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Interview zum Thema Kindes-Missbrauch: Riskio ist besonders im engen Familienkreis groß

Interview zum Thema Kindes-Missbrauch

Riskio ist besonders im engen Familienkreis groß

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    Bei der Befragung berichteten 6,4 Prozent der Frauen und 1,3 Prozent der Männer von einem Missbrauch mit Körperkontakt vor ihrem 16. Geburtstag.
    Bei der Befragung berichteten 6,4 Prozent der Frauen und 1,3 Prozent der Männer von einem Missbrauch mit Körperkontakt vor ihrem 16. Geburtstag. Foto: dpa

    Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, befasst sich intensiv mit dem Thema sexueller Missbrauch und dessen Verbreitung in der Gesellschaft. Das Risiko, Opfer sexueller Gewalt zu werden, ist besonders im engen Familienkreis groß. So lautet ein Ergebnis seiner aktuellen Studie, die vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. Pfeiffer vermutet: Missbrauchsfälle innerhalb der deutschen katholischen Kirche sind stark zurückgegangen.

    Herr Pfeiffer, welches Ergebnis Ihrer neuen Studie hat Sie besonders überrascht?

    Pfeiffer: Der extrem hohe Anstieg der Anzeigenbereitschaft seitens der Missbrauchsopfer. Für die Täter bestand noch nie ein so großes Risiko, erwischt zu werden. Opfer sind heute nicht so von Scham besetzt wie früher noch. Was wir zudem deutlich sagen können, ist: Kinder, die geschlagen werden, sind gefährdeter, Missbrauchsopfer zu werden. Denn bei der Suche nach Zuwendung landen sie mitunter bei den falschen Menschen.

    Lange Zeit hieß es: Eine Watschn hat noch niemandem geschadet.

    Pfeiffer: Das ist völlig falsch. Eine gewaltfreie Erziehung, wie wir sie zunehmend seit den 1990er Jahren haben, ist der beste Weg, Missbrauch zu verhindern. Denn erstens: Prügelnde Väter oder Stiefväter werden oft zu Missbrauchstätern. Zweitens: Eine gewaltfreie Erziehung fördert den aufrechten Gang. Selbstbewusste Kinder wehren sich besser gegen

    Was haben Sie zum Missbrauch durch Priester herausgefunden?

    Pfeiffer: Von den 11500 befragten Personen und den 683 Opfern ist nur eine einzige Person – eine 28-jährige Frau – von einem katholischen Priester missbraucht worden.

    Aber im letzten Jahr gab es doch eine sehr große Zahl von Menschen, die öffentlich machte, von Priestern missbraucht worden zu sein. Steht das zu Ihrem Ergebnis nicht in Widerspruch?

    Pfeiffer: Keineswegs. Die Menschen, die sich letztes Jahr als Betroffene gemeldet haben, waren überwiegend älter als 40 oder 50 Jahre. Wir dagegen haben ausschließlich 16- bis 40-Jährige befragt. Damit deutet sich an, dass es auch in Deutschland zu einem starken Rückgang des sexuellen Missbrauchs durch Priester gekommen sein könnte – ähnlich wie in den USA.

    Wie erklärt man in den USA die dortige Abnahme der Missbrauchsfälle durch katholische Priester?

    Pfeiffer: Die Wissenschaftler des John Jay College New York haben herausgefunden, dass es sich bei den Missbrauchstätern der 70er und 80er Jahre ganz überwiegend um sogenannte Ersatzhandlungstäter gehandelt hatte, die eigentlich Sexualität mit erwachsenen Frauen oder Männern wollten, diese Sexualität aber angesichts der prüden Grundhaltung der meisten Amerikaner nicht realisieren konnten. So haben sie sich ersatzweise an Kindern vergriffen. Der Anteil der Pädophilen lag damals wie heute sehr niedrig.

    Der inzwischen zurückgetretene Augsburger Bischof Walter Mixa sagte im vergangenen Jahr, die „sogenannte sexuelle Revolution“ und „eine zunehmende Sexualisierung der Öffentlichkeit“ seien „sicher nicht unschuldig“ an den Missbrauchsfällen. Hatte er also unrecht?

    Pfeiffer: Die Sache ist komplex. Es mag ja durchaus so sein, dass die zunehmende Thematisierung von Sexualität in der Öffentlichkeit in den 50er und 60er Jahren amerikanischen Priestern Probleme bereitet hat. Aber unbezweifelbar ist, dass sie in den 80er und 90er Jahren dank der sexuellen Liberalisierung zunehmend Chancen hatten, ihre eigentliche Zielgruppe als Sexualpartner zu erreichen, wenn sie denn gegen den Zölibat verstoßen wollten: erwachsene Frauen und gelegentlich auch Männer. Deswegen sind in den USA in den letzten zehn bis 15 Jahren kaum noch Priester als Täter registriert worden, die sich ersatzweise an Kindern vergangen haben.

    Können Sie diese Befunde auf Deutschland übertragen?

    Pfeiffer: Nein, dazu ist es zu früh. Wir haben jetzt lediglich die Vermutung, dass es in Deutschland auch zu einem starken Rückgang des Missbrauchs durch Priester gekommen ist.

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