Wenn der Politikprofessor Ron Robin erklären soll, was sich gerade verändert in Israel, erzählt er gerne die Geschichte von seiner Rückkehr nach Haifa. Als er nach einigen Jahren in den USA in die Hafenstadt am Mittelmeer kam, um dort die Leitung der Universität zu übernehmen, fiel ihm und seiner Frau vor allem eines auf: Die alten Grenzen, nach denen die Araber unten, in den schon etwas heruntergekommenen Vierteln entlang der Docks wohnten, und die Juden oben, in den besseren Lagen über der Stadt, sind brüchig geworden. Inzwischen gibt es in Haifa auch eine arabische Mittelschicht, die sich ebenfalls ein Haus oder eine Wohnung am Hang leisten kann.
Die neue Regierung in Israel ist vielfältig
„Die Araber heiraten später und bekommen auch weniger Kinder als früher“, sagt Robin in einer kleinen Gesprächsrunde mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Tel Aviv. Auch an seiner Universität gehe es heute deutlich bunter und diverser zu als noch vor einigen Jahren. Und wie zum Beweis für diese These von einem neuen Nebeneinander, in dem die Grenzen zwischen den Religionen vielleicht nicht verwischen, aber zumindest durchlässiger werden, regiert seit wenigen Wochen zum ersten Mal eine kleine arabische Partei in Israel mit - in einer Koalition aus acht Parteien von stramm links bis ganz rechts, deren schillernde Widersprüchlichkeit sogar einen weitgereisten Menschen wie Steinmeier noch zu faszinieren scheint.
Unüblich sei das, sagt er diplomatisch vorsichtig, weil sich ein Staatsgast tunlichst nicht in die inneren Angelegenheiten des Landes einmischen soll, das er gerade besucht: Andererseits, so klingt es in den ersten Gesprächen am Rande der Reise immer wieder durch, hat diese Koalition ihren ersten und wesentlichen Zweck ja schon erfüllt - nämlich nach vier Wahlen innerhalb von nicht einmal zwei Jahren eine halbwegs funktionierende Regierung ins Amt zu bringen und den alten Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu aus dem Amt zu drängen.
Steinmeier verabschiedet in Tel Aviv den israelischen Präsidenten
Dessen Nachfolger, den noch konservativeren Naftali Bennett, trifft Steinmeier an diesem Donnerstag, ebenso wie den wahren Architekten des bunten Achters, den Liberalen Jair Lapid. Der gegenwärtige Außenminister soll, so ist es geplant, Bennett nach zwei Jahren als Regierungschef ablösen – vorausgesetzt, die Koalition hält so lange.
Von beiden wünscht Steinmeier sich, dass sie das Verhältnis zu den Palästinensern rasch entkrampfen. Langfristig gebe es keine Alternative zu einer Zwei-Staaten-Lösung, sagt der Bundespräsident – wohl wissend, dass das nicht jeder seiner Gesprächspartner hier gerne hört, allen voran sein Duzfreund Rivlin nicht, der sich schon einmal für eine Annexion des Westjordanlandes, also faktisch für eine Ein-Staaten-Lösung ausgesprochen hat.
Auf seiner Reise wird Steinmeier von verschiedenen Persönlichkeiten begleitet
„Wir sind nicht immer einer Meinung“, sagt Rivlin, der auch ein neues Atomabkommen mit dem Iran für weit weniger erstrebenswert hält als Steinmeier. „Aber unsere Freundschaft hält das aus.“ Die Pandemie hat es überdies so gefügt, dass der ursprünglich schon für das vergangene Jahr geplante Besuch nun noch eine sehr persönliche Note bekommt: In wenigen Tagen endet Rivlins Amtszeit, Steinmeier ist sein letzter Staatsgast, was durchaus symbolisch gemeint ist.
Durch den Holocaust und seine sechs Millionen Toten sind Deutschland und Israel für immer miteinander verbunden, und es war Rivlin, der den deutschen Präsidenten gegen große Widerstände in Israel zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz als Redner einlud. Für Steinmeier war das, wie er selbst sagt, der vielleicht emotionalste Moment seiner bisherigen Amtszeit. Und auch wenn der „liebe Ruvi“, wie er ihn nennt, jetzt gehe: „Unsere Freundschaft bleibt.“