört wurde; für die Verbrechen, die Menschen durch Amtspersonen der Kirche angetan wurden; und ich empfinde Scham für das Wegschauen von vielen, die nicht wahrhaben wollten, was geschehen ist und die sich nicht um die Opfer gesorgt haben. Das gilt auch für mich." Die Kirche habe Machtstrukturen zugelassen und "meist einen Klerikalismus gefördert, der wiederum Gewalt und Missbrauch begünstigt hat".

    Auch aus anderen Bistümern kommen am Dienstag Zahlen, Schuldeingeständnisse und Vergebungsbitten. Der Augsburger Bischof Konrad Zdarsa schreibt in einem Brief, der an Kleriker, Diakone, Religionslehrer und Bistumsmitarbeiter adressiert ist, von einer "erschreckenden Bilanz furchtbarer Vergehen". Was nun ans Licht gekommen sei, "macht sprachlos – und gerade deshalb dürfen wir nicht schweigen". Das erste Augenmerk müsse jetzt den Opfern gelten.

    Und weiter: "Ja, ich schäme mich für die Mitbrüder und für unser Bistum, in dem so etwas auch möglich war". Zdarsa räumt Versäumnisse in der Aktenführung ein sowie, dass in der Vergangenheit die "Zuständigen auf verschiedenen Ebenen bisweilen nicht mit dem gebotenen Verantwortungsbewusstsein" kriminelle Handlungen geahndet hätten.

    Die meisten Missbrauchs-Opfer der Kirche waren männlich

    Sein Brief wird am Nachmittag bei einer Pressekonferenz in Augsburg verteilt, in der Generalvikar Harald Heinrich Zahlen aus dem Bistum nennt, die in die Studie "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz (MHG-Studie)" eingeflossen sind.

    Dort wurden 1483 Personalakten aller Kleriker gesichtet, die zwischen Anfang 2000 und Ende 2015 im Verantwortungsbereich des Bistums eine Funktion ausübten oder sich im Ruhestand befanden. Handakten und weitere durchgesehene Dokumente reichen bis ins Jahr 1946 zurück.

    Das Ergebnis, das bei Heinrich "Ratlosigkeit, Trauer und Zorn" ausgelöst habe: Im Bistum Augsburg gibt es 85 Beschuldigte und 164 Opfer. Ähnlich wie in der gesamten MHG-Studie sind die meisten Opfer (109) männlich. 82 der 164 Opfer – und damit genau die Hälfte – waren beim ersten Missbrauch unter 13 Jahre alt.

    Auf Nachfrage führt Heinrich aus, dass 30 Fälle an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden seien – neun Geistliche erhielten ihm zufolge Bewährungs- oder Geldstrafen, keiner eine Gefängnisstrafe. Missbrauchstäter seien zudem kirchenrechtlich sanktioniert worden. Vier Weltpriester, vier Diakone und zwei Ordenspriester seien in andere Diözesen versetzt worden. Gegen 14 noch lebende Geistliche seien, so der Generalvikar, kirchliche Strafdekrete erlassen worden. Ihnen wurde etwa der Kontakt zu Kindern verboten.

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