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Exklusiv-Interview: Juso-Chef Kühnert: "Die SPD könnte ganz schnell verschwinden"

Exklusiv-Interview

Juso-Chef Kühnert: "Die SPD könnte ganz schnell verschwinden"

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    Juso-Chef Kevin Kühnert gilt als härtester Gegner der Großen Koalition.
    Juso-Chef Kevin Kühnert gilt als härtester Gegner der Großen Koalition. Foto: Patrik Stollarz, afp

    Herr Kühnert, als Juso-Chef reisen Sie mit Ihrer „No-GroKo-Tour“ durchs Land, mit dem Ziel das die SPD-Mitglieder Anfang März gegen die Große Koalition stimmen. Welche Stimmung erleben Sie an der Basis?

    Kevin Kühnert: Ich sehe eine riesige Diskussionsfreude, wie ich sie in der SPD selten erlebt habe. Das allein macht schon Mut. Eine Partei, die sich abgeschrieben hätte oder die niemand mehr braucht, der würden sie nicht zu Hunderten die Türen einrennen. Die Stimmung an der Basis ist schwer einzuschätzen. Ich erlebe völlig unterschiedliche Meinungen. Von komplett dafür bis komplett dagegen ist alles dabei.

    Was heißt das für den Mitgliederentscheid Anfang März?

    Kühnert: Wir haben auf dem Parteitag in Bonn gesehen, wie knapp so etwas ausgehen kann. Ich glaube, momentan kann sich noch niemand auf eine Prognose festlegen. Das gilt auch für mich. Aber ich habe auch noch niemanden in der SPD-Spitze getroffen, der sich zutraut, zu sagen, dass sie den Mitgliederentscheid auf jeden Fall gewinnen werden.

    Warum liefert die SPD ständig ein Bild, das auf die Öffentlichkeit selbstzerstörerisch wirkt?

    Kühnert: Wir sind seit Wochen darauf vorbereitet worden, dass ein Koalitionsvertrag kommt, den wir uns inhaltlich anschauen sollen. Kaum war der da, ging es plötzlich nur noch um Personal. Wer macht den Parteivorsitz? Wer geht in die Ministerien? Was wird aus Sigmar Gabriel? Das war genau das, was wir Jusos nicht wollen. Wir fordern einen neuen politischen Stil, der demütiger sein muss und auch mal klar signalisiert: Wir nehmen uns und unsere persönlichen Interessen der Sache wegen einmal zurück.

    Aber viele Bürger zeigen in Umfragen wenig Verständnis, dass die SPD ausgerechnet ihren populärsten Minister Sigmar Gabriel aus dem Amt entfernen will. Sind Sie dafür oder dagegen, dass Gabriel Außenminister bleibt?

    Kühnert: Wir wollen, dass die SPD im nächsten Kabinett nicht mit am Tisch sitzt. Insofern sehe ich die Aufgabe von Sigmar Gabriel darin, dass er als Bundestagsabgeordneter Oppositionsarbeit gegenüber einer unionsgeführten Regierung macht. Ich würde Sigmar Gabriel zumindest unter dem Aspekt des politischen Stils sagen, was er in den vergangenen Tagen gemacht hat, war ein Beispiel für die Art politische Kommunikation, die wir in Zukunft nicht mehr brauchen.

    Viele sagen, dass der Koalitionsvertrag eine sozialdemokratische Handschrift trage. Haben Sie kurz darüber nachgedacht, Ihre Ablehnung zu überdenken, als das Papier vorgelegt wurde?

    Kühnert: Natürlich habe ich mir das Papier gründlich durchgelesen und noch einmal bewertet. Ich bin aber zu keiner anderen Einschätzung gekommen. Politik macht man nicht mit Handschriften und Überschriften. Man muss dieses Papier vor allem danach bewerten, wie die Politik konkret aussehen wird. Die Erfahrung der letzten Koalition war: Auf allgemeine Ziele konnte man sich immer schnell verständigen. Sobald es konkret werden sollte, wurde es sehr schnell diffus und plötzlich wurden getroffene Verabredungen infrage gestellt.

    Juso-Chef Kühnert zeigte sich "fassungslos" darüber, wie man es zulassen könne, dass die SPD nach wochenlangen Verhandlungen einzig über Personaldiskussionen wahrgenommen werde.
    Juso-Chef Kühnert zeigte sich "fassungslos" darüber, wie man es zulassen könne, dass die SPD nach wochenlangen Verhandlungen einzig über Personaldiskussionen wahrgenommen werde. Foto: Michael Kappeler, dpa (Archiv)

    Das bedeutet, es war Ihnen egal, was im Koalitionsvertrag steht?

    Kühnert: Nein. Es geht nicht darum, dass es egal ist. Um viele Zukunftsfragen, die für uns Jusos wichtig sind, macht der Koalitionsvertrag einen großen Bogen. Aber unsere Kritik an einer großen Koalition bewegt sich auch auf einer grundsätzlichen Ebene. Es geht zum Beispiel um Verlässlichkeit, Vertrauen und politische Unterscheidbarkeit.

    Heißt das, Sie halten die Union für generell unzuverlässig?

    Kühnert: CDU und CSU haben mehrfach gezeigt, dass sich die SPD nicht auf sie verlassen kann. Da gibt es eine lange Liste mit mehr als einem Dutzend Punkten aus dem letzten Koalitionsvertrag: Rückkehrrecht zur Vollzeit und Solidarrente zum Beispiel. Die standen im Vertrag und sind am Ende von der Union blockiert worden. Nun stehen sie wieder drin. Ich weiß nicht, wie lange wir das Spiel noch machen wollen. Die Union versucht noch nicht mal den Eindruck zu erwecken, etwas zu verändern. Ich erinnere nur mal an den CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt und seine eigenmächtige Entscheidung zum Glyphosat. Auf so einer Grundlage können wir nicht ernsthaft zusammenarbeiten.

    Warum glauben Sie, dass sich die SPD nur in der Opposition erneuern kann, das ist der SPD in Bayern gemessen am Wahlerfolg auch nie gelungen?

    Kühnert: Meine These ist nicht, dass sich die SPD prinzipiell nur in der Opposition erneuern kann. Aber in der jetzigen Situation halte ich das für die realistischere Lösung. Wir blicken zurück auf acht Jahre Große Koalition, die gefühlt für viele noch länger waren. Die Gemeinsamkeiten, die es durchaus zwischen Union und SPD punktuell gibt, sind abgearbeitet. Jetzt können sich Union und SPD in wichtigen Fragen nur noch auf Vertagungen, Prüfaufträge und Kommissionen einigen.

    Welche wichtigen Themen vermissen Sie denn?

    Kühnert: Das wäre zum Beispiel die Notwendigkeit, wie es mit dem Rentensystem in Zukunft weitergeht. Viele junge Menschen fragen mich das, weil sie richtigerweise nicht wissen, ob ihnen jemand garantiert, dass sie später auch noch von ihrer Rente leben können. Dazu hat die SPD eine klare Position, die Union nicht. Deswegen schweigt sich der Koalitionsvertrag dazu aus. Auch bei Fragen von Digitalisierung unserer Arbeitswelt oder Umwelt und Nachhaltigkeit werden Ziele in zehn bis 20 Jahren beschrieben, aber kaum was jetzt passieren soll.

    Wie soll eine Runderneuerung der SPD aussehen? Muss die Partei mit der Agenda 2010 noch mehr brechen?

    Kühnert: Der Blick nach vorne ist wichtiger als der Blick zurück. Im Moment fehlen der SPD Alleinstellungsmerkmale. Was ist denn das Thema, was nur die SPD hat? Das gibt es im Moment nicht. Themen, die auf der Straße liegen, sprechen wir nicht an. Etwa die krasse Ungleichverteilung von Vermögen in der Gesellschaft – da trauen wir uns nicht, konkrete Forderungen zu stellen. Die SPD hat bislang kaum Antworten zur Zukunft der Arbeitsgesellschaft unter den Bedingungen der Digitalisierung. Es liegt in unserer DNA, sich dem anzunehmen.

    Für die Große Koalition: die SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Andrea Nahles und Olaf Scholz, kommissarischer SPD-Parteivorsitzender.
    Für die Große Koalition: die SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Andrea Nahles und Olaf Scholz, kommissarischer SPD-Parteivorsitzender. Foto: Axel Heimken, dpa (Archiv)

    Und was ist mit der Agenda 2010?

    Kühnert: Ich glaube nicht, dass sich irgendjemand auf die Knie werfen und um Vergebung bitten muss. Aber einfach Mal ohne Umschweife einzugestehen, dass da auch grundlegende Fehler gemacht wurden, was den Rückbau des Sozialstaates und die Deregulierung angeht. Das wäre längst angebracht gewesen.

    Was halten Sie von der Urwahlforderung? Andrea Nahles hat das als Angebot für die Parteibasis zumindest für die Zukunft nicht ausgeschlossen...

    Kühnert: Wir Jusos fordern, dass wir uns an Beschlüsse halten und das gilt auch für das Thema Urwahl. Der Parteitag im Dezember hat beschlossen, dass das ein Diskussionspunkt im Erneuerungsprozess sein soll. Das heißt, es ist noch nicht entschieden und ich halte auch nichts davon das jetzt überstürzt zu tun. Deswegen wird die oder der nächste Parteivorsitzende im April auf dem Parteitag ganz normal von Delegierten gewählt.

    Und was sagen Sie zur Kandidatur von Andrea Nahles? Finden Sie es gut dass sich von Basis Gegenkandidaten gemeldet haben?

    Kühnert: Wir Jusos äußern uns vor dem Ergebnis des Mitgliederentscheids nicht zu Personalfragen.

    Sie werden inzwischen selbst in die Rolle eines SPD-Hoffnungsträgers gedrängt, hoffen Sie vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft einen wichtigen Posten bei der SPD zu besetzen?

    Kühnert: Auch das gehört zu den vermeintlichen Spielregeln der Politik, die unglaublich viele Leute satt haben. Die SPD ist gerade in einer Situation, in der wir darum kämpfen müssen, dass die SPD in Zukunft überhaupt noch wichtige Ämter besetzen kann. Manche halten das für ein Naturgesetz, dass die Sozialdemokraten Kabinettsposten und Ministerposten zu vergeben haben. Ein Blick ins europäische Ausland zeigt, das kann ganz schnell vorbei sein.

    Haben Sie Angst, mit den Sozialdemokraten in Deutschland ähnlich bergab geht wie in anderen Ländern?

    Kühnert: Zumindest ist es nicht ausgeschlossen. Es gibt positive und negative Beispiele im Ausland. Großbritannien ist ein positives Beispiel, Frankreich und Niederlande sind negative. Ermutigend für die SPD ist, dass es keinen Automatismus gibt. Aber es gibt auch keine pauschale Existenz- und Daseinsberechtigung für eine sozialdemokratische Partei. Wenn sie kein Profil mehr hat und kein Alleinstellungsmerkmal, kann sie auch ganz schnell verschwinden. Das sollten wir uns vor Augen führen.

    Werden die Jusos jedes Ergebnis akzeptieren? Oder geht der Streit weiter?

    Kühnert: Selbstverständlich akzeptieren wir das Ergebnis – auch wenn es nicht in unserem Sinne ausgeht. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns nicht auch weiterhin kritisch zu Wort melden. Wir werden uns aber konstruktiv in der SPD einbringen und das erwarte ich im Falle eines anderen Ausgangs auch von allen anderen.

    Zur Person: Kevin Kühnert ist seit November Bundesvorsitzender der SPD-Jugend. Der 28-jährige Berliner studiert Politikwissenschaften und arbeitet für eine Berliner Landesabgeordnete.

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