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Karneval: Kölner Karneval: Frohsinn unter Aufsicht

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Kölner Karneval: Frohsinn unter Aufsicht

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    Ein hohes Polizeiaufgebot soll während des Kölner Karnevals für Sicherheit sorgen. Die Silvesternacht hat ihre Spuren hinterlassen.
    Ein hohes Polizeiaufgebot soll während des Kölner Karnevals für Sicherheit sorgen. Die Silvesternacht hat ihre Spuren hinterlassen. Foto: Joern Neumann/epd, imago

    Der Bauarbeiter ist gerade mit dem Zug angekommen. Und dann so ein Wetter. Strömender Regen. Er zieht den Helm ins Gesicht, eilt die Stufen hinauf, eine Dose Bier in der Hand. „Ist das jetzt diese Domplatte?“, grölt er. Sein Kumpel, der andere Bauarbeiter, zuckt mit den Schultern. „Glaub schon. Aber wo ist dann bitte diese Megapolizei?“

    Dabei ist die kaum zu übersehen an jenem Donnerstag, den die Kölner „Wieverfastelovend“ nennen, Weiberfastnacht. Oben, auf der Nordseite des Kölner Doms, haben sich um diese Zeit fünf Polizeibusse postiert. Und noch mehr Kamerateams. Aus Frankreich und Spanien, aus Finnland und den USA. „Haben Sie Angst?“, ruft eine Reporterin einem Mädchen in Ringelstrümpfen und knappen Shorts hinterher. Die Ringelstrümpfe eilen weiter.

    Nun ist die Domplatte nicht der Ort, an dem die Kölner Karneval feiern. Keine Bühne, keine Kamelle, kein Schunkeln. Nur jede Menge Feierwütige, die der Hauptbahnhof im Sekundentakt ausspuckt. Giraffen, Piraten, falsche Polizisten, die von hier aus weiterwollen in die Altstadt. Und doch ist es eben dieser Platz, auf den das Land schaut, seit hier eine Horde nordafrikanischer Männer in der Silvesternacht Frauen bedrängt, bestohlen und sexuell belästigt hat. Nicht auszudenken, was los wäre, wenn das noch einmal passieren würde. Ausgerechnet im

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    Nur: Wie soll das gehen? Wo das Land darauf schaut, ob in Köln nur ja nichts passiert. Wo die Polizei den Jecken schon im Vorfeld nahegelegt hat, bloß nicht als Cowboy zu gehen – und erst recht nicht als Dschihadist. Wo Politiker wie der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger die Narren zum Feiern ermutigen, der

    Ina hat eigentlich keine Zeit für diese Fragen. Sie will runter zum Alter Markt, wo Clowns und Bienchen mit dem Dreigestirn schunkeln, zum Heumarkt, wo das unvermeidliche „Viva Colonia“ aus den Lautsprechern plärrt, hinunter an den Rhein, wo sich die Jecken in den Kneipen drängen. Dann bleibt die 19-Jährige doch stehen, zupft die pinkfarbene Perücke zurecht, streicht den knappen, schwarzen Rock glatt und erzählt. Von den Leuten daheim in Siegen, die gefragt haben, ob sie das wirklich vorhabe – Karneval in Köln, nach all dem, was war? Von den vielen mahnenden Worten, die sie mit auf den Weg bekommen hat. Und davon, dass die Mama ihr heute viele SMS schreiben wird. Weil sie sichergehen will, dass es ihrer Tochter gut geht. „Versteh ich schon“, sagt Ina. Ihre Freundin Michelle nickt. Auch ihre Eltern machen sich Sorgen. Und wie ist das jetzt mit dem mulmigen Gefühl hier auf der Domplatte? Ina lacht ein schrilles Lachen, hebt die Fäuste und zeigt die Ringe an ihren Fingern. „Wenn uns einer zu nah kommt, gibt es Schmerzensgeld.“

    Die Silvesternacht und mieses Wetter sorgen für weniger Feierwütige

    Unten, am Fuße des Doms, läuft „Mer losse de Dom in Kölle“. Ein Soldat schunkelt mit einem Piraten, die Gruppe mit den grünen Perücken startet einen Polonaise-Versuch. Die Frau am Stand daneben, die Kaffee mit Schuss verkauft, macht trotzdem ein betretenes Gesicht. Weil so wenig los ist. Das miese Wetter, sagt sie, habe viele Leute gekostet. „Und Silvester.“ Auch ihre Freundinnen kommen diesmal nicht. Zu viel Unsicherheit, zu viel Angst. „Aber wir können uns doch nicht daheim einsperren“, sagt sie. „Und sicherer als jetzt kann es doch in der Stadt nicht sein.“

    Tatsächlich gleicht Köln einem Ort, an dem der Frohsinn unter Aufsicht gestellt ist. Nicht nur, weil sich viele als Polizist verkleidet haben, als Sicherheitsmann oder FBI-Mitarbeiter. Auch die „echte“ Polizei ist allgegenwärtig. 2500 Beamte sind allein an diesem Tag im Einsatz, drei Mal so viel wie im Jahr zuvor. Die Stadtverwaltung hat zusätzlich fast 400 Ordnungskräfte mobilisiert, das Komitee des Kölner Karnevals um die 200 Sicherheitsleute. Zusätzliche Scheinwerfer werden eingesetzt, um dunkle Ecken auszuleuchten. Außerdem hat die Polizei die Videoüberwachung ausgeweitet. „Heute gibt es keinen Jecken, der nicht irgendwo in einer Kamera rumläuft“, sagt ein Beamter.

    Die „Armlänge Abstand“, die die Oberbürgermeisterin Frauen empfohlen hat, hält dagegen kaum jemand ein. Micky Maus drückt dem Plüschschwein einen Schmatzer auf, die jungen Männer in Arztkitteln umarmen eine Asiatin. Karneval, das ist Körperkontakt. Und jede Menge Alkohol. Auf der Tribüne am Alter Markt, wo das Dreigestirn um 11.11 Uhr die tollen Tage eröffnet hat, steigt man Stunden später über Bierfässer, Proseccodosen und Plastikbecher. Ein paar Meter weiter, am Heumarkt, verliert ein Teufelchen das Gleichgewicht. Vier Männerhände gehen nach unten, um der Frau aufzuhelfen. Einer nimmt sie in den Arm. Dann geht es weiter, dorthin, wo die Jecken trinken und tanzen. „Wenn nicht jetzt, wann dann“, schallt aus den Boxen.

    "Die Kölner brauchen ihren Karneval"

    Sigrid Krebs, 47, will erst gar nicht davon anfangen, vom Karneval unter anderen Vorzeichen, vom mulmigen Gefühl. Die Sprecherin des Festkomitees sagt: „Die Stimmung ist gut.“ Und: „Die Kölner brauchen ihren Karneval.“ Das Bütze, Danze, Fiere – Busseln, Tanzen, Feiern. Und dass es vor allem am Regen liege, dass weniger Feierwütige gekommen sind. Kerstin ist trotzdem da, so wie die letzten 15 Jahre – auch, wenn die Kolleginnen lieber daheim bleiben, weil sie „Muffe“ haben. „Ich lass mir das nicht kaputt machen“, sagt sie. „Das ist unsere Tradition.“ Dass „Bützen“ nichts mit Knutschen zu tun habe, mit Anmache oder gar damit, jemanden anzutatschen. Dass ihr das noch nie passiert sei – nicht heute, nicht in den Jahren davor.

    Und doch gibt es sie, die sexuellen Übergriffe. Durchschnittlich 50 Sexualdelikte wurden in den vergangenen Jahren im Kölner Karneval angezeigt. Altweiber ist seit jeher der Tag mit den meisten Straftaten.

    Die Dunkelheit ist bereits über die Stadt hereingebrochen, als Polizei und Stadt eine erste Bilanz ziehen. Sechs gemeldete sexuelle Übergriffe, einige Anzeigen wegen Taschendiebstahls. Und rund um den Dom, der erstmals in der Geschichte zum Schutz vor Wildpinklern und Vandalen komplett abgesperrt ist? „Alles friedlich“, heißt es.

    Doch klar ist: Wenn es dunkel wird, wenn der Pegel steigt, nimmt auch die Gefahr zu. Das realisiert man vor allem, wenn es einen selbst betrifft. Ein junger Mann nähert sich, schwankt, pöbelt, zieht die Hose in die Knie. Dann greift er nach den abgestellten Wasserflaschen, versucht die Handtasche zu erhaschen. Markus Dörner und seine Kollegen sind nach wenigen Sekunden da. Sie nehmen den volltrunkenen Asylbewerber mit. „Früher wäre das kein großes Thema gewesen“, sagt Polizeioberkommissar Dörner, seit über zwölf Stunden auf der Domplatte im Dienst. „Aber das war vor Silvester.“

    Mehr Sexualdelikte als in den Vorjahren

    Am Ende dieses Tages verzeichnet die Polizei zwar deutlich weniger Einsätze als in den Vorjahren, aber mehr Anzeigen wegen Sexualdelikten. Von 22 Fällen ist am Freitagmorgen die Rede, 13 mehr als im Vorjahr. Auch zwei mutmaßliche Vergewaltigungen sind darunter. Ein 17-jähriger Asylbewerber soll einer 22-Jährigen einen Porno auf seinem Handy gezeigt und sie dann niedergeschlagen haben. Anschließend habe sich der Mann an der bewusstlosen Frau vergangen, berichtet die Bild. In einem anderen Fall begrapschten zwei Unbekannte eine belgische Fernsehjournalistin während einer Live-Übertragung.

    Es bleiben Fragen: Hat die sexuelle Gewalt tatsächlich zugenommen? Sind Frauen eher bereit, Übergriffe anzuzeigen, wie es der Leitende Polizeidirektor Michael Temme vermutet? Ist es ein Erfolg der zunehmenden Polizeipräsenz, dass auch mehr Fälle zur Anzeige kommen? Und: Wie viele Fälle werden es noch? Schließlich vergingen nach den Übergriffen von Silvester Tage und Wochen, bis Frauen sich bei der Polizei meldeten.

    Die Stadt Köln will vor allem, dass Frauen darüber reden, wenn sie Opfer werden. Auf der Domplatte hat sie einen bunt beklebten Bauwagen aufgestellt. „Frauen Security Point“ steht darauf. Frauen sollen hier Hilfe finden, wenn sie sexuell belästigt werden, erklärt Christine Kronenberg, die städtische Gleichstellungsbeauftragte. Doch an Altweiber kommt niemand. Kronenberg weiß nicht so recht, was sie davon halten soll. Einerseits ist es ja gut, wenn die Anlaufstelle nicht in Anspruch genommen werden muss. Andererseits ist es auch gut möglich, dass sich Frauen nicht hierher trauen. Denn Fernsehteams belagern den Baucontainer.

    Ein paar U-Bahn-Stationen entfernt vom Dom beginnt die Zülpicher Straße, die Partymeile Kölns. Vor den Kneipen tasten Security-Mitarbeiter jeden Gast ab. Keine Waffen, keine Flaschen, kein Pfefferspray. Drinnen klebt der Boden. Wenn Heike an Karneval nach Köln kommt, dann immer hierher, ins Univiertel, wo sich Kneipe an Kneipe reiht und jetzt, kurz vor Mitternacht, eine kleine Parade mit lauten Beats die Straße entlangzieht. Heike, die 32-Jährige aus Leipzig, sagt: „Da wirst du angetatscht. Das ist einfach so als Frau.“ Ihre Freundin Jenny, die Piratin, die eben noch lasziv hinter der Fensterscheibe getanzt hat, meint, dass eine Vergewaltigung überall passieren kann. „Man muss einfach sein Hirn einschalten.“ Immer in der Gruppe unterwegs sein, nie mit fremden Typen mitgehen, nur mit dem Taxi nach Hause fahren. „Absolute Sicherheit gibt es nicht“, sagt Heike, die kleine Hexe. „Das wissen wir auch.“

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