Der Kandidat fasst sich kurz. Wie er der populären Kanzlerin Paroli zu bieten gedenkt, auf welche Themen er im Wahlkampf setzt und auf welche Strategie – das will Peer Steinbrück frühestens am Montag erklären, wenn er sich den Gremien der SPD vorgestellt hat. Das Ziel seiner Mission aber ist klar umrissen: Er wolle die gegenwärtige Regierung aus Union und FDP nicht nur teilweise ersetzen, sagt der frühere Finanzminister, der in der Großen Koalition bekanntlich gut mit Angela Merkel zusammengearbeitet hat. „Wir wollen sie durch eine rot-grüne Regierung ersetzen.“
Keine Viertelstunde dauert die improvisierte Pressekonferenz, bei der Parteichef Sigmar Gabriel Steinbrück als Kanzlerkandidat der SPD vorstellt. Nachdem zuvor durchgesickert ist, dass der Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier abgewunken hat, hat Gabriel eilends einen Termin in München abgesagt und ist zurück nach Berlin geflogen, um zu retten, was noch zu retten ist. Ursprünglich wollte er Steinbrück erst Ende November präsentieren, bei einem kleinen Parteitag der Sozialdemokraten. Nun aber macht er aus der Not eine Tugend und schmunzelt etwas gequält: „Eines ist es bei der SPD nie – langweilig.“
Überraschend kommt die Entscheidung nicht, auch für Steinbrück selbst nicht. Schon im Frühjahr vergangenen Jahres hatte Gabriel ihm signalisiert, dass er als Parteichef von seinem „Zugriffsrecht“ auf die Kandidatur keinen Gebrauch machen werde. Als Steinmeier dann nach dem Ende der Sommerpause ebenfalls verzichtet, ist im Prinzip schon alles klar. Vor zwei Wochen, sagt Gabriel, habe er sich mit Steinbrück zum entscheidenden Gespräch in Hannover getroffen. Nicht in Goslar, seiner Heimatstadt, fügt er schnell noch grinsend hinzu, „und auch nicht in Wolfratshausen“. Dort hatten einst Angela Merkel und Edmund Stoiber bei einem berühmt gewordenen Frühstück eine ähnliche Frage zu erörtern.
An Steinmeier kleben immer noch 23 Prozent
Steinbrück ist der Einzige aus der Troika, der die Kanzlerkandidatur wirklich will. Gabriel, sagt ein Spitzengenosse, kenne seine Defizite und sei mit 53 Jahren jung genug, um noch warten zu können – und an Steinmeier kleben noch immer die 23 Prozent, die er vor drei Jahren geholt hat, das schlechteste Ergebnis der SPD bei einer Bundestagswahl, ein Trauma für die Partei. Auch seine Frau soll ihm vor einem neuerlichen Anlauf abgeraten haben. Er selbst spricht nur vage von einer „persönlichen Entscheidung“ und beteuert noch im gleichen Satz, er werde sich im Wahlkampf so engagieren, „als wäre es mein eigener“.
Obwohl seine Choreografie am Ende etwas durcheinandergeraten ist, hat Gabriels Versuch, mit der offenen Kandidaten-Frage zu spielen und die Spannung hochzuhalten, ein Jahr lang gut funktioniert. Wo immer die drei auftreten, ist das Interesse groß und die Berichterstattung entsprechend opulent. Irgendwann im Sommer aber beginnen die ersten Fliehkräfte zu wirken: Gabriel sendet auch aus der Babypause heraus auf allen Kanälen, als gäbe es nur noch ihn in der SPD. Von Steinmeier ist dafür umso weniger zu hören, während Steinbrück zu Hause in Nordrhein-Westfalen diskret die Operation Kanzlerkandidatur startet. Bei Firmenbesuchen, in Kindergärten und auf Straßenfesten testet der Kandidatenkandidat, wie er denn so ankommt, draußen im Land. An der Grasnarbe wolle er schnüffeln, sagt er bei einem dieser Termine. „Um nicht abzuheben.“
Steinbrücks Popularitätswerte sind noch ausbaufähig
Dafür, dass er redet und argumentiert wie Helmut Schmidts einzig legitimer Enkel, sind seine Popularitätswerte allerdings noch ausbaufähig. Dürften die Deutschen ihren Kanzler direkt wählen, käme Angela Merkel nach den Zahlen des ZDF-Politbarometers auf 53 Prozent, Steinbrück dagegen nur auf 36 Prozent. Damit liegt der Sohn eines Hamburger Architekten und seiner dänischstämmigen Frau zwar deutlich über den Umfragewerten seiner Partei. Eine Regierungschefin aber stürzt man damit noch nicht.
Erst vor wenigen Tagen hat er in einem Interview noch vor übertriebener Eile bei der Bekanntgabe des Kandidaten gewarnt: Wer sich zu früh aus der Deckung wage, „wird an der Wand entlanggezogen, der wird zersägt, wieder zusammengeklebt und wieder auseinandergenommen“. Wie dieses öffentliche Auseinandernehmen aussehen kann, erlebt er auch selbst gerade: Weil der Schachfreund Steinbrück als Minister versucht hat, Unternehmen als Sponsoren für ein Schachturnier zu gewinnen, steht er nun im Verdacht, Privates und Politisches nicht sauber zu trennen. Sogar von Amtsmissbrauch ist die Rede.
Rot-Grün als einzige Chance auf das Kanzleramt
Minister unter Merkel will er nicht noch einmal werden. In einer Großen Koalition müsste die SPD sich also einen anderen Vizekanzler suchen – Steinmeier, zum Beispiel. Steinbrück setzt alles auf die rot-grüne Karte. Als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen hat ihn zwar niemand mehr zur Verzweiflung gebracht als die Grüne Bärbel Höhn, sodass ihre Koalition damals gleich mehrfach auf der Kippe stand. Nun aber ist ein rot-grünes Bündnis für die SPD vermutlich die einzige Chance, den Kanzler zu stellen. Seine Partei habe keinen Bedarf, „nach der Zerrüttung der Liebesheirat von CDU/CSU und FDP den Ersatzmann zu spielen“, sagt Steinbrück. Notfalls müssten nach dieser Logik eben noch die Liberalen für einen bunten Dreier gewonnen werden, die Ampel.
Dass die SPD-Linke sich querlegt, die ihn lange für einen verkappten Neoliberalen hielt, muss der Kandidat nicht mehr befürchten. Beim Namen Steinbrück, sagt ihr Sprecher Ernst-Dieter Rossmann heute, bekomme er „keine Pickel mehr“. Mit seinem Papier zur Bändigung der Finanzmärkte habe der frühere Minister „einen großen Wurf hingelegt“.
Aber reicht das schon für einen erfolgreichen Wahlkampf? Spitzenkandidat war der 65-Jährige schon einmal, vor sieben Jahren in Nordrhein-Westfalen. Damals stürzte die SPD in ihrem Stammland auf 37 Prozent ab, das schlechteste Ergebnis seit mehr als 50 Jahren. Mit diesem Kapitel aber hat Steinbrück schon lange abgeschlossen: „Das war keine traumatische Erfahrung.“
Kommentar: Der einzige Kandidat