Immer noch geraten neue Politiker ins Visier der Plagiatsjäger. Die Erschütterungen der Plagiatsaffäre von Karl-Theodor zu Guttenberg und ihre Ausläufer sind an den Universitäten und Hochschulen deutlich spürbar. Was hält man dort von den zusammengepuzzelten Doktorarbeiten? Was muss sich ändern? – Wir sprachen mit Professor Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, über wissenschaftliches Arbeiten, Ehrlichkeit und die Konsequenzen aus der Affäre.
Frau Wintermantel, in der Doktorarbeit des FDP-Europaabgeordneten Jorgo Chatzimarkakis finden sich nach dem aktuellen Stand der Auswertung durch „Vroni Plag“ auf 71,58 Prozent der Seiten Plagiate. Jetzt möchte er seine Arbeit überarbeiten und neu einreichen. Ist das denn möglich?
Wintermantel: Falls er eine neue Doktorarbeit anfertigen will, müsste Herr Chatzimarkakis einen Betreuer finden, ein Thema vereinbaren, festlegen, was das Ziel der Arbeit ist und die einzelnen Schritte definieren. Er müsste also einen ganz neuen Anfang machen.
Seine Kollegin Silvana Koch-Mehrin argumentiert ganz anders. Sie sagt, dass ihre Promotionskommission von Beginn an die Fehler ihrer Arbeit kannte, sodass man ihr jetzt zu Unrecht den Titel aberkannt hat. Kann das sein?
Wintermantel: Ich kann mir das nicht vorstellen. Alle Quellen müssen klar ausgewiesen sein; wo Textteile von anderen Autoren übernommen worden sind, muss dies kenntlich gemacht werden. Es kann nicht sein, dass an diesen Standards Abstriche gemacht wurden. Allerdings gibt es eine derartige Fülle an wissenschaftlicher Literatur, dass die Gutachter der Doktorarbeit diese nicht bis ins Detail im Blick haben und deshalb nicht immer ohne Weiteres erkennen, ob irgendwo abgeschrieben wurde. Die Kommission muss sich darauf verlassen können, dass dies nicht passiert ist.
Wäre es da nicht Zeit, die wissenschaftlichen Standards zu überprüfen?
Wintermantel: Die grundlegenden Standards sind bekannt und bewährt, die stehen nicht infrage. Es muss jedem Doktoranden klar sein, dass eine Übernahme nicht selbst verfasster Texte ohne Hinweis auf die Quelle ein Plagiat ist und dass dies nicht erlaubt ist. Andernfalls handelt es sich um Diebstahl geistigen Eigentums, um den Verstoß gegen ein Grundprinzip wissenschaftlichen Arbeitens. Allerdings scheinen sich im Detail Unterschiede zwischen den Disziplinen entwickelt zu haben. Da besteht für die Universitäten und Fakultäten möglicherweise Handlungsbedarf; die Regeln sollten transparent und möglichst einheitlich sein. Wir müssen auch schauen, ob den Studierenden überall frühzeitig und deutlich genug korrektes wissenschaftliches Arbeiten beigebracht wird.
Vielen, so scheint es aber, sind die Standards nicht klar – oder sie setzen sich frei darüber hinweg. Kann man das ignorieren?
Wintermantel: Betrugsversuche hat es immer gegeben. Aber diese Ballung von Plagiatsfällen ist erschreckend. Die Hochschulrektorenkonferenz wird sich deshalb verstärkt um das Thema der Qualitätssicherung kümmern. Wir haben eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die im kommenden Jahr Ergebnisse vorlegen wird.
Es scheint kein Zufall zu sein, dass insbesondere jüngere Arbeiten aus dem Internetzeitalter betroffen sind. Schadet das Internet der Wissenschaft, da es das Plagiieren erleichtert?
Wintermantel: Das Internet hat das Kopieren von Texten einfacher gemacht, aber – wie man jetzt sieht – auch die Überprüfung der Texte.
Ein Teil der finanziellen Mittel der Universitäten hängt oft von der Zahl der Doktorarbeiten ab. Verführt dies nicht zu einer lockeren Titelvergabe?
Wintermantel: Es ist nicht gut, wenn eine ausschließlich quantitative Größe die Geldzuweisung bestimmt. Ein Wissenschaftler kann nach meiner Erfahrung nicht 15 Doktorarbeiten gleichzeitig betreuen.
Sondern wie viele?
Wintermantel: Das kann man sicher nicht generell sagen, es hängt ja immer von den speziellen Rahmenbedingungen ab, aber 10 oder gar 15 würde ich mir persönlich nicht zutrauen.
Ein Mediziner schreibt seine Doktorarbeit meist in ein bis zwei Jahren, ein Sozialwissenschaftler braucht gerne einmal vier bis fünf. Ist das gerecht?
Wintermantel: Das ist per se nicht problematisch. Jede Disziplin hat ihre eigene Kultur, die Projekte sind schwer vergleichbar.
Ein offenes Geheimnis ist, dass es Ghostwriter gibt, die „Musterarbeiten“ anbieten, die dann mehr oder weniger unverändert den Weg in das Promotionsverfahren finden.
Wintermantel: Das ist wirklich skandalös! Diese Dienste gefährden die Integrität der Wissenschaft.
Warum liegt Politikern eigentlich derart viel an ihrem Doktortitel? Wie erklären Sie sich das?
Wintermantel: In manchen Bereichen glaubt man, mit dem Titel eine höhere Reputation und den Eindruck wissenschaftlicher Seriosität zu gewinnen. Eine Doktorarbeit steht ja dafür, einen eigenen Beitrag zur Forschung geleistet zu haben.
Eine Frage hätten wir noch: Über was haben Sie denn promoviert?
Wintermantel: Meine Arbeit hieß: „Diktionsdistanzen – Soziale Genese von Sprechstilen“.
Garantiert plagiatfrei?
Wintermantel: Ja sicher! Ich hatte aus der Theorie eine spezielle Hypothese abgeleitet, die ich dann mit ziemlich großem Aufwand empirisch überprüft habe. Interview: