Herr Kubicki, Jamaika ist nach wochenlangen Gesprächen geplatzt. Was war der Moment, in dem Sie gemerkt haben, das wird nichts mehr mit der Union und den Grünen?
Wolfgang Kubicki: Es gab nicht den einen Moment. Vielmehr war es ein schleichender Prozess. Sie merken irgendwann in den Verhandlungen, es ruckelt und wir kommen nicht weiter. Eigentlich sollte die Sache letzte Donnerstagnacht entschieden sein. Man drehte sich aber im Kreis und kam tatsächlich nicht weiter.
Es bringt nichts, wenn in 237 Punkten nach zweifacher Überschreitung der Sondierungsfrist keine Einigung gefunden wird und immer noch weitere offene Punkte dazukommen. Wir sind weder in den zentralen Themen vorangekommen, noch konnten wir ein Leitmotto für das Bündnis finden. Und wenn in der Schlussphase der Gespräche geschlossene Vereinbarungen wieder über Bord geworfen werden, muss man einfach sagen: Jetzt ist Schluss.
Schon kurz nach dem Abbruch gab es einen fertigen Slogan "Lieber nicht regieren als falsch" und fertige Statements – verstehen Sie, dass da der Verdacht aufkommt, alles sei inszeniert? Der Slogan lag ja offensichtlich schon ein paar Tage in der Schublade.
Kubicki: Um ehrlich zu sein: nein. Der formulierte Text von Christian Lindner ist nach 22.30 Uhr als Gemeinschaftsleistung entstanden, nachdem für uns klar war, dass wir den Prozess jetzt abschließen. Wer das nicht glaubt, kann ins Drucker-Protokoll der baden-württembergischen Landesvertretung schauen.
Und die Tatsache, dass man innerhalb von 13 Minuten eine Slogan-Kachel für die sozialen Medien entwerfen kann, können nur diejenigen nicht begreifen, die nicht wissen, dass so etwas tatsächlich innerhalb von 30 Sekunden passieren kann, wenn man die entsprechende Einrichtung dafür hat.
Viele Leute finden, die FDP habe sich aus der Verantwortung gestohlen. Was entgegnen Sie denen?
Kubicki: Ja, es stimmt. Wir entziehen uns der staatspolitischen Verantwortung, eine Regierung zu bilden, die von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Nach der Wahl haben wir unsere Verantwortung sehr wohl wahrgenommen und versucht, mit Union und Grünen zu einem Regierungsbündnis zusammenzukommen – obwohl wir alle wussten, dass es sehr schwer wird, weil wir weit auseinanderliegen.
Sie schieben nun der SPD die Schuld an der politischen Krise zu. Warum?
Kubicki: Weil sie es sind, die sich aus der Verantwortung gestohlen haben. Anders als die Jamaika-Bündnispartner hätten diese einen deutlich kürzeren Weg in eine Koalition mit der Union zurücklegen müssen, da sie aus einer Großen Koalition kamen.
Wer nun davon spricht, das Land darf nicht ins Chaos gestürzt werden, der muss sich auch daran halten. Die staatspolitische Verantwortung liegt jetzt bei den Sozialdemokraten. Es ist Kinderkram zu sagen, wir reden nicht mehr miteinander, nachdem man zusammen regiert hat.
Deutschland drohen jetzt instabile Verhältnisse, macht Ihnen das keine Sorgen?
Kubicki: Ich sehe keine politische Krise. Vor der Wahl hieß es, dass die Parteien nicht unterscheidbar sind. Jetzt ist es für alle offensichtlich geworden, dass es wirklich deutliche Unterschiede gibt. Die Kanzlerin muss sich bemühen, eine andere Koalition hinzubekommen.
Was hat Sie in den vierwöchigen Jamaika-Gesprächen am meisten überrascht?
Kubicki: Dass unsere Leute fünfeinhalb Wochen, ohne zu murren und vor Müdigkeit aus den Schuhen zu kippen, an den Verhandlungen teilweise auf eigene Kosten teilgenommen haben.
Sie haben sich ja fast freundschaftlich über Jürgen Trittin geäußert? Was haben Sie mit ihm gemeinsam?
Kubicki: Jürgen Trittin ist einer der wenigen bei den Grünen, der klar sagt, was er denkt, und sich später auch daran erinnert, was er zugesagt hat. Und er hat einen scharfen Verstand, der pragmatisch Machbares von idealistischen Hirngespinsten, die die Grünen oft umtreiben, unterscheidet.
Welche Rolle hat die CSU in den Verhandlungen gespielt?
Kubicki: Das vorrangige Interesse der CSU galt immer der Landtagswahl im kommenden Jahr in Bayern. Um ihre Wähler nicht zu verprellen, ist die CSU sehr kompromisslos in die Verhandlungen gegangen. Das hat nicht unbedingt dazu beigetragen, dass eine gemeinsame Idee für eine Bundesregierung entstehen konnte.
In München geht es drunter und drüber. Hat man Horst Seehofer angemerkt, dass er auch um sein eigenes Lebenswerk kämpft?
Kubicki: Die Diskussionen um seine Person haben es zumindest nicht einfacher gemacht. Wie wollen Sie glaubwürdig verhandeln, wenn alle Welt weiß, dass die eigene Partei Sie loswerden möchte?
Wie haben Sie diese elend langen Gespräche ausgehalten? Stimmt es, dass Sie sich irgendwann zur Beruhigung Weißwein bestellt haben?
Kubicki: Das mit dem Weißwein stimmt. An diesem Tag der Verhandlungen hatte ich einen so hohen Verzweiflungsgrad erreicht, dass ich dringend meine Nerven beruhigen musste. Andreas Scheuer und Alexander Dobrindt ist es wohl ebenso ergangen, sie haben gleich ein Glas mitbestellt.
Sie sind jetzt Bundestags-Vize. In diesem Job muss man aber eher diplomatisch vermitteln. Ist das wirklich das Richtige für Sie?
Kubicki: Ja. Ich bin sehr umgänglich.
Warum sollen die Leute bei Neuwahlen FDP wählen, wenn sie davon ausgehen müssen, dass Sie womöglich gar nicht regieren wollen?
Kubicki: Es stimmt nicht, dass die FDP keine Regierungsverantwortung übernehmen möchte. Wir haben nur immer gesagt, dass wir nicht um jeden Preis regieren wollen. Wir halten Wort. Das haben wir unseren Wählerinnen und Wählern versprochen.
Würden Sie nach Neuwahlen noch mal über Jamaika reden?
Kubicki: Nach den letzten Tagen und den gescheiterten Sondierungsgesprächen fällt es mir schwer, daran zu denken, dass man noch einmal an den Verhandlungstisch zurückkehrt. Aber man sollte zum jetzigen Zeitpunkt auch nichts ausschließen.
Zur Person: FDP-Vize Wolfgang Kubicki saß 25 Jahre im Landtag von Schleswig-Holstein. Nach seinem Wechsel in den Bundestag ist er nun Vizepräsident des Parlaments.
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