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Interview: Was würde Helmut Schmidt dazu sagen?

Interview

Was würde Helmut Schmidt dazu sagen?

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    Noch eine letzte Zigarette: Viele Deutsche hätten noch ein paar Fragen an den vor drei Jahren gestorbenen Politiker Helmut Schmidt.
    Noch eine letzte Zigarette: Viele Deutsche hätten noch ein paar Fragen an den vor drei Jahren gestorbenen Politiker Helmut Schmidt. Foto: Imago

    Auch drei Jahre nach seinem Tod fragen sich noch immer viele Deutsche, was Helmut Schmidt wohl zu großen politischen und gesellschaftlichen Themen sagen würde. Wir können ihn nicht mehr fragen. Aber viele Sätze von „Schmidt Schnauze“ sind so zeitlos, dass sie noch heute passen. Zum 100. Geburtstag haben wir deshalb ein fiktives Interview zusammengestellt. Die Antworten sind echte Zitate des Politikers, die einfach zu schade fürs Archiv wären. Die Fragen haben wir uns erst nachträglich dazu überlegt.

    Herr Bundeskanzler…

    Helmut Schmidt: Schmidt. Nicht Bundeskanzler. Nennen Sie mich Schmidt.

    Also gut, Herr Schmidt, würden Sie heute noch gerne Politik machen?

    Schmidt: Die Glaubwürdigkeit der Politiker war noch nie so gering wie heute. Das liegt nicht zuletzt an einer Gesellschaft, die in die Glotze guckt. Die Politiker reden nur oberflächliches Zeug in Talkshows, weil sie meinen, es sei die Hauptsache, man präge sich ihr Gesicht ein.

    Sie halten offenbar nicht viel von Ihren Nachfolgern.

    Schmidt: Die heutige politische Klasse in Deutschland ist gekennzeichnet durch ein Übermaß an Karrierestreben und Wichtigtuerei und durch ein Übermaß an Geilheit, in Talkshows aufzutreten.

    Ist Politik ein unehrliches Geschäft?

    Schmidt: Ehrlichkeit verlangt nicht, dass man alles sagt, was man denkt. Ehrlichkeit verlangt nur, dass man nichts sagt, was man nicht auch denkt.

    Was denken Sie: Wird das kommende Jahr nach all den Turbulenzen der Vergangenheit etwas ruhiger?

    Schmidt: Politiker und Journalisten teilen sich das Schicksal, dass sie heute über Dinge reden, die sie erst morgen ganz verstehen.

    Das klingt aber nicht besonders schmeichelhaft für uns beide?

    Schmidt: Politiker und Journalisten. Das sind beides Kategorien von Menschen, denen gegenüber größte Vorsicht geboten ist: Denn beide reichen vom Beinahe-Staatsmann zu Beinahe-Verbrechern. Und der Durchschnitt bleibt Durchschnitt.

    War das etwa eine Kritik an meinen Fragen?

    Schmidt: Wer Kritik übel nimmt, hat etwas zu verbergen.

    Vielleicht sollten wir über etwas anderes reden?

    Schmidt: Gelangweilt haben mich Leute, die viel Zeit verbraucht haben, weil sie so lange geredet haben. Viele Leute reden zu viel.

    Sie scheinen nicht besonders viel Geduld zu haben. Dabei erfordert Politik doch genau das: Geduld.

    Schmidt: Das Schneckentempo ist das normale Tempo jeder Demokratie.

    Umso wichtiger ist es, zu wissen, wohin man will. Fehlt Ihnen heute so etwas wie eine Vision für Deutschland?

    Schmidt: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.

    Was braucht man dann, um als Politiker erfolgreich zu sein?

    Schmidt: Willen braucht man. Und Zigaretten.

    Die EU steht mit dem Brexit und der Wahl des Europaparlaments vor einem spannenden Jahr. Machen Sie sich Sorgen?

    Schmidt: Die EU war noch nie regierbar. Es steht in keiner Bibel geschrieben, dass die Europäische Union in ihrer heutigen Gestalt das Ende des 21. Jahrhunderts erlebt.

    Populistische Parteien wie die Alternative für Deutschland nutzen den Frust vieler Menschen und verschärfen die Stimmung gegen Europa.

    Schmidt: Die… Wie heißen die? Ach ja. Sie sind nicht lebensgefährlich, aber unerfreulich.

    Auch viele Medien sind ratlos, wie sie mit Populisten umgehen sollen.

    Schmidt: Es wäre ein Novum, dass Journalisten von sich selbst glauben, nicht schlauer zu sein als die politische Führung.

    Gibt es eigentlich eine Berufsgruppe, der Sie noch kritischer gegenüberstehen als uns Journalisten?

    Schmidt: Ich teile die Menschheit in drei Kategorien ein: Zur ersten Kategorie gehören wir normalen Menschen, die irgendwann in ihrer Jugend mal Äpfel geklaut oder im Supermarkt einen Schokoriegel in die Tasche gesteckt, sonst aber nicht viel ausgefressen haben. Die zweite Kategorie von Menschen hat eine kleine kriminelle Ader. Und die dritte besteht aus Investmentbankern.

    Zurück zu den Populisten: Verstehen Sie, dass so viele Wähler auf charismatische Vereinfacher hereinfallen?

    Schmidt: Ich habe immer Hemmungen, einen charismatisch begabten Politiker nur seines Charismas wegen einem Mann der abwägenden Vernunft vorzuziehen.

    Viele Amerikaner halten Donald Trump für charismatisch.

    Schmidt: Ohne Moral und ohne Vernunft kann charismatische Ausstrahlung eine Gefahr sein.

    Sie selbst waren aber auch nie um zugespitzte Aussagen verlegen.

    Schmidt: Manche Polemik kam aus dem Handgelenk, aber sie war gleichwohl in dem Bruchteil der Sekunde, ehe sie ausgesprochen war, doch überlegt und kontrolliert. Deshalb glaube ich, dass ich in 30 Jahren Zugehörigkeit zum Parlament kaum etwas gesagt habe, was ich später hätte bereuen müssen.

    Was können wir aus der momentanen Krise des europäischen Projektes lernen?

    Schmidt: Wer die Vergangenheit nicht studiert, wird ihre Irrtümer wiederholen. Wer sie studiert, wird andere Möglichkeiten zu irren finden.

    Ihre SPD, aber auch die Union verlieren massiv an Zustimmung. Sind die Volksparteien am Ende?

    Schmidt: Bisher hat noch niemand, der diesen Satz nachgeplappert hat, definiert, was er mit Volkspartei meint.

    Angela Merkel gilt als Krisen-Kanzlerin. Macht sie Ihren Job gut?

    Schmidt: In der Krise beweist sich der Charakter.

    Sie selbst haben das Land ebenfalls durch schwierige Zeiten gelotst. Viele Deutsche halten Sie für den wichtigsten Kanzler. Freut Sie das?

    Schmidt: Ich habe das mitbekommen, aber ich nehme an, dass das an der Fragestellung lag. Die kann suggestiv gewesen sein. Ich halte nichts von Meinungsumfragen.

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