Mit einem Misstrauensvotum hat Österreichs Parlament am Montag der Expertenregierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz nach fünf Tagen ein jähes Ende beschert. Im Nationalrat, dem österreichischen Bundesparlament, fand ein von der sozialdemokratischen SPÖ eingebrachter Misstrauensantrag eine Mehrheit. Dem Antrag stimmten auch die Angeordneten der rechtsnationalen FPÖ und der Partei "Jetzt" zu. Es war das erste erfolgreiche Misstrauensvotum in der österreichischen Geschichte. Und das, obwohl 52 Prozent der Bevölkerung laut einer Umfrage wollen, dass der 32-Jährige im Amt bleibt.
Der Kanzler habe mit seiner rein auf den Ausbau seiner Macht angelegten Politik jeden Kredit verspielt, argumentierten Redner der Opposition auf einer Sondersitzung des Parlaments am Montag. Das Vorgehen des Kanzlers sei stattdessen ein "schamloser, zügelloser und verantwortungsloser Griff nach der Macht", sagte die Parteivorsitzende der Sozialdemokraten Pamela Rendi-Wagner.
Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen obliegt es nun, einen neuen Bundeskanzler und auf dessen Vorschlag neue Übergangsminister zu ernennen. Während der Debatte über das Misstrauensvotum stand den Kabinettsmitgliedern der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Kurz nickte seinen Ministern jedoch immer wieder beruhigend zu. In seiner Entgegnung auf den Antrag der Opposition ließ sich der Kanzler selber keinerlei Nervosität anmerken.
Strache-Video wird auch Kurz zum Verhängnis
Ausgelöst wurde die Regierungskrise durch das Skandal-Video von Ibiza. Darin präsentierte sich der damalige Chef der FPÖ, Vizekanzler Heinz-Christian Strache, als korruptionsanfällig und antidemokratisch. Kurz hatte nach einigem Zögern und der Weigerung von Innenminister Herbert Kickl zurückzutreten, Neuwahlen angekündigt. Doch die Opposition mochte ihn nicht mit dem Kanzlerbonus in den Wahlkampf ziehen lassen. Deshalb muss Kurz nach 525 Tagen als Kanzler – zumindest vorübergehend – Abschied vom Regieren nehmen.
Am Sonntag hatte der haushohe Sieg der ÖVP bei den Europawahlen gezeigt, dass er in der österreichischen Bevölkerung nicht an Sympathie eingebüßt hat. Der sonst kühl und überlegt auftretende Kurz zeigte sich ehrlich erleichtert über den Wahlerfolg. "Wir trotzen nicht nur dem Regen, wir trotzen allem, was kommen mag", tröstete er seine Anhänger, die sich mit "Kanzler Kurz" Sprechchören bedankten.
Die Enttäuschung des Kanzlers wurde in mehreren Interviews deutlich. Darin sagt er, dass er an eine Veränderung der FPÖ geglaubt und engen Kontakt zu Strache gesucht habe. "Ich habe nicht in den Menschen hineinsehen können", entschuldigte er sich. "Doch neben der guten Regierungsarbeit seien auch Anstand und eine Grundhaltung für eine Regierungsarbeit nötig." Die fehle den Freiheitlichen.
"Kurz muss weg"-Rufe in Wien
In den letzten Tagen hatte sich gezeigt, dass auch die FPÖ sich dem Misstrauensvotum gegen Kurz anschließen würde. Am Freitag erschollen bei der Abschluss-Veranstaltung der Rechtspopulisten vor der EU-Wahl auf dem Wiener Viktor-Adler-Markt minutenlang "Kurz muss weg"-Rufe.
Nun allerdings stellt sich die Frage, mit wem Sebastian Kurz in Zukunft regieren könnte. Nach den Neuwahlen im September dürfte die Suche nach einem Koalitionspartner schwierig werden. Auf der einen Seite scheint der Bruch mit der rechten FPÖ derzeit zu tief für einen Neuanfang zu sein. Andererseits hätte Kurz mit der SPÖ kaum eine Chance, seinen wirtschaftsfreundlichen Sparkurs fortzusetzen. Die liberalen Neos bringen nur zehn Prozent auf die Waage. Er könnte deshalb auf die Grünen setzen, die sowohl in Tirol als auch in Vorarlberg mit der ÖVP schwarz-grüne Regierungen bilden.
Der federführend von der SPÖ betriebene Sturz des populären Regierungschefs könnte sich für die Sozialdemokraten als politisch heikles Unterfangen erweisen. Einflussreiche Medien und sogar Bundespräsident Van der Bellen, der den Grünen nahesteht, hatten sich mehr oder weniger deutlich an die Seite von Kurz gestellt. Das Staatsoberhaupt hatte in den Tagen vor der Entscheidung an die Vernunft der politischen Parteien appelliert, die Regierungskrise nicht noch weiter eskalieren zu lassen. (mit dpa)
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