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Israel: Heftige Kritik an Netanjahu: Prozess wegen Corona-Krise verschoben

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Heftige Kritik an Netanjahu: Prozess wegen Corona-Krise verschoben

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    Die Generalstaatsanwaltschaft wirft Regierungschef Netanjahu Betrug und Untreue sowie Bestechlichkeit vor. Gegner bezichtigen ihn der Manipulation der Öffentlichkeit.
    Die Generalstaatsanwaltschaft wirft Regierungschef Netanjahu Betrug und Untreue sowie Bestechlichkeit vor. Gegner bezichtigen ihn der Manipulation der Öffentlichkeit. Foto: Haim Zach, GPO/dpa

    Der Beginn des Korruptionsprozesses gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu ist wegen der Coronavirus-Krise um zwei Monate verschoben worden.

    Der eigentlich für Dienstag angesetzte Prozess solle nun am 24. Mai beginnen, teilte das Gericht am Sonntag mit. Besonders in der Opposition verstärkte dieser Schritt die Sorge, Netanjahu könne die Gesundheitskrise dazu missbrauchen, einer Strafverfolgung zu entkommen und demokratische Grundrechte zu beschneiden.

    Justizminister Amir Ochana hatte in der Nacht zu Sonntag zunächst für 24 Stunden einen Notstand verhängt. Gerichte sollten nur noch in Notfällen aktiv werden. Davon ausgenommen sei das Höchste Gericht.

    "Dies ist in der Tat eine Stunde der Not", warnte eine Kommentatorin der linksliberalen Zeitung Haaretz daraufhin am Sonntag. "Die Demokratie ist in diesen Tagen besonders zerbrechlich: Aus Sorge um sich und ihre Verwandten sind die Menschen leichter bereit, Bürgerrechte aufzugeben." Weil kaum jemand protestiere, sei Netanjahus Prozess einfach verschoben worden. Auch eine von Netanjahu angekündigte digitale Überwachung von Coronavirus-Infizierten sei "ein dramatischer Schritt, den man nicht leicht wieder rückgängig machen kann", schrieb sie.

    Netanjahu soll Geschäftsleute gegen Luxusgeschenke bevorzugt haben

    Die Generalstaatsanwaltschaft wirft Netanjahu Betrug und Untreue sowie Bestechlichkeit vor. Es geht um den Verdacht der Beeinflussung von Medien, angeblich krumme Deals mit Unternehmen und Luxusgeschenke befreundeter Geschäftsleute im Gegenzug für politische Gefälligkeiten. Der Regierungschef hat alle Vorwürfe zurückgewiesen.

    Seit mehr als einem Jahr ist Israel in einem politischen Patt gefangen. Auch die dritte Parlamentswahl binnen eines Jahres endete vor knapp zwei Wochen unentschieden. Weder Netanjahus rechts-religiöser Block noch das Mitte-Bündnis Blau-Weiß des Herausforderers Benny Gantz verfügt über eine Mehrheit.

    Netanjahu bekräftigte am Sonntag einen Aufruf zur Bildung einer Notstandsregierung mit Blau-Weiß mit einer Rotation im Amt des Ministerpräsidenten. "Angesichts der weltweiten und nationalen Notlage müssen wir unsere Kräfte vereinen und eine starke und stabile Regierung bilden, die einen Haushalt verabschieden und schwere Entscheidungen treffen kann", sagte Netanjahu laut seinem Büro. "Die Regierung wird für sechs Monate eingerichtet und die Ministerposten gleichwertig verteilt."

    Der Regierungschef könne laut dem Vorschlag keine Minister von Blau-Weiß entlassen und Blau-Weiß könne kein Misstrauensvotum gegen den Ministerpräsidenten unterstützen. "Nach dieser Periode werden wir zur Situation von heute zurückkehren."

    Herausforderer Gantz wirft Netanjahu Manipulation vor

    Gantz hatte sich schon grundsätzlich zur Bildung einer Notstandsregierung bereiterklärt, warf Netanjahu jedoch am Sonntag vor, die Öffentlichkeit zu manipulieren. Statt ernste Verhandlungen zu führen, verschiebe er über Nacht seinen Prozess. Wenn Netanjahu ernsthaft werde, "dann können wir reden". Bei ersten Gesprächen beider Seiten traten nach Medienberichten tiefe Meinungsverschiedenheiten zutage.

    Ex-Verteidigungsminister Mosche Jaalon, ein Führungsmitglied bei Blau-Weiß, schrieb bei Twitter: "Jeder, der uns kritisiert hat, als wir davor gewarnt haben, dass wir wie Erdogans Türkei werden könnten, sollte nun verinnerlichen, wie ein Angeklagter vor dem Prozess die Corona-Krise auf zynische Weise für persönliche politische Ziele einsetzt."

    Netanjahu verfügte Samstagabend massive Einschränkungen im Kampf gegen das Coronavirus

    Der ultrarechte Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman schrieb bei Facebook, Netanjahu versuche lediglich, mit einem Scheinvorschlag der Opposition die Schuld in die Schuhe zu schieben und sie zu delegitimieren. "Bibi ist immer noch derselbe Bibi", schrieb er bei Facebook in Anspielung auf Netanjahus Spitznamen. Lieberman von der Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel) galt auch nach der dritten Parlamentswahl als Königsmacher.

    Netanjahu hatte am Samstagabend massive Einschränkungen von Freizeitaktivitäten bekanntgegeben, um eine Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Versammlungen mit mehr als zehn Personen sind verboten. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums ist das Virus Sars-CoV-2 mittlerweile bei rund 200 Personen in Israel nachgewiesen worden. Todesfälle wurden bisher nicht erfasst. (Sara Lemel, dpa)

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