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Kanzlerkandidat: Analyse: Wie Schulz die Union nervös macht

Kanzlerkandidat

Analyse: Wie Schulz die Union nervös macht

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    CDU-Kanzlerin Angela Merkel, SPD-Herausforderer Martin Schulz: Selbst für die Variante „Jamaika“ aus Union, Grünen und FDP reicht es in neuesten Umfragen nicht.
    CDU-Kanzlerin Angela Merkel, SPD-Herausforderer Martin Schulz: Selbst für die Variante „Jamaika“ aus Union, Grünen und FDP reicht es in neuesten Umfragen nicht. Foto: Gregor Fischer, dpa

    Wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre, hieße der künftige Kanzler Martin Schulz. Seine SPD ist in der jüngsten Infratest-Umfrage in der Wählergunst auf 32 Prozent geklettert und lässt damit die auf 31 Prozent gefallene Union hinter sich. In einer Großen Koalition wären CDU und CSU nur Juniorpartner der SPD. Der Union droht gar der Machtverlust: Eine mögliche Koalition der SPD mit Grünen und Linkspartei würde jetzt 47 Prozent erreichen – mehr als die Variante „Jamaika“ aus Union, Grünen und FDP mit 45 Prozent. Entsetzt verfolgt die Union, wie Martin Schulz wie entfesselt Wahlkampf macht, Menschen begeistert, für Wechselstimmung sorgt, während Angela Merkel mut- und kraftlos wirkt – fast wie gelähmt.

    Alle Gefahren im Blick - dann kam Martin Schulz

    Erst einen Monat ist es her, dass für die Konservativen mit der überraschenden Nominierung von Martin Schulz zum SPD-Kanzlerkandidaten aus ausgefeilten Wahlkampfstrategien Altpapier wurde. Noch kurz davor waren die Kampagnen-Spezialisten bei CDU und CSU überzeugt, dass sie alle Gefahren im Blick hatten, die ihren vermeintlich sicheren Wahlerfolg noch irgendwie schmälern könnten. Sie hatten Strategien besprochen gegen „Fake News“, mögliche Falschmeldungs-Kampagnen im Internet. Beraten, wie das im Streit um die Flüchtlingsobergrenze angeschlagene Verhältnis zwischen CSU und CDU gekittet werden könnte. Überlegt, wie mit harten Maßnahmen gegen Asylmissbrauch und Terrorgefahr Wähler zurückgewonnen werden können, die mit der AfD liebäugeln. Nur an eines dachten sie in der Union nicht: dass die SPD gefährlich werden würde.

    Zu weit hinten lagen die Sozialdemokraten in den Umfragen, zu unbeliebt schien gerade der vermeintliche Kanzlerkandidat Sigmar Gabriel. Wenn es in der Union doch einmal um die SPD ging, dann darüber, ob nach dem erwarteten Wahlsieg vielleicht ohne sie regiert werden könnte. Etwa in einer „Jamaika-Koalition“. Dann überraschte die SPD mit dem Kanzlerkandidaten Martin Schulz – und anfangs nahm auch den keiner ernst. Erste Umfrage-Erfolge wurden als „Neue-Besen-Effekte“ abgetan. Bis zur Wahl des Bundespräsidenten, zwei Wochen „nach Schulz“. Frank-Walter Steinmeier, auch so einer, den sie in der Union nicht ernst nehmen, seit er als Kanzlerkandidat 2009 für die SPD nur 23 Prozent gegen Merkel holte, überstrahlt bald als Erster Mann im Staat die Kanzlerin. Die SPD war Siegerin der ersten Wahl des Jahres und hat seither einen Lauf. Dass sie es nicht schaffte, einen konservativen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten zu finden, gilt nun als Fehler von Merkel. Und als brillantes taktisches Manöver des belächelten Sigmar Gabriel. Der hätte als Kanzlerkandidat die Arbeit der Regierung, der er als Vizekanzler angehört, nicht zu sehr kritisieren dürfen, sonst hätte er sich unglaubwürdig gemacht. Schulz dagegen, der Kandidat von außen, kann fordern oder kritisieren, was immer ihm nützlich erscheint. Das Etikett des kalten EU-Bürokraten, das ihm die Union verpassen wollte, blieb an Schulz nicht kleben. Als ehemaliger Bürgermeister von Würselen präsentiert er sich als wahrer Freund des „kleinen Mannes“, der das Gefühl hat, dass das soziale Gleichgewicht nicht mehr stimme. Zu dem, befürchten sie in der Union, hat Merkel keinen Draht mehr – so sie ihn je hatte.

    Nicht einmal die Diskussion um mögliche Unregelmäßigkeiten, etwa bei der Bezahlung von Mitarbeitern während seiner Brüsseler Zeit, scheint Schulz zu schaden. Sondern wirkt es eher wie eine Schmutzkampagne der Union. Schulz mit Donald Trump zu vergleichen, der Lügen zu bezichtigen, das erscheint hilflos. Voll auf das Thema Sicherheit hat die Union gesetzt. Doch all die Vorhaben, wie der Flüchtlingsstrom begrenzt, Abschiebungen erleichtert und die Terrorgefahr bekämpft werden sollen, trägt die SPD ja mit.

    Wie die SPD auch in Bayern zulegt

    Die SPD legt nach der Kür von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten auch im Freistaat zu. Das hat eine Umfrage im Auftrag von Sat.1 Bayern ergeben.

    Wäre am Sonntag Bundestagswahl, käme die CSU nunmehr auf 44 Prozent.  Im Januar erreichte sie noch 46 Prozent.

    Die SPD würde 20 Prozent erreichen. Das sind drei Prozent mehr als vergangenen Monat.

    Die Grünen liegen aktuell bei 10 Prozent - genauso wie die AfD.

    Würde am Sonntag gewählt, bekäme die FDP 6 und die Linke 4 Prozent. Für die Freien Wähler würden 3 Prozent stimmen.

    Der Umfrage zufolge halten aktuell 44 Prozent der Bayern einen Wahlsieg von Schulz für denkbar. 52 glauben das nicht.

    Schulz hat bei dem Thema sogar einen Vorteil: Er kann sagen, dass es Merkel war, die die Probleme erst verursacht hat. Selbst in der Union werfen ihr das viele weiter vor, nicht nur CSU-Chef Horst Seehofer. Der Streit um die Flüchtlingsobergrenze schwelt unter der Oberfläche weiter. Ob die Einigkeit, die auf dem „Friedensgipfel“ von München beschworen wurde, die Deutschen überzeugt, ist fraglich. Und der Streit darüber, was sie der von Martin Schulz entfachten Euphorie entgegensetzen sollen, hat in der Union gerade erst begonnen.

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