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Griechenland-Krise: Interview: Warum Merkel jetzt zu Alexis Tsipras hält

Griechenland-Krise

Interview: Warum Merkel jetzt zu Alexis Tsipras hält

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    Angela Merkel muss bei ihrem Besuch in Athen Alexis Tsipras in einer heiklen Mission unterstützen, die dessen Koalition sprengen könnte.
    Angela Merkel muss bei ihrem Besuch in Athen Alexis Tsipras in einer heiklen Mission unterstützen, die dessen Koalition sprengen könnte. Foto: Stephanie Lecocq (Archiv)

    Herr Bastian, Sie leben und arbeiten seit 20 Jahren als Ökonom und Wirtschaftsberater in Athen. Zuletzt ist es ruhiger um die Griechenland-Krise geworden, jetzt kommt Angela Merkel auf Staatsbesuch. Droht der Kanzlerin bei ihrem Besuch in Athen ein unangenehmer Empfang?

    Jens Bastian: Nein, dieser Besuch dürfte eher eine angenehme Überraschung werden. Erstmals seit der Krise kommt Merkel nicht zu einem Blitzbesuch, sondern bleibt für zwei Tage. Das gab es in den vergangenen Jahren nicht und wird positiv aufgenommen. Anders ist auch, dass Teile der Athener Innenstadt nicht wie bei Merkels früheren Kurzbesuchen mit einem großen Polizeiaufgebot hermetisch abgeriegelt werden. Damals gab es die Demonstrationen mit beleidigenden Plakaten und Transparenten. Doch heute ist Merkel nicht mehr das große Feindbild für die Griechen. Im Gegenteil, die allermeisten Bürger nehmen kaum Notiz von ihrem Besuch.

    Auch das Verhältnis zu Ministerpräsident Alexis Tsipras hat sich verändert. Warum zählen heute beide Regierungschefs aufeinander?

    Bastian: Ein Hauptthema des Besuchs ist eine wichtige Parlamentsabstimmung Anfang Februar, um den Namensstreit mit Mazedonien beizulegen. Griechenland hat sich bislang geweigert, das Nachbarland mit diesem Namen anzuerkennen, und seine Integration in die Nato und die EU per Veto verhindert. Wenn in Athen und Skopje die Parlamente zustimmen, soll das Land künftig Republik Nord-Mazedonien heißen. Europa verspricht sich davon eine Stabilisierung der Balkanregion. Merkels Besuch ist nun eine wichtige Unterstützung für Alexis Tsipras’ Initiative. Es ist keineswegs sicher, dass er für sein Abkommen eine Mehrheit im Parlament erhält. Sein kleiner, rechtsnationalistischer Koalitionspartner wehrt sich vehement dagegen. Ein Bruch der Koalition droht, mit möglichen vorgezogenen Neuwahlen.

    Ist das eine Ironie der Geschichte, dass die CDU-Kanzlerin nun den Linkspopulisten Alexis Tsipras unterstützt und sich gegen den Chef ihrer politisch nahstehenden konservativen Schwesterpartei Nea Demokratia, Kyriakos Mitsotakis, stellt?

    Bastian: Frau Merkel hat bereits seit Jahren ein gutes und konstruktives Verhältnis zu Herrn Tsipras aufgebaut. Das beruht auf Gegenseitigkeit. Beide können miteinander, und haben insbesondere in der Flüchtlingsfrage konstruktiv zusammengearbeitet. Es ist nun interessant, dass Frau Merkel kommt, um Tsipras zu unterstützen. Der ihr politisch näher stehende konservative Oppositionschef Mitsotakis von der Nea Demokratia lehnt das Abkommen scharf ab. Frau Merkel müsste ihm jetzt bei ihrem Treffen eigentlich die Leviten lesen.

    Welche Rolle spielt die wirtschaftliche Krise bei Merkels Besuch?

    Bastian: Merkel ist der erste europäische Regierungschef, der Athen besucht, seitdem Griechenland das dritte Rettungspaket verlassen hat. Das ist auch ein Signal der Anerkennung. Die Kanzlerin wird Tsipras darin bestärken wollen, den Reformkurs fortzusetzen, der ja noch nicht abgeschlossen ist. Merkel wird betonen, dass es wichtig wird, dass sich Griechenland auch ohne den Druck eines internationalen Rettungspakets weiter an seine eingegangenen Verpflichtungen hält. Und Tsipras wird betonen, dass Griechenland dabei weitere Unterstützung braucht. Beide werden versuchen, Signale an deutsche Unternehmen auszusenden, in Griechenland zu investieren.

    Wie gut hat die Regierung Tsipras bislang die Reformen umgesetzt?

    Bastian: Es ist viel umgesetzt worden. Es wird oft in Deutschland unterschätzt, wie viel in Griechenland mithilfe von drei Rettungsprogrammen in den vergangenen zehn Jahren geleistet worden ist. Es gibt mittlerweile europäische Standards in der Steuerpolitik, aber auch in der Steuerhöhe. Die Steuerehrlichkeit hat nachprüfbar zugenommen. Es ist jetzt nicht mehr das Problem, dass Privathaushalte und Unternehmen die Steuern nicht zahlen, sondern dass sie sie oft nicht mehr zahlen können. Griechenland ist ein Hochsteuerland geworden. Bei den Unternehmen häufen sich die Steuerschulden an, die Privathaushalte haben längst die Belastungsgrenze erreicht. Inzwischen muss man darüber reden, wie man in ausgewählten Bereichen Steuern senken muss. Denn die Rettungspolitik war vor allem eine Steuererhöhungspolitik. Das halte ich aus ökonomischer Sicht langfristig für nicht tragbar.

    Der in Nürnberg geborene Ökonom Dr. Jens Bastian, 58, war von 2011 bis 2013 Mitglied der EU-Griechenland-Task-Force und lebst seit 20 Jahren in Athen.
    Der in Nürnberg geborene Ökonom Dr. Jens Bastian, 58, war von 2011 bis 2013 Mitglied der EU-Griechenland-Task-Force und lebst seit 20 Jahren in Athen. Foto: Archiv

    Wie ist die wirtschaftliche Lage?

    Bastian: Die einsetzende Erholung der Wirtschaft kommt bei den Menschen noch nicht an. Wir haben eine Arbeitslosenquote, die zur Tourismussaison bei 18 Prozent und im Winter bei 20 Prozent liegt. Die Jugendarbeitslosigkeit steigt dann auf über 40 Prozent. Die neu entstehenden Arbeitsplätze sind meist befristet – etwa im Sektor Tourismus meist auf vier Monate. Die Wirtschaft wächst zwar um knapp zwei Prozent, aber das ist zu wenig, weil sie von einem niedrigen Ausgangsniveau kommt.

    Was kann das verschuldete Land für mehr Wachstum tun?

    Bastian: Griechenland erzielt inzwischen bei den laufenden Staatseinnahmen und -ausgaben im Haushalt einen Überschuss von mehr als 3,5 Prozent. Dieses Geld wird aber wegen der Sparauflagen kaum in die Wirtschaft investiert. Ökonomisch sinnvoll wäre ein Wirtschaftswachstum in dieser Größenordnung und ein kleinerer Budgetüberschuss. Der Staat könnte mehr investieren und selbst für Wachstum sorgen.

    Kann Griechenland jemals seine Schulden zurückzahlen?

    Bastian: Die Erwartung, dass Griechenland langfristig seinen Schuldenberg durch Wirtschaftswachstum abtragen kann, ist eine Illusion. Das kann dem Land nicht gelingen. Und ich halte es für unverantwortlich, diese Last auf zukünftige Generationen abzuwälzen. All die jetzigen Lösungen mit Moratorien und Rückzahlungsstreckungen wirken nur wie Heftpflaster – irgendwann kommt das Thema zurück. Am Ende wird man wieder über einen Schuldenschnitt reden müssen. Das würde jedes Land treffen und am allermeisten Deutschland mit einem Haftungsanteil von 27 Prozent. Aber da geht es schlussendlich um Ehrlichkeit. Auch Deutschland wurde übrigens 1952 nach dem Krieg ein Teil seiner Altschulden bei der Londoner Schuldenkonferenz gestrichen, was dem Wirtschaftswunder geholfen hat. Ein Blick in die Geschichtsbücher wäre für die Diskussion hilfreich.

    Zur Person: Der in Nürnberg geborene Ökonom Dr. Jens Bastian, 58, war von 2011 bis 2013 Mitglied der EU-Griechenland-Task-Force.

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