Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Kanzlerkandidat: Martin Schulz wirkt auf die SPD wie ein Vitaminschub

Kanzlerkandidat

Martin Schulz wirkt auf die SPD wie ein Vitaminschub

    • |
    Große Hoffnungen setzen die Sozialdemokraten  auf den designierten SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz.
    Große Hoffnungen setzen die Sozialdemokraten auf den designierten SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

    Fast scheint es so, als habe ein unsichtbarer Geist über Nacht einen Tankwagen voller Endorphine über dem Fraktionssaal der SPD im dritten Stock des Reichstagsgebäudes ausgeschüttet. Mit einem Schlag sind die Resignation und die Enttäuschung, die zuletzt in den Reihen der Sozialdemokraten weit verbreitet und lähmend gewirkt haben, verschwunden. Stattdessen herrscht an diesem Mittwoch um 12 Uhr mittags eine heitere, fast ausgelassene Stimmung.

    Die plötzliche Euphorie hat einen Namen: Martin Schulz. Als der frühere Bürgermeister von Würselen und langjährige Präsident des Europäischen Parlaments an der Seite von Fraktionschef Thomas Oppermann den Sitzungssaal betritt, erheben sich die Abgeordneten von ihren Stühlen und spenden ihm minutenlang frenetischen Beifall.

    SPD-Chef Sigmar Gabriel verkündete zuvor Rückzug

    Der Coup Gabriels, der am Vortag seinen Rücktritt als SPD-Chef und seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur verkündet hat, wirkt wie eine Befreiung. Von einer „Aufbruchstimmung“ spricht Fraktionschef Oppermann hinterher, der Auftritt von Schulz vor der Fraktion sei ein „erfolgreicher Startschuss für das Wahljahr“.

    Mit dieser Beurteilung steht Oppermann nicht alleine da. In der gesamten SPD ist die Erleichterung groß, dass sich Gabriel von sich aus zurückgezogen und den Weg für einen personellen Neuanfang freigemacht hat.

    Wohin allerdings die Reise unter einem SPD-Chef und Kanzlerkandidaten Schulz geht, bleibt vorerst offen, ebenso die Frage, wie er sich inhaltlich positionieren und welche Akzente er setzen will. Einerseits verspricht er, dass die SPD den Koalitionsvertrag erfüllen und „bis zum letzten Tag“ vertragstreu an der Seite Merkels regieren wolle, andererseits erhebt er den Anspruch, die Regierung übernehmen und das Land führen zu wollen: „Wir wollen, in welcher Konstellation auch immer, den Bundeskanzler stellen.“

    Solche Worte hören die verunsicherten Genossen gerne, für die Linken in der SPD ist dies das dringend erhoffte Signal, dass Schulz, obgleich Mitglied des konservativen „Seeheimer Kreises“, eine rot-rot-grüne Koalition nicht ausschließt. „Das ist die einzige Machtoption, die wir haben“, sagt ein SPD-Linker, „wir müssen uns endlich offensiv dazu bekennen.“

    Rückzug Gabriels war auch für Union überraschend

    Der überraschende Schachzug des Sigmar Gabriel, sowohl auf den Parteivorsitz als auch auf die Kanzlerkandidatur zu verzichten und sich ins Auswärtige Amt zurückzuziehen, hat auch die Union kalt erwischt. Nicht einmal die Bundeskanzlerin wurde, wie es sich eigentlich gehört hätte, von ihrem Vize vorab über seine Zukunftsplanung informiert. Im Kanzleramt wie im Konrad-Adenauer-Haus hatte man sich eigentlich auf Gabriel als Herausforderer der Regierungschefin eingestellt.

    Mit Blick auf seine anhaltend schlechten Umfragewerte und seine geringe Beliebtheit selbst in den Reihen der SPD galt er, daraus machten die Strategen hinter der Hand kein Geheimnis, als der leichtere Gegner im Vergleich zu Martin Schulz oder Olaf Scholz.

    Gleichwohl bleibt die Union auch nach der Rochade beim Koalitionspartner gelassen. Schulz habe zwar deutlich bessere Werte als Gabriel, aber er sei auch in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, man wisse nicht, wofür er bei zentralen Fragen stehe. So zeichnet sich schon am Tag nach der Nominierung von Schulz ab, dass die Union seine Unerfahrenheit in der Bundespolitik in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung stellen wird.

    „Den Populisten gibt er noch mehr als Gabriel“, sagt der stellvertretende Unions-Fraktionschef Georg Nüßlein gegenüber unserer Zeitung. Es stelle sich die Frage, was man von einem Kanzlerkandidaten halten solle, der eigentlich viel lieber in Brüssel Präsident des Europaparlaments geblieben wäre. „Für den verhinderten Grüß-Gott-Onkel des EU-Parlaments die Kanzlerkandidatur als Trostpflaster? Wen soll das überzeugen“, so der Schwabe.

    Wie sich Schulz positioniert, ist offen

    Verabschiedet sich die SPD mit Martin Schulz von der Großen Koalition und rückt deutlicher nach links, strebt der Kandidat gar offensiv ein rot-rot-grünes Bündnis an? Bei den Grünen wie bei den Linken ist die Skepsis groß, beide Parteien glauben, dass sie von Schulz nicht zu viel erwarten können. „Unser natürlicher Bündnispartner war schon immer die SPD. Aber gefühlt rückt Rot-Rot-Grün mit Martin Schulz in weite Ferne, aber Schwarz-Grün nicht näher“, sagt Ekin Deligöz vom Realo-Flügel der Fraktion unserer Zeitung.

    Mehr zum Thema lesen Sie hier:

    Schulz: Die SPD tritt an, um dieses Land zu führen

    Gabriels Rückzug: Wer durchkreuzte sein Drehbuch?

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden