Die Antwort kommt umgehend: „Lies meinen Facebook-Eintrag.“ Dahinter: ein Smiley. Chat mit einem deutschen Islamisten zu einer bedrückenden Frage: „Was sagst du zu Charlie Hebdo?“
Einen Tag ist der Anschlag in Paris zu diesem Zeitpunkt her. Zwölf Menschen sind tot, und es ist noch unklar, was genau geschehen ist. Der Islamist schreibt: „Diese zwei Muslime haben jedenfalls meinen Segen.“
Jede Menge Verschwörungstheorien
Er meint die Attentäter. Wer Mohammed beleidige, den Propheten, wer ihn karikiere, verdiene den Tod. Wobei, schreibt der Chatpartner: Wer wisse schon genau, wer es wirklich war? Könnte doch auch ein Fake sein, eine Fälschung, untergeschoben und inszeniert, von den Amerikanern vielleicht, den Juden, dem Geheimdienst. Ein Ausschnitt aus der kruden Gedankenwelt eines Islamisten.
In solchen Kreisen blühen seit dem Attentat auf die Satirezeitung Charlie Hebdo jede Menge solcher Verschwörungstheorien. Auch in Deutschland. Hinter den Sympathiebekundungen der Szene jedoch steckt eine ernste Frage: Was wäre wenn? Wenn es zum Beispiel nicht Paris wäre, sondern Berlin, Köln oder eine bayerische Kleinstadt? Hat der Anschlag im Nachbarland auch hier eine erhöhte Terrorgefahr zur Folge? Saïd und Chérif Kouachi, die Attentäter von Paris, waren zwar Söhne algerischer Einwanderer. Aber sie sind in Paris geboren. Sie waren Franzosen. Sie sind in Frankreich groß geworden.
Gut 500 gewaltbereite Islamisten soll es im Land geben. In der Münchener El-Salam-Moschee in Sendling etwa geht die Szene ein und aus, regelmäßiger Vortragsgast ist Ahmad Abul Baraa aus Berlin, Salafistenprediger mit angeblicher Al-Kaida-Sympathie. Bayerns Verfassungsschutz hat ein Auge auf diese Moschee geworfen, ebenso wie auf die „somalische“ und die „albanische“ in Ulm. Dort soll der Hass gepredigt werden, der junge Islamisten zu fanatisierten Kämpfern in Syrien und dem Irak macht. Auch Allgäuer Islamisten gehen in diesen Gebetshäusern ein und aus.
Doch das ist nur ein Teil des Problems. Charismatische Führungsfiguren der Terrororganisationen und ihre perfide Propaganda sind ein weiteres. Denis Cuspert etwa, einst in Berlin als Rapper Deso Dogg bekannt, danach in Solingen Kopf der verbotenen Organisation Millatu Ibrahim, ist heute im digitalen Heiligen Krieg des Islamischen Staats (IS) allgegenwärtig. „Könnt ihr schreiben, ihr Medien: Ich lade euch ein zum Dschihad, Dschihad, Dschihad“, ruft er in einem Youtube-Video, das eine Schneeballschlacht in einem winterlich-romantischen Syrien zeigt.
Was heißt das für Deutschland?
Cuspert hat Heldenstatus bei deutschen Islamisten. Er ist fast gestorben auf dem Schlachtfeld, wurde wieder zusammengeflickt und ist jetzt aufgestiegen in die IS-Führungsebene. Ein Waffenbruder zum Anfassen, auch digital – für die Islamisten in Deutschland und alle, die es ihm nachmachen wollen.
Nun ist Cuspert wohl vereint mit einem alten Bruder im Geiste. Ein Foto zeigt den Ex-Rapper dieser Tage mit Mohamed Mahmoud, einem verurteilten Terroristen aus Österreich, später Gründungsmitglied von Millatu Ibrahim in Solingen, dann geflüchtet und an der türkischen Grenze verhaftet. Gerüchten zufolge kam Mahmoud vor ein paar Monaten bei einem Gefangenenaustausch frei und könnte nun den Weg ins Kampfgebiet gefunden haben. Es gibt noch viele andere, die den neuen, den propagandierten „coolen“ Dschihad vermarkten und so die Radikalisierung deutscher Islamisten vorantreiben.
Firas H. zum Beispiel, ein Wiener Islamist, von Interpol gesucht, postete gut gelaunt aus Syrien: Ein „Ukhti-Schwarm“ sei Enis A., der „Bruder“, auf seinem Foto. In der arabisch-deutschen Szenesprache heißt das: Die Mädels im Kriegsgebiet fliegen nur so auf Enis A. Der stammt aus Dinslaken, einer ehemaligen Zechenstadt in Nordrhein-Westfalen. Er ist auf dem Foto zu sehen – womit sich der Kreis aus dem syrisch-irakischen Kriegsgebiet bis in unsere Region schließt.
Bayerische Kontakte zu Islamisten nach Dinslaken
Seit 2013 pflegen bayerische Islamisten nämlich intensive Kontakte nach Dinslaken. Die Stadt ist kaum größer als Kempten. David G. erhielt dort den ideologischen Feinschliff. Der Allgäuer starb vor einem Jahr in Syrien. Auch sein Freund Erhan A., im Oktober abgeschoben, ist mit den nordrhein-westfälischen Extremisten gut bekannt. Von Dinslaken aus sollen 24 junge Männer in den Krieg gezogen sein, viele von ihnen sind mittlerweile tot. Philip B. beging im August einen Selbstmordanschlag im Irak. Mustafa K., gut vernetzt mit dem Allgäu, starb vor einigen Wochen in Nordsyrien. Insider bestätigten entsprechende Medienberichte. Bei unseren Recherchen haben wir vor Wochen Mustafas Spur im Kampfgebiet verloren. Die Behörden jedoch mauern. Nicht nur in diesem Fall.
Die digitalen Zerrbilder deutscher Gotteskrieger sind eine Herausforderung für die Sicherheitskräfte und heizen die Terrorgefahr an – nicht erst seit dem Anschlag in Paris. Denn während die Islamisten in Echtzeit ihre Gräueltaten nach Europa schicken, kommt die örtliche Polizei an diese Daten erst gar nicht heran. Der Chatdienst Whatsapp etwa gehört dem US-Konzern Facebook. Unter den Augen der Fachleute hat sich die Islamistenszene längst international vernetzt.
Verfassungsschutz: Anschläge in Deutschland nicht auszuschließen
Das Attentat von Paris hat deshalb die grundlegende Einschätzung nicht verändert. „Wir können Anschläge in Deutschland nicht ausschließen“, sagt Verfassungsschutz-Sprecher Markus Schäfert – wenngleich keine konkreten Hinweise vorlägen. Jedoch: Gesinnungstäter schwören in der Regel nicht ab – was sich kürzlich beim ersten deutschen IS-Prozess in Frankfurt zeigte. Trotz eindringlicher Appelle blieb Ex-Kämpfer Kreshnik B. bei seiner Sympathie für den Terror.
„Wenn Leute bestimmte Grenzen überschritten haben und ihr eigenes Leben und das anderer nichts mehr wert ist, kann man sie kaum mehr zurückholen“, sagt Schäfert. Auch im Freistaat gebe es Männer mit Kampf- und Waffenerfahrung.
Zu den Erfahrenen der Szene dürfte Reda Seyam gehört haben, einst Hetzer im Multikulturhaus in Ulm und stets als Hintermann der Anschläge von Bali im Verdacht. Er ist vor einigen Wochen im Krieg ums Leben gekommen.
Um die Islamisten der Region – zu denen früher Seyam gehörte – kümmert sich eine Spezialeinheit des Polizeipräsidiums Schwaben-Südwest. 20 Islamisten stehen unter Beobachtung, schwerpunktmäßig in und um Kempten. Im Oktober war eine „niedrige einstellige Zahl“ als Gefährder eingestuft. Sie könnten erhebliche Straftaten begehen.
Auch in Deutschland? Der Islamist im Chat fasst sich kurz: „Das weiß nur Allah.“