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Island: Jón Gnarr will von "diesem verrückten Politiker-Trip herunterkommen"

Island

Jón Gnarr will von "diesem verrückten Politiker-Trip herunterkommen"

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    Sieht so ein Politiker aus? Jón Gnarr erwies sich für Islands Hauptstadt als Glücksfall.
    Sieht so ein Politiker aus? Jón Gnarr erwies sich für Islands Hauptstadt als Glücksfall. Foto: Jan-Henrik Dobers

    Jón Gnarr kommt gerade aus der Badewanne. Seine Haare sind noch nass. Erst am Tag zuvor ist er von einer Reise nach New York zurückgekehrt. Jetzt lässt er sich auf sein Sofa fallen. Er schnauft. Endlich ist er wieder hier in seinem Haus in der Altstadt von Reykjavík. Endlich hat er wieder Ruhe. Sie hat ihm nun fast fünf Jahre lang gefehlt.

    Die "isländische Revolution"

    Denn Jón Gnarr war noch bis vor kurzem Bürgermeister Reykjavíks, der Hauptstadt des Inselstaats Island. Eine beschauliche Stadt in einem beschaulichen Land. Möchte man meinen. Doch mit dem schillernden 47-Jährigen und seiner unkonventionellen Art hat die Stadt weltweit Berühmtheit erlangt. Nicht zuletzt, weil seine Politik Früchte trug. Zeitungen schrieben von der „isländischen Revolution“, Gnarr wurde international zum Star.

    Ein Komiker als Politiker

    Zum ersten Mal überhaupt habe er jetzt einen Journalisten in sein Haus gelassen, sagt er während eines dreistündigen Gesprächs mit unserer Zeitung. Schließlich müsse er keine Angst mehr vor politischen Gegnern haben, die ihm aus seinem Privatleben einen Strick drehen könnten. Gnarr, der trotz seiner großen Popularität auf eine zweite Amtszeit verzichtete, ist eigentlich Komiker von Beruf. Früher hat er im Fernsehen Politiker aufs Korn genommen. Noch heute sagt er: „Ich habe Politiker nie gemocht.“ Dabei ist er selbst Politiker gewesen. Und das kam so: Im Jahr 2010 hatte die Finanzkrise auf Island deutliche Spuren hinterlassen. 2008 stand das Land vor dem Staatsbankrott, das Bankensystem brach zusammen. Auch Reykjavík hatte es schwer getroffen, die Kommune war fast pleite. Überall wurden Stellen gestrichen. Die Isländer waren frustriert: Aus ihrer Sicht dominierte die Finanzwelt die Politik.

    Eine neue Politik

    In dieser Zeit gründete Gnarr mit Freunden, die er auf Facebook zusammentrommelte, eine Partei. Die „Beste Partei“ nennen sie sich. „Ich wollte eine neue Politik. Endlich weg von der alten. Wir wollten helfen und gleichzeitig Spaß haben“, sagt Gnarr. Im Wahlkampf wird er immer wieder gefragt, für welche Ziele er denn nun stehe. „Ich habe daraufhin die Leute immer gefragt, was sie denn möchten, für was ich stehe.“ Die Folge waren Versprechungen wie: „Wer kostenlose Handtücher möchte, dem geben wir sie.“ Gnarr versprach auch, für den Fall eines Erfolgs bei den Kommunalwahlen, alle Versprechen zu brechen. Das kam an. Seine Umfragewerte stiegen. Und die anderen Parteien, die ihn lange als „den Clown“ verspotteten, nahmen ihn als ernsthaften Konkurrenten wahr. Im Mai 2010 gewann Gnarr die Wahl, seine Partei erzielte knapp 35 Prozent der Stimmen, zog ins Stadtparlament ein und ging eine Koalition mit der sozialdemokratischen Allianz ein. „Ich habe einfach die ganze Zeit das Spiel umgedreht. Wir haben die richtigen Politiker mit ihren eigenen Waffen geschlagen, indem wir ihre Methoden ins Lächerliche gezogen haben“, sagt Gnarr. Aufrichtigkeit ist eines seiner Lieblingsthemen.

    Anders als andere Politiker

    Gnarr blickt in seinen Garten, in dem das Dreirad eines seiner fünf Kinder liegt. Er überlegt lange, bis er weiterspricht. „Politiker haben ihre ganz eigene Realität. Sie lügen viel. Aber sie verkaufen ihre Lügen einfach gut. Vielleicht glauben sie auch an Dinge, die nie eintreffen und nehmen sie anders wahr.“ Jón Gnarr ist anders als alle Politiker, die man sonst so kennt. Sogar in seinem Haus trägt er klobige Wanderschuhe. Wenn sein Hund Tobbi, der auf dem Klingelschild verewigt ist, an ihm vorbeistreunt, ahmt er das Gesicht des Tieres nach und macht Faxen. „Kuscheleinheiten gibt es für ihn immer“, sagt er.

    Die Badewanne als Lebensmittelpunkt

    Dann spricht er über seine Badewanne: „Sie ist mein Lebensmittelpunkt.“ Gnarr lacht lauthals. Die Badewanne sei ein Ort, an dem er einfach er selbst sein könne. „Ich, das duftende Shampoo und meine Gedanken.“ In der Badewanne traf er auch die wichtigsten Entscheidungen. Zum Beispiel, als er im Wahlkampf nicht mehr weiterwusste und eine Frau ihm sogar vorwarf, die Gedanken ihrer Kinder im Schlaf zu rauben. „Ich hatte Zweifel über das, was ich mir vorgenommen hatte. Doch in meinem heißen Bad wurde mir bewusst, dass es falsch ist aufzugeben. Es war falsch, den korrupten Politikern das Spielfeld zu überlassen. Mir war klar, ich muss weiterkämpfen“, sagt er.

    Schuldenfrei, grüner, sauberer

    Bis Mitte Juni 2014 war Gnarr Bürgermeister von Reykjavík. Seine Bilanz kann sich durchaus sehen lassen: Die Stadt ist nun schuldenfrei, grüner und sauberer geworden – und sozial Benachteiligte erhalten mehr Unterstützung. Gnarr war beliebt und wurde mit jedem weiteren Jahr im Amt mehr respektiert. Sein Nachfolger als Bürgermeister lobte ihn: Die ganze Gesellschaft habe von Jón Gnarr gelernt.

    Dennoch wollte Gnarr Reykjavík nicht weiterregieren: Die viele Arbeit, die Verantwortung, der Druck, immer alles richtig machen zu müssen, sei zu groß. „Ich konnte nicht mehr richtig schlafen und hatte Albträume“, erzählt Gnarr. Er könne verstehen, warum Politiker einen Burn-out erleiden, an Selbstmord denken oder alkoholkrank werden.

    Kapitel Politik ist beendet

    Gnarrs Partei, die „Beste Partei“, gibt es inzwischen nicht mehr. Gnarr ist mit sich im Reinen, das Kapitel Politik beendet. In den nächsten Monaten will er „einfach faulenzen“ und danach seine Erfahrungen in Büchern verarbeiten. Und „endlich von diesem verrückten Politiker-Trip herunterkommen“.

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