Versagensängste, Panikattacken, Depressionen: Immer mehr junge Menschen leiden an psychischen Erkrankungen. Nach einer Studie der Barmer-Krankenkasse ist die Zahl der einschlägig erkrankten Patienten zwischen 18 und 25 Jahren in den vergangenen zehn Jahren um 38 Prozent von 1,4 auf 1,9 Millionen gestiegen. Besonders betroffen sind dabei Studenten, die bislang als besonders gesund galten. 2015 litten rund 470.000 angehende Akademiker – umgerechnet ist das jeder sechste Student – an einer psychischen Erkrankung, 86.000 davon an einer Depression. Vor allem ab dem 25. Geburtstag steigt die Zahl der Erkrankungen bei Studierenden stark an, während sie bei gleichaltrigen Nicht-Akademikern sinkt.
Von wegen jeden Abend Party, monatelange Semesterferien und dazwischen ein paar Vorlesungen. Das Studium, das im Nachhinein gerne als schönste Zeit des Lebens verklärt wird, hat sich durch den tiefgreifenden „Bologna-Prozess“ mit der Einführung der Bachelor- und Master-Studiengänge offenbar so stark verändert, dass immer mehr Studierende an Panikattacken, Ängsten und Depressionen leiden, was in der Folge zum Studienabbruch oder sogar zu lebensgefährdenden Krisen führen kann.
Leistungsdruck belastet junge Akademiker
„Die absoluten Zahlen sind durchaus beunruhigend“, sagt Barmer-Chef Christoph Straub. Der Anstieg seit dem Jahr 2005 sei signifikant – und die Zahl der psychisch Erkrankten dürfte nach einer Prognose der Weltgesundheitsorganisation sogar noch weiter steigen. Denn nicht nur die Studentinnen und Studenten, sondern junge Erwachsene insgesamt leiden nach einer Auswertung von 882 Millionen Abrechnungsfällen und 3,5 Milliarden Diagnose-Daten seit 2005 immer häufiger an psychischen Störungen aller Art.
Bei Depressionen gab es gar eine Zunahme von 76 Prozent von 320.000 auf 557.000 Personen. „Damit waren insgesamt 25,8 Prozent aller jungen Erwachsenen betroffenen“, so Straub. Das heißt: jeder Vierte. Und vieles spreche dafür, dass es künftig noch deutlich mehr psychisch kranke junge Menschen geben wird. „Gerade bei den angehenden Akademikern steigen Zeit- und Leistungsdruck, hinzukommen finanzielle Sorgen und Zukunftsängste.“
45 Prozent der Depressiven gehen nicht zu einem Facharzt
Nach Ansicht von Straub sind „mehr niedrigschwellige Angebote“ erforderlich, die psychische Erkrankungen vermeiden oder junge Erwachsene, bei denen diese bereits ausgebrochen sind, frühzeitig erreichen. „Häufig meiden Betroffene aus Scham den Gang zum Arzt.“ Ist die Krankheit einmal ausgebrochen, sei es wichtig, dass jeder die Hilfe erhalte, die er auch brauche. Das ist allerdings noch lange nicht der Fall: „Selbst bei Betroffenen, bei denen eine Depression diagnostiziert wurde, finden sich bei 45 Prozent keinerlei Kontakte zu Fachärzten oder Psychotherapeuten.“ Mit fatalen Folgen: Denn Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen haben ein deutlich höheres Risiko, selbst an Depressionen zu erkranken, als Kinder von gesunden Eltern.