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KZ-Gedenkstätte Dachau: Das Tor zur Hölle

KZ-Gedenkstätte Dachau

Das Tor zur Hölle

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    Dieses Tor mit dem zynischen Spruch „Arbeit macht frei“ mussten die Gefangenen des Konzentrationslagers Dachau passieren. Dort gehen heute auch die Besucher der Gedenkstätte durch.
    Dieses Tor mit dem zynischen Spruch „Arbeit macht frei“ mussten die Gefangenen des Konzentrationslagers Dachau passieren. Dort gehen heute auch die Besucher der Gedenkstätte durch. Foto: Fred Schöllhorn

    Wer in dieser S-Bahn sitzt, hat ein besonderes Ziel. Die S2 transportiert an jenem sonnigen Spätsommertag – einem Tag, so strahlend weißblau wie aus dem Bilderbuch – auf ihrer Route vom Münchner Hauptbahnhof nach Petershausen zum Gutteil Menschen, die einen düsteren Ort besuchen wollen. Die KZ-Gedenkstätte Dachau steht auf ihrem Plan. Das kann man aus der Touristen-Ausrüstung – Turnschuhe, Sonnenhut, Reiseführer – der meisten Fahrgäste und aus den bruchstückhaft mitgehörten Gesprächen schließen.

    Die junge italienische Familie, das ältere englisch sprechende Ehepaar, die afrikanische Nonne, die amerikanische Reisegruppe mit ihrer blond gelockten Betreuerin namens Dee Jane (so steht es auf ihrem Ansteckschildchen), die Schulklasse aus Niedersachsen mit ihrem Lehrer: Sie alle wollen sich den Ort anschauen, der als erstes, schon 1933 gegründetes Konzentrationslager der Nationalsozialisten in die Geschichte einging. Der Prototyp für alle folgenden Lager der Nazis und damit für ein kaum vorstellbares Maß an Leiden und Schmerzen, an Gewalt, Qualen und Tod.

    Ein größerer Kontrast zwischen diesem Ziel und der während der halbstündigen Fahrt durch die S-Bahn-Fenster hereinfallenden Sommerstimmung scheint kaum denkbar. So schön, wie es heute ist, da möchte man doch auf die Berge, in den Biergarten oder aufs Oktoberfest, halt irgendeinen der Anziehungspunkte Bayerns genießen und sich nicht mit dem Grauen der Geschichte befassen. Bevor sich allerdings solche Fluchtgedanken festsetzen können, sind wir schon da.

    Die ehrliche Arbeit mit der Erinnerung

    Bahnhof Dachau. Schlagartig leert sich die S-Bahn, und der internationale Menschen-Pulk schiebt sich hinaus zur Bushaltestelle. „Concentration Camp Memorial Site“ steht auf dem Schild. Fünf Minuten Fahrt durch eine schmucke Kleinstadt mit gepflegten Häusern und blühenden Gärten, die so aussieht, als habe sie rein gar nichts mit der Nazi-Vergangenheit zu tun. Doch der Schein trügt: Die Dachauer haben ehrliche Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit geleistet, um dieses schwere Erbe nutzbringend zu verwalten. Dachauer Forum oder der Verein für internationale Jugendarbeit zeugen davon, und man sieht es auch am Straßenbild, wenn der voll besetzte Bus durch die Friedensstraße oder die Straße der KZ-Opfer rollt.

    Jetzt empfängt uns das neue Besucherzentrum der Gedenkstätte. Der junge oberbayerische Architekt Florian Nagler hat ein helles, ansprechendes Haus gebaut, dessen umgebende Betonstäbe zwar das Eingesperrtsein, die Freiheitsberaubung an den Häftlingen ansprechen, das aber nichts Schweres und Bedrückendes an sich hat. Wer hierherkommt, um sich der deutschen Geschichte zu stellen, soll nicht gleich abgeschreckt werden. In der Cafeteria wird geplaudert und laut gelacht.

    800000 Menschen besuchen jedes Jahr die Gedenkstätte, etwa zur Hälfte Schulklassen, zum anderen Teil Einzelbesucher aus der ganzen Welt. Mit mittlerweile einem zusätzlichen Öffnungstag und mehr Personal kann die Gedenkstätte den Ansturm gut bewältigen. Bloß zur Oktoberfestzeit, sagt die neue Leiterin Gabriele Hammermann, wird es manchmal kritisch. Da müssten zusätzliche Ordner schon mal angetrunkene Besucher auf das angemessene Verhalten hinweisen, um die Würde des Orts zu sichern.

    Den Besuchern werden Führungen, Diskussionen, Vorträge und Filme angeboten. „Wir schwingen nicht die Betroffenheitskeule“, sagt Gabriele Hammermann, „sondern wir wollen informieren.“ Wegen des mittlerweile über 60-jährigen Abstands zum schrecklichen Geschehen fehle es an historischem Wissen und der Fähigkeit zur Einordnung. Hammermann hat deshalb die pädagogische Abteilung aufgestockt; vier Fachleute planen Bildungsangebote und bilden die „Referenten“ aus, die den Besuchern den Ort erklären. Auf der Lagerstraße diskutiert gerade ein junger Mann – vielleicht einer von denen, die hier ein freiwilliges soziales oder kulturelles Jahr ableisten, mit einer Jugendgruppe.

    Die Zeit schleift das Grauen ab

    Ein paar Schritte weiter, am Jourhaus, dem ehemaligen Dienstgebäude der SS, fotografiert eine junge Koreanerin ihren Freund vor dem zynischen Schriftzug „Arbeit macht frei“, der ins schmiedeeiserne Lagertor eingelassen ist. Die Stelle, die für die Häftlinge den Eintritt in die Hölle markierte, ist jetzt eine Sehenswürdigkeit, die man fotografisch festhalten muss. So ist das eben: Zeit schleift das Grauen ab.

    Doch Vorsicht, der Schrecken kommt noch. Auch an diesem schönen Tag, auch für die unbelasteten Touristen aus Fernost und Übersee. Erst mal schwärmen die Besucher aus – auf dem weiträumigen Gelände zwischen Lagerstraße und rekonstruierten Häftlingsbaracken, zwischen ehemaligem Wirtschaftsgebäude, Mahnmal und Appellplatz. Doch wenn sie erst das Museum betreten haben, das im Wirtschaftsgebäude untergebracht ist, dann packt es auch den Unbedarftesten.

    Die Dauerausstellung, die vor acht Jahren neu gestaltet wurde, zeichnet in authentischen Räumen mit Bildern und Texten den furchtbaren Weg nach, den Nazi-Gegner, Juden, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Geistliche und Bettler zwischen 1933 und 1945 gehen mussten. Der Prügelblock im ehemaligen Häftlingsbad, die Mauerhaken, an denen Gefangene strafweise an den Armen aufgehängt wurden, das sind schweigende Zeugen der Qualen. Den Besuchern, die hier ruhig und konzentriert durchgehen, ist die Erschütterung ins Gesicht geschrieben.

    Im Gedenkraum des Museums stehen zwei Terminals. Sie enthalten die elektronische Form des Gedenkbuchs für die Toten von Dachau. Das „echte“ Buch, 1300 Seiten stark, liegt bei Albert Knoll im Archiv. In vierjähriger Arbeit hat der Historiker und Archivar der Gedenkstätte mit seinem Team die Daten von 33205 Menschen zusammengetragen, die das KZ Dachau nicht überlebt haben (insgesamt sind rund 40000 der 200000 Dachau-Häftlinge gestorben). Name, Beruf, Nationalität, letzter Wohnort, Geburts- und Sterbedatum – das sind, schwarz auf weiß, die nüchternen Überbleibsel eines Lebens.

    Zum Beispiel die des 25-jährigen jugoslawischen Partisanen Sreˇcko Bjeliˇci´c oder des 67-jährigen französischen Widerstandskämpfers Jean-Baptiste Daviais. Oder des oberbayerische Kommunisten Fritz Dressel, den die SS im Mai 1933 zu Tode quälte, des italienischen Antifaschisten Angelo Morandi und der Französin Yolande Beekman, die mit 33 Jahren von zwei SS-Männern erschossen wurde. Oft suchen Besucher, so berichtet Albert Knoll, im Buch oder an den beiden Terminals nach Menschen aus ihrem Land, ihrem Heimatort oder ihrer Familie. Manchmal werden sie fündig und bekommen ihre Fragen nach dem Nachbarn ihrer Familie oder dem Grab des eigenen Großvaters beantwortet. Manchmal aber finden sie nichts. Denn über 7000 Tote aus Dachau sind spurlos verschwunden. Sie starben auf den Todesmärschen oder in Außenlagern wie Kaufering bei Landsberg oder wurden im Massengrab auf dem Leitenberg am Rande Dachaus verscharrt.

    Tröstlicher Halt am eisernen Mahnmal

    Draußen vor der Tür sitzt die junge italienische Mutter und erzählt ihrem kleinen Sohn mit gedämpfter Stimme, was Mann und Tochter drinnen anschauen. Sie ist mit dem Jungen draußen geblieben – ein Schild am Eingang warnt: „Kindern unter zwölf Jahren wird der Besuch nicht empfohlen“. Ansonsten ist es auf dem weiten leeren Appellplatz sehr still. Wer aus dem Museum kommt, sucht sich irgendwo ein Plätzchen, wo er ungestört vor sich hinschauen kann, oder geht langsam über die öde Fläche, bis er vor dem großen eisernen Mahnmal einen vielleicht tröstlichen Halt findet.

    Auch die Realschüler aus Niedersachsen sitzen stumm beisammen. Ja, sie finden es gut, dass ihr Lehrer für die Klassenfahrt nach München den Abstecher in die Gedenkstätte vorgeschlagen hat. „Das muss man unbedingt gesehen haben“, heißt es. Aber das nächste Mal, sagt einer, und es sieht aus, als wolle er sich jetzt wieder energisch den schönen Seiten des Lebens zuwenden, „das nächste Mal kommen wir zum Oktoberfest“.

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