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Italien: Draghis heller Stern: So weckt Italiens Ministerpräsident Vertrauen

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Draghis heller Stern: So weckt Italiens Ministerpräsident Vertrauen

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    Er gilt in Italien als politische Respektsperson: Mario Draghi, Ministerpräsident. Bei den Menschen steht er für Autorität und Glaubwürdigkeit.
    Er gilt in Italien als politische Respektsperson: Mario Draghi, Ministerpräsident. Bei den Menschen steht er für Autorität und Glaubwürdigkeit. Foto: Roberto Monaldo, dpa

    Mario Draghi sagte sein letztes Wort auf der Pressekonferenz und ließ den Satz in seinem Lächeln ausklingen. Seinen rechten Mundwinkel zog er dabei, wie immer, leicht nach oben. Man weiß dann nicht so genau, was Draghi eigentlich denkt. Ist es eine Spur Unsicherheit, gelassene Selbstgewissheit oder doch das Bewusstsein, gerade auch eine kleine Show abgezogen zu haben?

    "Die ganze Welt möchte nach Italien kommen", hatte der italienische Ministerpräsident gesagt. "Jetzt ist der Moment, eure Ferien in Italien zu buchen", sagte er an die Welt gerichtet. Ab Mitte Mai sollen Touristen, wenn sie Corona-Antikörper haben, geimpft sind oder einen negativen Test vorweisen können, problemlos das Land bereisen können.  Da saß er nun in seinem perfekt sitzenden dunklen Anzug, mit Seitenscheitel, Smartwatch am linken Handgelenk und lächelte.

    Mario Draghi ist seit zwölf Wochen italienischer Ministerpräsident

    Mario Draghi ist 73 Jahre alt, er war unter anderem Gouverneur der italienischen Zentralbank (2006–2011) und Chef der Europäischen Zentralbank (2011–2019). Jetzt ist er seit rund zwölf Wochen italienischer Ministerpräsident und es ist nicht unwahrscheinlich, dass er zum Ende der Legislaturperiode 2023 die Nachfolge von Staatspräsident Sergio Mattarella antreten wird. Alle diese Stationen sind in gewisser Weise logische Folgen seiner Expertise und seines internationalen Ansehens. Dass der gebürtige Römer einmal so unverhohlen Werbung für den Tourismus in seinem Land machen würde, war allerdings nicht abzusehen.

    Bei der Pressekonferenz Mitte der Woche prangte im Hintergrund die Zeichnung Leonardo da Vincis vom vitruvianischen Menschen. Das Bild sollte Italiens kulturelle Anziehungskraft beim Treffen der Tourismus-Minister der G20 in dieser Woche in Rom symbolisieren. Doch angesichts der Rolle, die Mario Draghi derzeit in Italien ausfüllt, hätten einem auch Zweifel kommen können, wer hier eigentlich der Über-Mensch mit seinen idealen Proportionen und Maßen ist. Die Leonardo-Zeichnung im Hintergrund oder der unergründlich smarte Ministerpräsident im Vordergrund?

    Das Vertrauen in Draghi ist groß - nicht nur in Italien

    Draghi wird in Italien zwar nicht vergöttert. Doch das Vertrauen in ihn ist zwölf Wochen nach seinem Amtsantritt weiterhin groß, die Erwartungen sind enorm. Nicht nur die Italiener, auch die europäischen Nachbarn blicken plötzlich voller Vertrauen nach Rom. Das ist angesichts des chronischen Vertrauensmangels gegenüber der italienischen Politik eine ganz neue Erfahrung. "Das delinquente Italien wird zum Vorbild", titelte die Financial Times Ende April über einem Foto Draghis – und erntete ausnahmsweise keinen Sturm der Entrüstung. Die Italiener fühlten sich geschmeichelt.

    Mario Draghi hat Italien in wenigen Monaten ein natürlich nur oberflächliches Selbstbewusstsein zurückgegeben. Fast alle Parteien im Parlament unterstützen seine Regierung, nur eine ultrarechte Partei (Fratelli d’Italia) versucht sich alleine in der Opposition. Die bislang einzige messbare, konkrete Leistung Draghis und seines Teams besteht in der Erstellung des "Nationalen Plans für Aufschwung und Resilienz", in dem EU-Investitionen von rund 200 Milliarden konkretisiert und im Gegenzug strukturelle Reformen etwa der öffentlichen Verwaltung und der Justiz versprochen werden.

    Draghi ist "der Mann, der keine Kälte spürt"

    Der Plan, der seit vergangener Woche in Brüssel liegt, wurde von den Fachleuten der EU-Kommission als zu vage kritisiert. In einem Telefonat mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen verbat sich Draghi dann die in seinen Augen übermäßigen Zweifel. Sein Land verdiene Respekt, er bürge persönlich für die Reformen, so kolportierten seine Spin-Doktoren. Basta! Wie es scheint, machen Draghis Autorität und Glaubwürdigkeit ein solches Auftreten möglich. Von wegen Understatement.

    "Der Mann, der keine Kälte spürt." So beschrieb ihn einmal das italienische Klatsch-Portal Dagospia, weil Draghi bei jedem Wetter ohne Mantel oder Jacke und nur im dunklen Anzug erscheint. Draghi hat auch in seinen ersten Amtswochen eine Kühle an den Tag gelegt, die nicht wenige überrascht hat. Wer ihn etwa auf den immer größer werdenden Berg der italienischen Staatsschulden ansprach, bekam von ihm lakonisch zur Antwort: "Jetzt ist der Moment für Investitionen." Im Februar drohte der Ministerpräsident öffentlich mit der Blockade der Ausfuhr von Impfdosen außerhalb der EU. Ein solches Machtwort kurz nach Amtsantritt hatte niemand von ihm erwartet, die Koalitionspolitiker, aber auch die Bevölkerung zeigten sich angetan von so viel Patriotismus.

    Das Vertrauen in Italien ist dank Draghi gewachsen

    Gänzlich undiplomatisch gab sich Draghi schließlich infolge der sogenannten Sofagate-Affäre, als EU-Kommissionschefin von der Leyen bei einem Staatsbesuch in Ankara keinen Stuhl neben Staatschef Recep Tayyip Erdogan zugewiesen bekam, sondern mit dem türkischen Außenminister auf einem Sofa Platz nehmen musste. Auf Erdogan angesprochen sagte Draghi: "Mit diesen Diktatoren, nennen wir sie doch beim Namen, die wir aber brauchen, muss man direkt sein und ihnen klarmachen, dass man eine andere Sicht auf die Gesellschaft hat." Kein anderer Politiker hatte sich in dieser Schärfe geäußert.

    Das Vertrauen in Italien ist dank Draghi gewachsen. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel im September ihr Amt aufgibt und eine neue Führungsfigur in der EU gesucht wird, ist der ehemalige EZB-Chef der erste Kandidat auf Merkels Nachfolge als europäische Integrationsfigur. Draghis Amtszeit endet mit der Legislaturperiode spätestens in zwei Jahren, dass er persönlich Italiens Probleme in dieser Zeit beheben kann, ist eine Illusion. Einige der sechs Parteien, die seine Koalition derzeit unterstützen, haben in der Vergangenheit bereits mehrfach ihr wahres Gesicht gezeigt. Sobald Draghis Stern sinkt, werden sie die Ersten sein, die den Ministerpräsidenten fallen lassen.

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