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Kandidatensuche: Erpressung und ein "gewaltiger Vertrauensbruch"

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Erpressung und ein "gewaltiger Vertrauensbruch"

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    Nach der gemeinsamen Nominierung von Joachim Gauck für das Amt des Bundespräsidenten sind die Parteien weiter tief gespalten.
    Nach der gemeinsamen Nominierung von Joachim Gauck für das Amt des Bundespräsidenten sind die Parteien weiter tief gespalten. Foto: afp

    Nach der  gemeinsamen Nominierung von Joachim Gauck für das Amt des Bundespräsidenten sind die Parteien weiter tief gespalten. Unionsfraktionsvize Michael Kretschmer (CDU)  warf der FDP einen "gewaltigen Vertrauensbruch" vor.  SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte, die Einigung auf den  Konsenskandidaten sei "überhaupt nicht friedlich" gewesen,  Linken-Chef Klaus Ernst sprach von einem Erpressungsmanöver der FDP.

    Kretschmer sagte der Leipziger Volkszeitungvom Montag, der Vertrauensbruch der FDP werde schwere Folgen für die Zusammenarbeit  in der schwarz-gelben Koalition haben. Das Verhalten der FDP sei "symptomatisch" für den Zustand der Partei, sagte der Fraktionsvize. "Unter Hans-Dietrich Genscher oder Klaus Kinkel wäre ein solches Verhalten undenkbar gewesen".

    Nahles: Kanzlerin ist umgefallen

    Nahles sagte am Sonntagabend in der ARD: "Die FDP ist  erstaunlicherweise nicht umgefallen - dafür aber die Kanzlerin."  Sie kritisierte, dass sich Merkel erst sehr spät für Gauck entschieden habe. "Das hatte einen einzigen Grund: Frau Merkel hätte eingestehen müssen, dass sie vor zwei Jahren einen Fehler gemacht hat. Am Ende musste sie eingestehen", sagte Nahles.

    Gaucks Nominierung war am Sonntag ein offenes Kräftemessen zwischen den Koalitionsparteien Union und FDP vorangegangen, dessen weitere Eskalation Merkel am Abend nur durch ihr Einlenken abwenden  konnte. Während sich das FDP-Präsidium am Nachmittag einstimmig für  den von SPD und Grünen favorisierten Gauck aussprach, hatte ihn die  Unionsspitze zunächst abgelehnt.

    Als Nachfolger für Christian Wulff hatte die Union  Ex-Umweltminister Klaus Töpfer oder den Ex-Ratsvorsitzenden der  Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, favorisiert.  Diese Kandidaten lehnte die FDP jedoch ab. Auf einer  Präsidiumssitzung der Liberalen wurden die Personalvorschläge der  Union als "Provokation" gewertet, wie es aus Parteikreisen hieß.  Die FDP habe gegenüber der Union vehement auf Gauck bestanden und  dabei auch einen schweren Konflikt in der Koalition in Kauf  genommen.

    Große Verstimmug in Unionskreisen

    Entsprechend groß war die Verstimmung in Unionskreisen. Dies  werde sich womöglich auch auf die weitere Koalitionsarbeit  auswirken, hieß es am Sonntagabend. Der CDU-Politiker Wolfgang  Bosbach erklärte Merkels Umschwenken mit den Kräfteverhältnissen in  der Bundesversammlung: "Es hat sich offensichtlich die Erkenntnis  durchgesetzt, dass es für Herrn Gauck eine Mehrheit gibt in der  Bundesversammlung", sagte Bosbach in der ARD.

    Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte der "Leipziger  Volkszeitung", Gauck sei schon 2010, als er erst im dritten  Wahlgang gegen Wulff verloren hatte, der beste Kandidat gewesen.

    Kritik von der Linken

    Linke-Chef Ernst kritisierte die Nominierung Gaucks. "Es ist schwer, von einem Konsenskandidaten zu sprechen, wenn mehr als fünf  Millionen Wähler von vornherein ausgegrenzt werden", sagte er der Passauer Neuen Presse. Die Kanzlerin habe Gauck nicht gewollt und  sich von der FDP vorführen lassen. "Merkel hat dem  Erpressungsmanöver nachgegeben", sagte Ernst. Die Vertrauensbasis der schwarz-gelben Koalition sei damit "erledigt".

    Das ist Joachim Gauck

    Bundespräsident Joachim Gauck hat ein bewegtes Leben hinter sich. Seine wichtigsten Stationen.

    Gauck kommt 1940 in Rostock zur Welt. Sein Vater ist Kapitän, seine Mutter gelernte Bürofachfrau. Sein Vater wird von den Russen wegen angeblicher Sabotage in einem Lager in Sibirien verschleppt, als Gauck sechs Jahre alt ist. Er kommt erst viele Jahre später wieder frei.

    Nach dem Abitur studiert Joachim Gauck Theologie in Rostock und arbeitet dann ab 1967 als Pastor in Lüssow. Sein eigentlicher Berufswunsch Journalist zu werden, lässt sich in der DDR nicht erfüllen.

    Ab 1974 wird Joachim Gauck wegen seiner kritischen Predigten von der Stasi beobachtet.

    Als sich in der DDR Ende der achtziger Jahre Widerstandsgruppen formieren, wird Gauck Mitbegründer und Sprecher des „Neuen Forums“. Er leitet unter anderem Gottesdienste und führt Großdemonstrationen an.

    Das Ende des DDR-Regimes und die Wendezeit nennt Gauck die "prägende Zeit meines Lebens".

    1990 leitet er als Abgeordneter der frei gewählten DDR-Volkskammer den Sonderausschuss zur Kontrolle der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit.

    Am Tag der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 übernimmt Joachim Gauck die nach ihm benannte Stasi-Unterlagen-Behörde. Bis zum Jahr 2000, als er die Leitung an Marianne Birthler abgiebt, avanciert Gauck zum bekanntesten Gesicht der DDR-Demokratiebewegung.

    Nach dem Mauerfall trennt sich der Theologe von seiner Frau und findet eine neue Lebenspartnerin aus dem Westen - eine Journalistin aus Nürnberg. Bis heute sind beide nicht miteinander verheiratet.

    2003 wird Joachim Gauck aus den Reihen der FDP erstmals als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten ins Spiel gebracht.

    2005 wird Joachim Gauck, damals 65 Jahre alt, Ehrendoktor der Universität Augsburg.

    Der Vater von vier Kindern und mehrfache Großvater engagiert sich auch im Verein „Gegen Vergessen für Demokratie“. Als Vorsitzender kümmert er sich zusammen mit vielen Mitstreitern um die Aufarbeitung der Geschichte der Diktaturen in Deutschland.

    Im Sommer 2010 wird er von SPD und Grünen zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nominiert. Dass er bei der durch Horst Köhlers Rücktritt nötig gewordenen Wahl knapp an Wulff scheitert, ändert nichts an seiner Beliebtheit.

    2011 sorgt Gauck für Schlagzeilen, als er Thilo Sarrazin für sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ Mut attestiert. „Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik“, sagte Gauck, wobei er sich den den Inhalten des Buches distanzierte.

    Nach dem Rücktritt von Christian Wulff wird Gauck von Union, FDP, Grünen und SPD zum gemeinsamen Kandidaten für die Wahl eines neuen Bundespräsidenten nominiert.

    Am 18. März 2012 wählt ihn die Bundesversammlung mit großer Mehrheit zum Bundespräsidenten, am 23. März wird er vereidigt.

    Auch Nahles kritisierte, dass die Linke nicht in die  Kandidaten-Kür eingebunden war. "Das war eindeutig ein Fehler von  Frau Merkel", sagte die SPD-Politikerin. "Man hätte die  Souveränität haben müssen: Wenn wir einen Konsenskandidaten wollen,  dann sind die auch dabei."

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