Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Kanzlerkandidatur: Annalena Baerbock: Die nächste Frau fürs Kanzleramt?

Kanzlerkandidatur

Annalena Baerbock: Die nächste Frau fürs Kanzleramt?

    • |
    Annalena Baerbock soll die Grünen ins Kanzleramt führen.
    Annalena Baerbock soll die Grünen ins Kanzleramt führen. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Annalena Baerbock ist genauso alt wie ihre Partei. Beide sind Jahrgang 1980. Die Partei von damals und die Partei von heute, deren erste Kanzlerkandidatin Baerbock nun ist, haben nicht mehr viel miteinander zu tun. Damals wollte eine Ökotruppe aus dem alternativen Milieu die Etablierten herausfordern, auch optisch. Heute sind die Grünen die Etablierten, auch optisch. Als Annalena Baerbock zur ersten Kanzlerkandidatin ausgerufen wird, trägt sie ein dunkelblaues Kleid und rote Pumps. Sie will nicht das „Schweinesystem“ abschaffen, sondern es versöhnen mit dem Schutz der Erde. Der Wohlstand soll nicht mehr zu Lasten der Natur entstehen.

    Ihre größte Hypothek? Annalena Baerbock hat noch keine Regierungserfahrung

    Es ist ein konservatives Anliegen, mit dem sie das mächtigste Amt in Deutschland erobern will. Dieser Konservatismus kommt nicht daher wie bei den klassischen Konservativen. Er gibt sich frisch und überschwänglich, er appelliert nicht an Schweiß und Tränen. Er hört sich so an: Eigentlich sei schon all das Gute in der Gesellschaft da. „Ich will, dass wir das entfesseln“, sagt Annalena Baerbock in ihrer ersten Rede als Kanzlerkandidatin. „Jetzt ist es an der Zeit, dass Politik über sich hinauswächst.“ Es ist in diesem Moment ihrer Kür keine Frage, wer das bewerkstelligen soll. Sie selbst. Eine 40-Jährige ohne jegliche Regierungserfahrung. Es ist ihre größte Hypothek. Trauen die Wähler einer Unerfahrenen in Zeiten einer existenziellen Krise zu, ein Land zu führen?

    Am 19. April 2021 verkündeten Annalena Baerbock und Robert Habeck, dass Baerbock die Grünen als erste Kanzlerkandidatin in der Geschichte der Partei in die Bundestagswahl im September 2021 führen soll.
    Am 19. April 2021 verkündeten Annalena Baerbock und Robert Habeck, dass Baerbock die Grünen als erste Kanzlerkandidatin in der Geschichte der Partei in die Bundestagswahl im September 2021 führen soll. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Es ist ein mächtiger Mann, der diese Frage für sie beantwortet. Er heißt Robert Habeck und ist der Philosoph unter Deutschlands Politikern. „Annalena Baerbock ist eine kluge, kämpferische, fokussierte, willensstarke Frau“, sagt Habeck. Während er das sagt, lächelt sie madonnenhaft. In diesem Moment steht sie noch hinter ihm auf der Bühne, die die Grünen in Berlin zur Kür aufgebaut haben. Doch er wird ihr den Vortritt lassen.

    Der 51-Jährige war Minister in Schleswig-Holstein und mehrere Jahre der unumstrittene Star seiner Partei. Er hat einen neuen politischen Stil definiert und sah dabei auch noch gut aus. Weich statt herb, umarmend statt niedermachend, fragend statt wissend, zuhörend statt laut sprechend. In den klassischen Kategorien gedacht, hat Habeck die Politik weiblicher gemacht. Jetzt ordnet er sich einer Frau unter. „Wir beide wollten es, aber am Ende kann es nur eine machen.“ Vor Ostern fiel die Entscheidung für die eine. Beiden gelang es, dicht zu halten. In der hetzenden Mediendemokratie ist das ein immenser Vertrauensbeweis.

    Annalena Baerbock hat den Vortritt vor Robert Habeck

    Dass er für sie den Weg frei macht, hat viel damit zu tun, dass sie eine Frau ist. Bei den Grünen ist es so, dass Frauen den Vortritt haben, wenn sie mit einem Mann um einen Posten kämpfen. In der Sprache der K-Kandidatin hat „die Emanzipation“ eine Rolle gespielt. Schon vor einiger Zeit hatte sie gesagt, dass es ein „kleiner Stich ins Herz“ wäre, sollte sie beim Griff nach der Macht den Kürzeren ziehen. Bei ihrer Nominierung durch Habeck schien man nun einen kleinen Stich in seinem Herzen zu spüren, als er seine Co-Vorsitzende zur Kanzlerkandidatin macht. Er verstolpert den Satz, den er in Gedanken hundertfach geübt haben muss. Es ist ein Detail, dem nur Bedeutung beikommt, sollte Baerbock den Wahlkampf verpatzen.

    Am 27. Januar 2018 wurden Annalena Baerbock und Robert Habeck bei der Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis/Die Grünen zu den Bundesvorsitzenden gewählt. Jetzt ist Baerbock auch Kanzlerkandidatin.
    Am 27. Januar 2018 wurden Annalena Baerbock und Robert Habeck bei der Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis/Die Grünen zu den Bundesvorsitzenden gewählt. Jetzt ist Baerbock auch Kanzlerkandidatin. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Damit dies nicht passiert, wollen sie als Duo weitermachen. „Das hat uns stark gemacht“, sagt Baerbock. Die Sollbruchstelle solcher Bündnisse ist das plötzliche Machtgefälle. Die Nummer zwei, die sich für die Nummer eins hält, muss es ertragen, wenn es nicht rund läuft und der Versuchung widerstehen, sich nachträglich zur Nummer 1 machen zu wollen. Gelingt es den anderen Parteien, aus der Bruchstelle einen Spalt zu machen, könnte das die Grünen schwächen. Die einst in den Streit verliebte Partei hat sich von den Konservativen abgeschaut, dass Zoff im eigenen Haus die Wähler vertreibt. Baerbock und Habeck haben ihre Seilschaft mit eiserner Disziplin zusammengehalten. War er schon der Star, hat sich Baerbock durch harte Arbeit selbst zum Leuchten gebracht. Hinter dem Lockeren, Frischen, Authentischen steckt viel Arbeit des Parteiapparates, der die Auftritte der Chefs minutiös plant. Grüne Politik ist auch nur Inszenierung, aber sie fällt am wenigsten auf.

    Annalena Baerbock will das Klima retten

    Dazu passt, dass die neue Kanzlerkandidatin den Wählern bei ihrem ersten Auftritt nichts zumutet, was wehtun könnte. Der Schutz des Klimas und die Rettung des Planeten werden einen gewaltigen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft nötig machen. „Ein bisschen Klimaschutz wird nicht funktionieren“, ist die ehrlichste Aussage Baerbocks in ihrer Ansprache. Was das heißt und ob das eigentliche Versprechen der Bundesrepublik, nämlich Wohlstand für alle, überhaupt gehalten werden kann, lässt sie offen. „Alles ist drin“ ist das Wahlprogramm der Grünen überschrieben. Es fasst die Lage der Partei treffend zusammen. Alles ist drin kann auch heißen, dass es furchtbar schief geht.

    Im politischen Berlin gibt es im Anschluss an die Krönungszeremonie der Grünen von den anderen Parteien respektvolle Äußerungen zu hören. „Liebe Grüne, sauberer Prozess, saubere Kommunikation, gute Rede. Chapeau!“, lobt der stellvertretende SPD-Vorsitzende Kevin Kühnert. Vielleicht trauert er gerade den Zeiten hinterher, als auch seine Partei von einer Frau geführt wurde. Andrea Nahles war die erste SPD-Chefin und die erste SPD-Fraktionsvorsitzende. Sie wurde von ihren Genossen allerdings gnadenlos demontiert und schmiss entnervt das Handtuch. Ein Schicksal, dass Baerbock nicht fürchten muss.

    Armin Laschet, CDU-Bundesvorsitzender und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, spricht bei einem Statement vor dem Konrad-Adenauer-Haus, der Bundeszentrale der CDU und gratuliert Annalena Baerbock zur Kandidatur.
    Armin Laschet, CDU-Bundesvorsitzender und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, spricht bei einem Statement vor dem Konrad-Adenauer-Haus, der Bundeszentrale der CDU und gratuliert Annalena Baerbock zur Kandidatur. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Armin Laschet gratuliert Annalena Baerbock

    Der CDU-Vorsitzende Armin Laschet, selbst gerade im Fadenkreuz heftiger Kritik aus den eigenen Reihen, gibt überraschend ein persönliches Statement ab. Vor der CDU-Zentrale, dem Konrad-Adenauer-Haus, wird etwa zwei Stunden nach Bekanntgabe der Baerbock-Kandidatur eine improvisierte Pressekonferenz abgehalten. Laschet gratuliert, das gehört sich so unter Parteivorsitzenden, er hätte es allerdings auch schriftlich tun können. Der CDU-Chef macht es ähnlich wie Kühnert. Der hat sich zuvor gewünscht, dass „am Ende des Wettbewerbs um eine gerechte und lebenswerte Zukunft“ eine „Regierung mit rot-grünem Kern stehen“ müsse. Laschet geht noch nicht ganz so weit, vermeidet aber jede Kampfansage.

    „Ich gratuliere Annalena Baerbock zu dieser Wahl. Ich kann ihr zusagen, dass sich die CDU Deutschlands auf einen fairen Wahlkampf freut“, sagt der CDU-Vorsitzende. Man wisse aus den USA, was es bedeute, polarisierende Wahlkämpfe zu führen, ergänzt der nordrhein-westfälische Ministerpräsident. Wobei nicht so ganz klar ist, ob er damit nur Baerbock meint oder nicht vielleicht auch seinen Konkurrenten in der K-Frage, den CSU-Vorsitzenden Markus Söder.

    Auch Merkel gratuliert Baerbock

    Selbst die Regierungschefin meldet sich zu Wort: Kanzlerin Angela Merkel lässt über Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer „einen Glückwunsch“ aussprechen. Seit November 2005 ist Merkel die erste Kanzlerin der Bundesrepublik und kann nun mitverfolgen, dass ihr womöglich eine Frau im Amt nachfolgt.

    Für Baerbock ist die Frage, ob eine Frau die deutsche Regierung führen könne, nach knapp 16 Jahren Angela Merkel „zum Glück“ längst beantwortet, wie sie in einem Interview sagte. Die Grünen-Vorsitzende ist Mutter und weiß, dass bei ihr jetzt nicht mehr diskutiert wird, ob eine Frau den Job kann, sondern „diese Frage wird jetzt umgemünzt, ob das eine Mutter kann“. Baerbock hat da schon den Blick ins Ausland empfohlen. „Wenn's in Neuseeland funktionieren kann und offensichtlich auch bei dem Vater in Kanada, dann sollte das auch in Deutschland funktionieren können.“ Jacinda Ardern, die Premierministerin von Neuseeland, bekam ihre Tochter während ihrer Amtszeit.

    Grünen-Chefin Annalena Baerbock ist jetzt auch die Kanzlerkandidatin ihrer Partei
    Grünen-Chefin Annalena Baerbock ist jetzt auch die Kanzlerkandidatin ihrer Partei Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Baerbock ist zweifache Mutter

    Baerbock hat zwei Töchter, Jahrgang 2011 und 2015, sie ist verheiratet und lebt in Potsdam. Bei Männern wurde die Frage nie ventiliert, ob sie mit kleinen Kindern Kanzler werden können. Baerbock, die Politikwissenschaft, öffentliches Recht und Völkerrecht studierte, zog 2013 in den Bundestag ein. Seitdem ist sie als berufstätige Mutter offenbar gut durchs Leben gekommen. Jedenfalls übernahm sie 2018 auch noch mit Habeck den Parteivorsitz bei den Grünen.

    „Dieser Spagat der Vereinbarung von Familien und Beruf ist nicht jeden Tag ein Selbstläufer, sondern man denkt immer wieder, meine Güte, jetzt kommen an dieser Stelle meine Kinder zu kurz“, sagte Baerbock im Interview bei „Augsburger Allgemeine live“. Diese Momente gebe es heute aber in fast jeder jungen Familie, egal, ob es um Vorstandsvorsitzende oder Krankenschwestern im Schichtdienst gehe. „Für mich gilt, Frauen und Mütter müssen in diesem Land jeden Job machen können“, betonte die Grünen-Politikerin. „Diese Entscheidung habe ich für mich getroffen, als ich Vorsitzende unserer Partei geworden bin. Ich habe aber damals schon klar gemacht, dass ich als Spitzenpolitikerin nicht aufhöre Mutter zu sein.“

    Annalena Baerbock kann sich den Wahlkampf mit Robert Habeck teilen

    Baerbocks Vorteil gegenüber den One-Man-Shows der politischen Konkurrenz ist es, dass sie sich die Lasten des Wahlkampfs mit Habeck teilen kann. Baerbock kann sich auch mit Habeck darüber beraten, ob und mit wem die Grünen nach dem Wahltermin am 26. September in die Regierung gehen. CSU-Chef Söder gratuliert ihr von München aus und sieht einen „ganz spannenden Wahlkampf“, der über „Platz eins zwischen Grünen und Schwarzen“ entscheiden wird. Noch ist es aber für Koalitionsaussagen viel zu früh. Denkbar wäre, dass Baerbock an der Spitze einer grün-rot-roten oder einer grün-rot-gelben Regierung Kanzlerin würde. Die andere Möglichkeit: Die Grünen vollziehen die Polit-Ehe mit der Union.

    In den aktuellen Umfragen liegen CDU und CSU etwa zehn Punkte vor den Grünen und es scheint derzeit wenig wahrscheinlich, dass eine Aufholjagd diese Differenz überbrücken könnte. Was nicht schlimm wäre für Baerbock. Sie könnte Ministerin werden, Regierungserfahrung sammeln - und bei der nächsten Bundestagswahl noch einmal angreifen.

    Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast mit Annalena Baerbock an, den wir im Januar 2021 aufgezeichnet haben:

    Lesen Sie dazu auch:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden