Wieder ist es dieser Darm. Sein Zustand habe sich in letzter Zeit derart verschlechtert, dass er einfach nicht mehr weitermachen könne. Wie schon im Jahr 2007, als Shinzo Abe nach einem Jahr im Amt des Premierministers seinen Hut nahm, gab der Rechtskonservative auch diesen Freitag seine Gesundheit als Grund für den Rücktritt an, nachdem er sein Land ab Ende 2012 regiert hat. „In diesen beinahe acht Jahren habe ich jeden Tag mit voller Kraft gearbeitet“, sagte er am japanischen Freitagnachmittag mit stockender Stimme und verbeugte sich. Es tue ihm leid, dass er aufhören müsse.
Einige Tage zuvor hatte Abe einen neuen Rekord aufgestellt als der am längsten regierende Premierminister seines Landes. Zählt man seine vorige einjährige Regentschaft ab 2006 hinzu, hält er diesen Rekord schon seit vergangenem Jahr. Allerdings wird Abe nicht nur als langlebiger Mann an der Spitze in Erinnerung bleiben, sondern auch als einer, der nicht annähernd das halten konnte, was er seinen Unterstützern in Aussicht gestellt hatte. Ob es um Ökonomisches, Diplomatisches oder Verfassungspolitisches geht – der heute 65-jährige hat immer wieder den Mund zu voll genommen.
Japan erlebt eine neue Corona-Ansteckungswelle
Dieser Eindruck hat sich, nachdem Abe für lange Zeit bemerklich fest im Sattel gesessen hatte, zuletzt auch in der Öffentlichkeit durchgesetzt. Umfragen zeigten über die vergangenen Wochen, dass nur noch rund ein Drittel der Bevölkerung mit Abes Arbeit zufrieden war. Nach einigen Affären um Vetternwirtschaft und allzu laxe Verwendung von Steuergeldern war hierfür zuletzt vor allem seine unglückliche Reaktion auf die Corona-Pandemie verantwortlich. Zuerst spielte Abe die Gefahr des Virus herunter, womöglich um die ursprünglich für diesen Sommer geplanten Olympischen Spiele in Tokio nicht zu gefährden. Fortan lief er den Entwicklungen eher hinterher, als dass er selbst Konzepte vorgelegt hätte. Im Moment erlebt Japan eine neue Ansteckungswelle, das Land zählt rund 66.000 Infektionsfälle.
Nicht nur wegen der Pandemie hinterlässt Abe auch die japanische Volkswirtschaft in einem schwierigen Zustand. Schon im Quartal vor dem Ausbruch war das Wachstum negativ, nun steckt das Land in einer tiefen Rezession. Enttäuschend ist seine Wirtschaftspolitik insgesamt gewesen. Seine vielzitierte Strategie „Abenomics“ – eine Kombination aus sehr lockerer Geldpolitik, hohen Staatsausgaben und wachstumsfördernden Strukturreformen – ist die versprochenen Wachstumseffekte schuldig geblieben. Daran konnten auch mehrere neuabgeschlossene Handelsverträge sowie eine zaghafte Öffnung für Arbeitsmigration wenig ändern. Gestiegen sind neben dem Aktienmarkt dafür die Staatschulden.
Shinzo Abe konnte nicht alles umsetzen, was er plante
Auch außenpolitisch ist Abe hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Im Vorfeld des G7-Gipfels in Osaka 2019 hatte er eine Wiederbelebung der Welthandelsorganisation angekündigt, erreichte aber wenig in diese Richtung. Ähnlich sieht es aus mit dem Versuch, nach Nordkorea entführte Landsleute zurück nach Japan zu holen. Verbessert hat sich dagegen zuletzt der von Rivalität geprägte Kontakt zu Peking. Für dieses Jahr war ein Staatsbesuch des chinesischen Regierungschefs Xi Jinping in Tokio geplant, der wegen der Corona-Krise aber verschoben werden musste.
Ironischerweise hat sich Japan unter Abe auch auf anderer Ebene dem großen Nachbarn China etwas angenähert. Inmitten mehrerer Drohgebärden gegen Journalisten und eines neuen Staatsgeheimnisgesetzes ist Japan in internationalen Vergleichen der Pressefreiheit weit hinter anderen liberalen Ländern abgefallen. Zudem hat ein Verfassungsentwurf von Abes Partei vorgesehen, dass das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden könne, sobald deren Ausübung der öffentlichen Ordnung schade. Allerdings hat Abe auch dieses Vorhaben nicht umsetzen können – ebenso wie seine damit verbundene Herzensangelegenheit, den pazifistischen Artikel 9 in der Verfassung zu streichen oder zumindest zu schwächen.
Eine Kehrtwende ist nach dem Abgang von Shinzo Abe nicht zu erwarten
Im Umgang mit der Corona-Pandemie hat Abe am Freitag angekündigt, dass sein Land mit Hochdruck an einem neuen Impfstoff arbeiten und in der Zwischenzeit das Ausmaß der Corona-Tests erhöhen wolle. Er selbst müsse unterdessen dauerhaft Medikamente nehmen. Im Amt des Premierministers könnte ihm zunächst sein Vize Taro Aso folgen. Wie Abe war auch Aso schon einmal, von 2008 bis 2009, ein eher glückloser Premier. Er wird ebenfalls dem nationalistischen Lager zugeordnet und hat bisher als Finanzminister die hohe Ausgabenpolitik Abes mitgetragen.
Eine deutliche politische Kehrtwende wäre mit diesem Personalwechsel zunächst nicht zu erwarten. Allerdings wird schon seit Wochen darüber spekuliert, ob die eigentlich erst im Herbst 2021 anstehenden Parlamentswahlen vorgezogen werden sollten.